Wahlrechtsreform: Wie die Österreicher künftig wählen sollen
Nehmen wir an, ein Lehrer will mit seiner Klasse von Erstwählern im Zuge eines Demokratieprojekts ein Wahllokal beobachten. Nach momentaner Gesetzeslage wäre das nicht möglich. Geht es nach Michael Lidauer, bald schon.
Lidauer und seine Mitstreiter von der – unparteiischen – Plattform „wahlbeobachtung.org“ treten für eine umfassende Wahlrechtsreform in Österreich ein. Im vergangenen Jahr erstellten die erfahrenen internationalen Wahlbeobachter auf breiter Datenbasis einen 37 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog für ein zeitgemäßes Wahlrecht.
Und weil eine Wahlrechtsreform auch im Regierungsprogramm steht – wenn auch „zu kurz abgehandelt“ für Lidauers Geschmack –, finden die Vorschläge der Experten nun auch breite Beachtung. Heute findet auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ein „Gedankenaustausch“ zu einer Wahlrechtsreform statt, zu der neben Lidauer und seinen Kollegen auch die OSZE, das Innenministerium und Vertreter aller Parlamentsfraktionen eingeladen sind.
Hatte Sobotka im Frühjahr noch Präferenzen für das deutsche Wahlsystem und damit eine Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts durchscheinen lassen, wollte er sich jetzt hinsichtlich konkreter Wünsche an die Reform im Vorfeld nicht in die Karten blicken lassen.
Reform auf breiter Basis
Es herrsche zwar „Konsens darüber, dass man das Wahlrecht weiterentwickeln muss“. Dem müsse aber eine „umfassende und tiefgehende Debatte“ zugrunde liegen, der Sobotka mit der heutigen Veranstaltung „unter Einbeziehung aller Fraktionen, NGOs und Experten eine Plattform bieten“ wolle, sagte Sobotka zum KURIER. Auch bezüglich des weiteren Reform-Fahrplans wollte sich Sobotka nicht äußern. Im April hatte er noch eine Enquete für das erste Halbjahr 2019 angekündigt.
Im Gegensatz zum obersten Parlamentarier wird Experte Lidauer freilich weitaus konkreter. Neben eher technischen Anpassungen wie etwa bei der Briefwahl oder den Auszählungsmodalitäten, die zum Teil auch wegen der Wirren um die vergangene Bundespräsidentschaftswahl notwendig sind, hält er auch strukturelle Reformen für nötig. Die Ermöglichung nationaler Wahlbeobachtung – zu der sich Österreich bereits 1990 im Kopenhagener Dokument des OSZE-Vorläufers KSZE verpflichtet hat – wäre eine davon; gezielte Frauenförderung, etwa über die Klubförderung, eine andere.
Eine weitere zentrale Forderung, die laut Lidauer übrigens auch breiten Anklang in den Parteien findet, ist schließlich die Öffnung des Wahlbeisitzes für die Zivilgesellschaft. Freilich auch aus Eigennutz, denn: „Den meisten Parteien gehen die Beisitzer aus.“
Positive Signale
Den heutigen Gedankenaustausch sieht Lidauer als „guten Startpunkt, einen intensiven Diskussionsprozess zu beginnen“, mit dem es aber freilich nicht getan sei. Weil manche Materien wie die Briefwahl bereits bis zur EU-Wahl im kommenden Mai reformiert werden sollten, hält er überhaupt auch eine zweigeteilte Reform für möglich. Hauptsache, am Ende steht nicht nur ein „Wahlreförmchen“. Momentan ist der Wahlbeobachter aber optimistisch gestimmt - auch dank des „Commitments“ Sobotkas.
Die wichtigsten Forderungen der Wahlbeobachter
- Vereinfachung und Harmonisierung des Wahlrechts
- Stärkere Förderung von Frauen in der Politik über die Parteien- und Klubförderung
- Stärkere Gewichtung von Vorzugsstimmen
- Neuberechnung der Verteilung von Direktmandaten über die Regionalwahlkreise
- Öffnung des Wahlbeisitzes
- Mehr Transparenz in der Wahlkampffinanzierung sowie erweiterte Kontrollrechte für den Rechnungshof
- Neuordnung der Briefwahl sowie der Auszählung der Wahlkarten
- Einheitliche Öffnungs-, Schließ- und Auszählungszeiten für Wahllokale
- Ermöglichung nationaler Wahlbeobachter