Adoptions-Urteil: Karl will rasch handeln
Es ist ein Sieg für die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare in Österreich: Ein in Österreich lebendes lesbisches Paar hat vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg einen Sieg im Streit um die Adoption eines Burschen errungen. Wie schon so oft hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof dabei einer Entscheidung der österreichischen Gerichte widersprochen. Die Richter urteilten am Dienstag, die fehlende Möglichkeit einer Stiefkindadoption diskriminiere gleichgeschlechtliche Paare in Österreich im Vergleich zu unverheirateten heterosexuellen Paaren, bei denen ein Partner das leibliche Kind des anderen adoptieren möchte.
Die Antragsteller sind zwei Österreicherinnen, beide Jahrgang 1967, die in einer Partnerschaft leben. Das Sorgerecht für den 1995 geborenen Buben hat nur eine der beiden; die andere kümmert sich allerdings im selben Ausmaß um ihn wie die leibliche Mutter.
Die beiden Frauen klagten gegen die Weigerung der österreichischen Gerichte, der Adoption des Burschen durch die Partnerin der Mutter zuzustimmen, ohne dass damit die rechtliche Beziehung der leiblichen Mutter zu dem Kind aufgehoben würde. Sie beriefen sich auf das in der europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Diskriminierungsverbot in Verbindung mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
Behördengang in Österreich
Im Jahr 2005 suchten die beiden Frauen im Namen der nicht-leiblichen Mutter erstmals um eine Adoption des Buben an – ein Anliegen, mit dem man sowohl vor dem Bezirksgericht als auch vor dem Verfassungsgerichtshof als letzte Instanz scheiterte. Die Begründung: Der adoptierende Partner ersetze den leiblichen Vater – und aufgrund des Geschlechtsunterschieds könne dem Antrag nicht stattgegeben werden. De facto heißt dies, eine Adoption sei nur einer männlichen Person möglich. Auch der OGH bestätigte das Urteil im Jahre 2006.
Gesetzesänderung noch heuer
Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) will noch im Frühjahr eine Neuregelung für die Adoption von Stiefkindern in homosexuellen Partnerschaften vorlegen. Man nehme das Urteil sehr ernst und werde es noch in dieser Legislaturperiode umsetzen, hieß es am Nachmittag gegenüber der APA. Im Justizressort rechnet man mit einer Zustimmung der SPÖ (siehe auch Reaktionen unten). Einen etwaigen Gesprächstermin mit der SPÖ gebe es aber nicht.
Noch im Frühjahr will Karl eine Regierungsvorlage vorlegen, wie man die Stiefkind-Adoption für homosexuelle Partner öffnet. Es gehe dabei nur um einen Paragrafen, der geändert werden muss. Entscheidend sei, dass es dabei nur um die Adoption von Stiefkindern geht, ein leibliches Kind von einem Partner ist dabei schon vorhanden. Die reguläre Adoption soll weiterhin heterosexuellen Ehepartnern vorbehalten sein. Dabei handle es sich um eine "feste Überzeugung", begründete ein Sprecher die Unterscheidung.
Sieg in Deutschland
Auch in Deutschland wurde ein wichtiges Urteil gefällt - dort ist man allerdings schon einen Schritt weiter: Bis heute durften homosexuelle Partner zwar das leibliche Kind des anderen adoptieren, nicht aber ein Adoptivkind. Das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat Beschränkungen beim Adoptionsrecht homosexueller Lebenspartner für verfassungswidrig erklärt (mehr dazu hier).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am Dienstag ein – vor allem für Österreich – interessantes Urteil gefällt: Homosexuellen Menschen darf die sogenannte Stiefkind-Adoption nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verweigert werden. Österreich diskriminiere homosexuelle Paare, hat der EGMR festgestellt.
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ist „hoch erfreut“ über den Richterspruch. Sie strebt die generelle Gleichstellung von homosexuellen und heterosexuellen Paaren in Sachen Ehe und Adoption an. Die ÖVP steht hingegen auf der Bremse – und will lediglich die Stiefkind-Adoption ermöglichen. Experten sehen das Urteil allerdings auch als „richtungsweisend“ an.
Was besagt das Straßburger Urteil konkret? Ab wann hat es Gültigkeit? Der KURIER liefert Antworten.
Was war der Auslöser für das Urteil des Gerichtshofes?
