"Wer sein Land liebt, sagt Ja!": Türkischer Wahlkampf in Deutschland
Von Irene Thierjung
Geht es nach der Anzahl der Stimmberechtigten, ist Deutschland der viertgrößte Wahlbezirk der Türkei – nach Istanbul, Ankara und Izmir. Rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken leben hier – und stimmen meist mit großer Mehrheit für die Partei des türkischen Präsidenten Erdoğan. Diese Menschen erneut zu gewinnen war die Mission, die den türkischen Premier Yildirim am Samstag nach Nordrhein-Westfalen führte. Dort, in der mit Tausenden türkischen Fahnen geschmückten Arena von Oberhausen, trat er vor mehr als 10.000 Menschen auf. Er sollte seine Landsleute überzeugen, beim türkischen Verfassungsreferendum im April im Sinne Erdoğans zu stimmen. "Wer sein Land liebt, sagt Ja!", war das Motto der im Vorfeld heftig kritisierten Veranstaltung, die von friedlichen Protesten begleitet wurde.
Die neue Verfassung sieht ein Präsidialsystem vor, in dem im Gegensatz zum heutigen System das Staatsoberhaupt auch die Regierungsgeschäfte führt. De facto ist das zwar bereits jetzt so, vor allem seit dem Putschversuch im vergangenen Juli. Durch die Verfassungsänderung soll dieser Zustand nun aber legitimiert werden – was laut Kritikern die Demokratie endgültig begraben könnte. Das wollte Yildirim, der bei einer Reform vermutlich Vizepräsident werden dürfte, nicht gelten lassen. "Sie sagen, dass ein Ein-Mann-System kommt", sagte er in Oberhausen. "Gibt es in Deutschland etwa zwei Kanzler?" Yildirim forderte die Deutsch-Türken zu "sehr hohem Selbstbewusstsein" auf – aber auch dazu, Deutsch zu lernen und von ihrem politischen Mitspracherecht Gebrauch zu machen.
Viele Konfliktthemen
Deutschland liegt seit Monaten im Clinch mit der Türkei, u.a. wegen der mutmaßlichen Bespitzelung von Türken und Deutschen im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet. In diesem Zusammenhang forderte Grünen-Politiker Volker Beck, Yildirim zu befragen, da diesem die Behörde unterstellt ist. Notfalls solle man ihn an der Ausreise hindern. Ein weiteres Konfliktthema ist die Inhaftierung des Türkei-Korrespondenten der Welt. Deniz Yüzel, der die türkische und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, hatte kritisch über Erdoğan berichtet. Bei einem Gespräch mit Yildirim am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz (siehe Seite 10) forderte die deutsche Kanzlerin Merkel eindringlich eine rechtsstaatliche Behandlung des Journalisten.