Wahl-Kampfzone Europa
Von Michael Bachner
1957 wurde mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge der Grundstein für die heutige EU gelegt. 60 Jahre später ist den wenigsten Europäern zum Feiern zumute.
Wenn die Staats- und Regierungschefs Ende März in Rom das EU-Jubiläum begehen, dürften sich so viele kritische Töne wie noch nie zuvor unter die Jubelmeldungen mischen.
Dass man mit einer pro-europäischen Haltung dennoch Wahlen gewinnen kann, hat Alexander Van der Bellen eindrucksvoll bewiesen. 67 Prozent der Bevölkerung wollen, dass Österreich in der EU verbleibt. Das zeigt eine Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik aus dem Jänner. Nur 25 Prozent sind heute für den "Öxit".
Dennoch schärfen SPÖ und ÖVP seit den Tagen der Flüchtlingskrise ihr Europa-Profil und bei dieser Nachschärfung wird die EU immer mehr zu einer Art Reibebaum. Ob es um die Verteilung der Flüchtlinge oder aktuell – für VP-Außenminister Sebastian Kurz – um die Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland geht; oder seien es die EU-Budgetregeln, unfaire Steuerpraktiken oder die Arbeitnehmerfreizügigkeit samt Lohndumping auf Seite der SPÖ.
Neue Spielregeln
"Es macht keinen Sinn, dass wir zwar ein einheitliches europäisches Recht haben, dieses aber nicht einhalten", sagte Kanzler Christian Kern im jüngsten KURIER-Doppelinterview mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. "Solidarität in Europa ist keine Einbahnstraße", hatte Kern schon beim Weltwirtschaftsforum in Davos deponiert.
Europa wird auf diese Weise mehr und mehr zur Wahlkampfzone zwischen SPÖ und ÖVP – ist aber auch ein wichtiges Abgrenzungsfeld der Regierungsparteien hin zu den Freiheitlichen.
Politologe Anton Pelinka sagt zum KURIER: "Kern und Kurz versuchen es auf FPÖ-light, sie haben FPÖ-Themen übernommen. Sie übersehen dabei, dass Van der Bellen als Pro-Europa-Kandidat gewonnen hat; und dass es auch geradezu lächerlich wirkt, wenn Kern und Kurz weder im Europäischen Rat noch im Außenministerrat durch konsistente Vorschläge zur Entwicklung einer EU-Politik aufgefallen sind, aber nun die EU – eben im FPÖ-Stil – zum Sündenbock machen."
Politikwissenschaftler Peter Filzmaier kann die EU-Strategie der Regierenden eher nachvollziehen: "Rot und Schwarz fahren eine Doppelstrategie, die schon aufgehen kann. Sie sagen, wir sind nicht die FPÖ und schimpfen nur – wir sind aber auch nicht diejenigen, die nationale Interessen vergessen." So würde das Arbeitsmarktthema bzw. die Eindämmung des Zustroms von Ost-Arbeitern durchaus zur SPÖ, die Einschränkung von Sozialleistungen durchaus zur ÖVP passen, so Filzmaier.
Das zentrale Wahlmotiv könne "Europa" bei einer Nationalratswahl kaum werden, sagt der Experte, wohl aber die eine oder andere Stimme bringen. Filzmaier erinnert der EU-Wettlauf zwischen Kern und Kurz auch an das alte "Erfolgsmodell der Landeshauptleute": In Brüssel ist man der Europäer, daheim spielt man lieber die nationale Karte.
Gut möglich, dass sich etwas von dieser Mischung auch im "Plan E" für Europa findet, den Kern Mitte kommenden Monats – offenbar nach dem EU-Gipfel am 9./10. März in Brüssel – präsentieren will.
Koordiniert wird das neue rote Europa-Papier von Infrastrukturminister Jörg Leichtfried. Er sagt zum KURIER: "Wir wählen einen positiven Zugang und werden eine EU skizzieren, die ein Vorbild in der ganzen Welt ist. Wir wollen die besten Produkte, die sauberste Energie, gut bezahlte Jobs und die größte Freiheit für jeden Bürger und jede Bürgerin. Und wir werden Lösungen anbieten, wie wir dorthin kommen."
Flüchtlinge im Fokus
Ob diese "Lösungen" ähnlich viel Wahlkampfmunition wie Kerns Plan A enthalten wird, darf bezweifelt werden. Aber die Themenpalette von Sicherheit bis Migration, von der Steuergerechtigkeit bis zum Arbeitsmarkt und der Handelspolitik hat es durchaus in sich, wenn man nur an das Gezerre rund um das Freihandelsabkommen mit Kanada denkt. Das Flüchtlingsthema bleibt freilich zentral.
Im aktualisierten Regierungsprogramm versprechen SPÖ und ÖVP nicht weniger als eine "aktive und selbstbewusste Außen- und Europapolitik". Kurz sagte dazu im Sommer nach dem ersten Schock über den Brexit: "Ich habe keine Angst vor Referenden, sondern Angst davor, dass die Europäische Union kein Vertrauen in der Bevölkerung mehr hat – und das gewinnt man nur durch Taten zurück."