Zwei Österreicherinnen, die in einer Partnerschaft (in einem Haushalt) leben, hatten sich 2007 an den EGMR gewandt: Eine der beiden Frauen hat einen Sohn (heute 17 Jahre alt), ihre Partnerin wollte diesen adoptieren. Der Sohn war unehelich geboren worden. Die Mutter hat das alleinige Sorgerecht. Der Antrag auf Adoption wurde von österreichischen Gerichten abgelehnt. Die Begründung lautete grob umrissen, dass laut Gesetz unter Eltern zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts zu verstehen seien – und dass bei einer Adoption eines Kindes durch eine Frau das Sorgerecht der gleichgeschlechtlichen Person (also der leiblichen Mutter) erlöschen würde. Die Regenbogen-Familie rief den EGMR an. Sie berief sich auf Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das heißt, das Paar fühlte sich durch die Entscheidungen der heimischen Gerichte diskriminiert und in seinem Recht auf Achtung des Familienlebens beeinträchtigt.
Was besagt das Urteil des EGMR in Straßburg konkret?
Die Richter des EGMR haben festgestellt, dass homosexuelle und heterosexuelle Paare in Österreich ungleich behandelt werden – und Österreich habe „keine überzeugenden Argumente zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Ungleichbehandlung zum Schutz der Familie oder des Kindeswohls vorgebracht“. Das heißt, weil unverheiratete heterosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen, kann dieses Recht homosexuellen Paaren allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht verwehrt werden. Der Gerichtshof betont allerdings, dass die Menschenrechtskonvention die Staaten nicht verpflichte, nicht verheirateten Paaren ein Recht auf eine Stiefkind-Adoption einzuräumen. In Frankreich gibt es dieses Recht zum Beispiel nur für verheiratete Paare. Das ist aus Sicht des EGMR menschenrechtskonform.
Wann gilt das Urteil?
„Ab sofort. Das Urteil hat die Große Kammer des EGMR gefällt. Es gibt keine weitere Instanz, bei der das Urteil bekämpft werden kann“, erklärt Helmut Graupner, jener Wiener Anwalt, der die beiden Österreicherinnen in Straßburg vertreten hat. Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer sagt im KURIER-Gespräch: „Das Urteil gilt sofort, weil die Mitgliedsländer verpflichtet sind, der Rechtsauffassung des EGMR Rechnung zu tragen.“
Was bedeutete das Urteil für eingetragene Partnerschaften?
Im Gesetz für eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle („Homo-Ehe“), das seit 2010 in Österreich gilt, ist dezidiert ein Adoptionsverbot festgehalten. Das Urteil von Straßburg bezieht sich auf ein nicht-verpartnertes homosexuelles Paar. Anwalt Graupner meint allerdings, dass es auch für andere Fälle richtungsweisend ist. „Es laufen auch zu Stiefkind-Adoptionen von verpartnerten Paaren schon Verfahren.“ Und Graupner ist sicher, dass diese Paare ebenfalls Recht bekommen werden. Das sieht auch Heinz Mayer so: „Der Gerichtshof sagt, was ich heterosexuellen Paaren zugestehe, muss ich auch homosexuellen Paaren zugestehen.“ Auch Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk ist der Ansicht, dass das Straßburger Urteil „richtungsweisend“ ist. Für ihn ist es „evident, dass es in Richtung einer Liberalisierung des Adoptionsrechts gehen wird“.
Dürfen homosexuelle Paare künftig generell Kinder adoptieren?
Derzeit ist das in Österreich nicht erlaubt. Anwalt Graupner ist aber überzeugt davon, dass Österreich künftig auch homosexuellen Paaren erlauben muss, Kinder zu adoptieren. Denn der EGMR habe in seinem Urteil vom Dienstag grundsätzlich festgestellt, dass es dem Kindeswohl nicht schade, wenn ein Kind bei einem homosexuellen Paar lebe. Auch Verfassungsrechtler Mayer meint, dass das Adoptionsrecht für Homosexuelle „nicht verweigert werden kann“. Ebenso sieht das Verfassungsrechtler Funk: „Es ist absehbar, dass es früher oder später darauf hinauslaufen wird, dass gleichgeschlechtliche Paare in Bezug auf Adoptionen heterosexuellen Paaren gleichgestellt werden.“ Wenn Österreich seine Gesetze nicht ändere, werde es zu weiteren Verurteilungen durch den EGMR kommen.
Wie sehen die Konsequenzen aus Sicht von SPÖ und ÖVP aus?
