US-Wahlen: Kampf um den zornigen Mittelstand
Am Montag beginnt in Philadelphia der Parteitag der Demokraten, vergangene Woche tagten die Republikaner in Cleveland. Die beiden Schauplätze sind nicht zufällig gewählt. Ohio und Pennsylvania gehören zu den Swing-States, die einmal republikanisch, ein andermal demokratisch wählen. Sie zu gewinnen, ist ein Schlüssel zum Sieg bei der Präsidentenwahl. "Kein Ohio, kein Weißes Haus", lautet eine Faustregel der US-Wahlexperten.
Doch die beiden Bundesstaaten haben noch etwas gemeinsam: Sie sind Industriestandorte, die schon bessere Zeiten gesehen haben.
Gespenstisch
Der Verlust von Industriearbeitsplätzen hat in manchen Regionen tiefe Spuren hinterlassen. Etwa in Cleveland. Großzügige, sechsspurige Autobahnen bilden die Stadteinfahrten. Sie sind Zeugen, dass hier einmal eine Million Menschen lebten, und der Bär los war. Heute sind die Stadt-Autobahnen sogar in Stoßzeiten gespenstisch leer. Cleveland hat in den letzten Jahrzehnten 60 Prozent seiner Bewohner verloren.
James, ein Mitt-Fünfziger und Babyboomer, erlebte die Entwicklung mit. Er ist Kraftwerks-Ingenieur. Jahrzehnte lang hatte James einen gut bezahlten Job bei immer der gleichen Firma. Er kaufte ein Haus und sah zuversichtlich einem gesicherten Leben im Alter entgegen.
Doch es kam anders. James wurde arbeitslos, verdingt sich jetzt mit "Uber"-Fahrten ein Zubrot, und sein Haus ist nicht einmal mehr so viel wert wie die Hypothek, die darauf lastet. "Zuerst sind die Stahlwerke weg, dann Ford, dann Chrysler, und dann kamen auch die Kraftwerksbauer unter Druck", erzählt James.
Die Jungen haben es da schon schwieriger. "Die halten sich mit drei, oft vier Jobs über Wasser", erzählt James. Die Löhne seien knausrig. Seine Tochter arbeitet im Lebensmittelhandel. "Sie arbeitet hart und kriegt dennoch nicht mehr als 20.000 Dollar im Jahr."
Mit dem Abwandern der Industrie sind Arbeitslose und Jugendliche ohne Aussichten auf gute Ausbildung und gute Jobs zurück geblieben. Mit der Perspektivlosigkeit steigt die Kriminalität und sinkt der Wert der Immobilien in den betroffenen Gegenden. "Manche Häuser", erzählt James, "sind nur noch 35.000 Dollar wert, so viel wie ein besserer Neuwagen."
Die Dienstleistungsbranche ist für die verlorenen Industrie-Arbeitsplätze ein schlechter Ersatz, weil sie viel niedrigere Löhne zahlt.
Mary, 50, Investmentbankerin, verdiente vor der Finanzkrise 70.000 Dollar. In der Krise wurde sie arbeitslos, mit jedem neuen Job sank ihr Einkommen, zuletzt auf 29.000 Dollar. Jetzt ist sie gerade wieder auf Jobsuche. Ihr Haus will sie verkaufen, so lange es noch was wert ist.
Mary, James und seine Tochter sind keine Einzelfälle. Wie die Statistik zeigt, sinkt das Einkommen der amerikanischen Mittelklasse – und der Mittelstand an sich schrumpft ebenfalls. Die Ränder – Arme und Wohlhabende – wachsen an.
Wie Dracula
An dieser Entwicklung entzündet sich die politische Debatte im laufenden Wahlkampf. Donald Trump will den Freihandel einschränken, Immigration stoppen und die Kohle-Industrie in Pennsylvania fördern.
Bei den Demokraten setzte sich Bernie Sanders auf das Thema. Hillary Clinton hingegen gilt als Gefolgsfrau des Big Business. James Dimon, der CEO von JPMorgan Chase, war einer ihrer Sponsoren. Dimon kündigte kürzlich eine Mindestlohnerhöhung für seine Angestellten an – von 10,15 Dollar Stundenlohn auf 12 bis 16,50 Dollar. Er selbst verdiente in Vorjahr 27 Millionen. "Das ist, wie wenn Dracula sagt, in Zukunft saugt er nicht mehr 100 Prozent aus seinen Opfern, sondern nur mehr 98 Prozent", ätzte Maria Bustillos, Kolumnistin in der Los Angeles Times.
Auf der Convention der Demokraten wird es eine Schlüsselfrage sein, ob Clinton die Sanders-Anhänger von sich überzeugen kann.
Allerdings glauben Experten, dass der schrumpfende Mittelstand ohnehin an wahlentscheidender Bedeutung verliere.