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Pressestimmen: "Kurz ähnelt stark Jörg Haider"

Deutsche Medien haben am heutigen Freitag die Ausgangslage vor den Nationalratswahlen am Sonntag und die möglichen Folgen des erwarteten Sieges von ÖVP-Chef Sebastian Kurz kommentiert. Dabei dominiert die Sorge vor einer möglichen Neuauflage einer schwarz-blauen Regierung.

Focus (München)

"Vor allem für Angela Merkel und die CDU könnte Kanzler Kurz zum schwierigen Partner werden - aus zwei Gründen: (...) Kurz gilt in der Flüchtlingspolitik als Hardliner. Er kritisierte die deutsche Willkommenskultur, setzte in Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge und schließlich die Schließung der Balkanroute durch. (...) Ein Wahlsieg des 31-Jährigen könnte auch in der Union den Wunsch nach einer personellen Erneuerung beflügeln. Nach den Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl mehrten sich ohnehin die Rufe nach neuem Personal."

Handelsblatt (Düsseldorf)

"Schon zweimal saß die FPÖ in der Regierung. Nun soll es wieder klappen - und die Chancen stehen bestens. Die mögliche Neonazi-Vergangenheit des Parteichefs interessiert kaum in der Alpenrepublik. (...) Das Zerwürfnis zwischen den regierungsgewohnten Sozialdemokraten und der konservativen ÖVP ist zu groß, um an eine Neuauflage von Rot-Schwarz zu glauben. Der Rechtsruck in Österreich scheint programmiert."

Münchner Merkur

"In Feststimmung sind allerdings wenige Österreicher. Der Wahlkampf im Nachbarland war teils zu einer unwürdigen Schlammschlacht mutiert - das letzte TV-Duell am Donnerstag hingegen zu einer eher faden Veranstaltung. Und das Wahlergebnis könnte die nächsten massiven Probleme bringen. Von der Koalitions-Hängepartie bis zum Rechtsrutsch. (...) So ist anzunehmen, dass Kurz das doppelte Kunststück gelingt: Mit Anfang 30 Kanzler - und als langjähriges Regierungsmitglied plötzlich Hoffnungsträger für einen Kurswechsel. Martin Schulz war das mit der SPD nicht gelungen. Obwohl er nicht einmal in der Regierungspolitik in Berlin beteiligt war."

Nord-West Zeitung (Oldenburg)

"Ob in Österreich ein Rechtsruck bevorsteht, scheint vor der Nationalratswahl am Sonntag kaum fraglich. Vielmehr lautet die Frage, wie stark er ausfallen wird. (...) Von ihren nationalsozialistischen Wurzeln hat sich die FPÖ von Heinz-Christian Strache zwar lange distanziert und Verbindungen zu Neonazi-Organisationen als Jugendsünden abgetan. Doch eine mögliche Regierungsbeteiligung der Partei sehen gerade nach dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag auch viele außerhalb Österreichs mit Sorge. Vor allem in der Flüchtlingspolitik könnte Österreich dann einen noch schärferen Kurs fahren als bisher."

Wirtschaftswoche (Düsseldorf)

"Sollte Kurz sich tatsächlich auf eine Koalition mit den Freiheitlichen einlassen, muss Österreichs Wirtschaft sich auf turbulente Zeiten einstellen. Denn eine Koalition aus ÖVP und FPÖ gab es Anfang der Jahrtausendwende schon einmal. Neben dem Imageschaden für Österreich stand diese vor allem für eine entfesselte Selbstbedienungsmentalität der politischen Kaste. (...) Sanktionen der EU-Länder hat Österreich heute wohl nicht mehr zu befürchten. Zu sehr ist der Kontinent durch Ungarns Präsident Viktor Orban und die rechtsnationale Regierung in Polen schon an verfassungsfeindliche Entgleisungen gewohnt. Eine massive Delle dürfte Österreichs wohlgehegtes Image aus Mozartkugeln und Lipizzanern durch einen früher in Neonazi-Kreisen verkehrenden Heinz-Christian Strache in Regierungsverantwortung aber allemal nehmen."

Rheinische Post (Düsseldorf)

"Im direkten Kontakt mit Anhängern ähnelt Kurz stark Jörg Haider, den legendären Rechtspopulisten, der vor rund 30 Jahren auszog, das ewig rot-schwarze Proporzsystem zu zerstören - und letztlich scheiterte. Welche Veränderungen Kurz will, wurde in diesem Wahlkampf nicht klar. Klar ist nur, er will Österreichs jüngster Kanzler werden. So fordert er schon mal nach deutschem Vorbild eine Richtlinienkompetenz, der sich Minister gegebenenfalls unterordnen müssten."

Huffington Post Deutschland (München)

"Kanzler Kern erklärte so bereits prophylaktisch, als Wahlverlierer nicht in eine Regierung einzutreten. Wenn Kern seine Drohung wahrmacht, liegt der Ball nach Sonntag wohl allein bei Kurz. Liefert er das deutsche Nachbarland damit an die Rechtspopulisten der FPÖ aus? (...) Mit ihrer scharfen Kritik am Islam treffen Kurz und Strache mitunter einen ähnlichen Ton, obwohl sich Ersterer immer noch bemüht, seriöser und weniger alarmistisch an die Probleme heranzugehen"