Die SPÖ fordert, wie erwähnt, schon länger, dass homosexuelle Paare heiraten und Kinder adoptieren dürfen. „Es wird höchste Zeit, dass Österreich auf diesen Zug aufspringt und nicht unter den Schlusslichtern in der EU bleibt“, sagt Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Sie möchte darüber mit der ÖVP verhandeln. In der ÖVP sieht man das anders. Familienminister Reinhold Mitterlehner sagte gestern, man müsse sich die Sache zwar noch genauer ansehen, aber es gebe keinen Anlass für eine große Reform. Es bleibe weiterhin jedem Staat überlassen, ob er die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare öffne oder nicht – und Mitterlehner sieht dafür keinen Anlass. Auch Justizministerin Beatrix Karl will lediglich die Stiefkind-Adoption ermöglichen. Sie hat angekündigt, im Frühjahr einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Die reguläre Adoption solle aber weiterhin heterosexuellen Ehepartnern vorbehalten sein, hieß es im Justizministerium.
Das Urteil ist bei den Grünen, bei HOSI und der Wiener SPÖ auf Zustimmung gestoßen. Die Grünen kündigten in einer Aussendung einen entsprechenden Antrag im Nationalrat an.
Die für Antidiskriminierung zuständige Wiener SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger ist ebenso erfreut über das Urteil und sieht nun die ÖVP gefordert, ihre Vorstellung von Familie zu überdenken: Die "vermeintliche Familienpartei" ÖVP dürfe sich nicht hinter ihrer "veralteten Position" verstecken, sondern müsse Verantwortung übernehmen und solle Entscheidungen nicht länger an Gerichte auslagern, erklärte Frauenberger in einer Aussendung.
"Erleichtert" über das Urteil war Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig: "Das ist ein Schritt in Richtung europäische Normalität und bringt Sicherheit insbesondere für 'mitgebrachte' Kinder und Jugendliche in schwulen und lesbischen Beziehungen. Sie können gerade im schwierigen Fall des Todes eines leiblichen Elternteiles in der gewohnten Familie bleiben." Die Grünen kündigten weiters einen Antrag in der kommenden Nationalratssitzung an, welcher das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare beinhaltet.
Appell an die ÖVP
Die Wiener Homosexuellen Initiative HOSI zeigte sich "hocherfreut" über das Urteil des EGMR. "Dies untermauert die Berechtigung unserer langjährigen Forderung an die österreichische Innenpolitik, entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen", erklärte Obmann Christian Högl in einer Aussendung. Es sei jedoch bedauerlich, dass es erst einer Verurteilung durch den EGMR bedürfe. HOSI appelliert insbesondere an die ÖVP, auch alle anderen gesetzlichen Unterschiede zwischen Eingetragener Partnerschaft und Ehe zu beseitigen.
Erfreut zeigte sich auch die SoHo (Sozialdemokratische Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen Organisation), da das Urteil die "massive Diskriminierung von Regenbogenfamilien" beende. Die ÖVP fordere man auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen, hieß es.
Im Jahr 2012 haben sich 386 gleichgeschlechtliche Paare verpartnern lassen. Das waren um 10,9 Prozent weniger als im Jahr davor. Unverändert blieb das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Männern und Frauen: Auch 2012 waren 59,8 Prozent der Paare, die eine Partnerschaft eingingen, männlich. Das gab die Statistik Austria am Dienstag bekannt.
Die gleichgeschlechtlichen Partner sind überwiegend 30 bis 50 Jahre alt (57,5 Prozent). Die meisten von ihnen, nämlich 84 Prozent, waren vor der Begründung der eingetragenen Partnerschaft ledig, beinahe die Hälfte der Paare lebt in Wien.
In der Bundeshauptstadt Wien ließen sich im vergangenen Jahr 179 Paare verpartnern, um 20 Prozent weniger als 2011. Im Bundesländervergleich folgen Niederösterreich mit 52 Partnerschaften, die Steiermark mit 46 und Oberösterreich mit 41. In Tirol sind 23 Paare eingegangene Partnerschaften eingetragen, in Salzburg 19, in Kärnten zwölf und in Vorarlberg sowie im Burgenland jeweils sieben.
Bei 64,2 Prozent der Paare hatten beide Teile die österreichischen Staatsbürgerschaft, in 29,3 Prozent der Fälle ein Teil, in nur 6,5 Prozent der Fälle keiner.
Die bisher höchste Zahl an Neueintragungen gab es 2010, als es erstmals die Möglichkeit gab, eine Partnerschaft bei den dafür zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden eintragen zu lassen: Damals ließen sich 705 Paare verpartnern, zwei Drittel waren männlich.