Politik/Inland

Strolz über Türkis-Blau: "Da ist ein Plan für ein anderes Regime"

Matthias Strolz absolvierte Donnerstag eine seiner letzten Parlamentssitzungen. Bis Ende September ist er noch Neos-Klubchef, dann zieht er sich komplett aus der Spitzenpolitik zurück.

KURIER: Sie haben sich jüngst als Ex-Kurz-Fan geoutet, weil er nun sein Talent für die falsche Politik verschwende. Was stört Sie konkret?

Matthias Strolz: Davon bin ich überzeugt. Kurz kommt aus der Generation Erasmus und Interrail, die vom europäischen Projekt unheimlich profitiert hat, mit hoher Lebensqualität, hohem Lebensstandard und einem sozialen Frieden. Das alles können wir in den nächsten Jahrzehnten aber auch wieder verlieren, wenn wir das Miteinander verlieren. Wenn die EU wieder zerfällt in 27 Insellösungen, haben wir keine Chance, die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte zu adressieren. Da ist die Migration nur eine davon. Wir haben die Souveränität über unsere Daten an Internetgiganten aus den USA und China verloren, damit hängen wir an der Nadel fremder Mächte. Wir haben Nachbarn wie Putin, der mit seinen Trollfarmen in europäische Wahlkämpfe eingreift. Wir stehen insgesamt in einem Ring aus Feuer – von Libyen bis zur Ukraine brennt es, dazwischen die Kriege in Syrien und Jemen, und in der Türkei, Algerien oder Ägypten sieht es auch nicht gut aus. Da braucht es andere Antworten als diese elenden Verbrüderungen von Nationalisten von Orban bis Salvini – und Sebastian Kurz mittendrin.

Ein geopolitisches Versagen?

Europa hat keinen der Weckrufe gehört, weder die Bomben Putins, noch die erratische Twitterpolitik von Trump noch das machtpolitische Aufbegehren von China, wo wir einen Krieg im südchinesischen Meer befürchten müssen. All das wird ausgeblendet von den EU-Staatenlenkern mit ihren 27 politischen Kleingartensiedlungen. Wenn sie glauben, damit die nächste nationale Wahl oder inzwischen auch Landeswahl wie in Bayern gewinnen zu können, sind sie auch bereit, die Gartenhecke beim Nachbarn anzuzünden. Dass damit auch ihre eigene Hecke brennt, ist im Kalkül, und ihnen egal, derart schmerzbefreit und opportunistisch sind die. Da gibt es die hochgradig Unappetitlichen wie den Salvini in Italien, denen geht es ja nur darum, Sündenböcke zu produzieren und damit Stimmung und Stimmen zu machen.

Diese politische Erosion sehen Sie auch in Österreich?

Ja. Ich glaube zwar nicht, dass Kurz da eine spezielle Vision hat, er will nur machtpolitisch erfolgreich sein. Aber Orban war auch einmal ein liberaler Posterboy, und heute schließt er kritische Zeitungen, Unis und Vereine jenseits jeglicher europäischer Regeln. Das kommt immer in kleinen Dosen. Nur in Summe, wenn wir uns das über mehrere Jahre anschauen, sind das rasant laufende Entwicklungen, wo völlig unklar wird, ob die EU in zehn Jahren noch existiert oder wir in ein paar Jahren nur gelenkte Demokratien haben werden. Das halte ich alles für möglich. Österreich ist derzeit auf der Einfahrt in diese Sackgasse. Wenn sehe, wie wir im Parlament zusammenarbeiten, wie hier die Prozesse erodieren, sind das alles Puzzleteile, die Österreich zu einem Wackelkandidaten machen.

Sie sagten im Parlament, „Nicht nur speed kills, sondern auch Ignoranz und Überheblichkeit“. Welche meinen Sie damit?

Für mich ist der Parlamentarismus derzeit schwer in Gefahr: Gesetze werden im Huschpfusch ohne Begutachtung durchgepeitscht, der Parlamentspräsident wird Chefverhandler der Sozialversicherungsreform, womit er nicht mehr überparteilich agieren kann. Das Problem ist, Kurz interessiert das Parlament und die Gesetzgebung nicht, er braucht es nur für seine Machtentfaltung. Inzwischen muss man aber annehmen, dass da ein Plan dahintersteckt, eine Haltung, die lautet: Wir werden ein anderes Regime installieren, und das heißt nicht mehr liberale Demokratie.

Die Sorge ist schon so groß?

Absolut. Wir sitzen alle im Wasser und merken wie der Frosch nicht, dass wir langsam gekocht werden. Wenn man sich die vielen kleinen Änderungen anschaut und sich dann vorstellt, was das für die kommenden Monate und Jahre heißt, dann Gute Nacht! Irgendwann wird so das Parlament verkommen sein zu einer Werkbank der Regierung, ohne Debatte oder Widerrede. Weil der Putin, der Orban und der Erdogan, die haben auch Parlamente.

Damit sehen Sie auch die europäischen Werte erodieren?

Ja, die Werte der französischen Revolution, die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderlichkeit, die Pate gestanden sind für die europäische Integration, sind derzeit überall unter Druck. Damit sind wir Europäer aber am Weg, die Zukunft unserer Kinder zu vergeigen, weil wir uns nicht um die echten Probleme kümmern. Stattdessen haben die Rechtspopulisten den Befehl ausgegeben, jeden Tag das Thema Flüchtlinge neu aufzukochen, mit Deutschklassen, Kopftüchern, Manövern an der Grenze, Polizeipferden.

Ein düsteres Bild, das sie da zeichnen. Und genau in dieser Situation verlassen Sie die Politik?

Die Frage bekomme ich öfter und ich verstehe sie auch. Aber ich glaube nicht an die Theorie des einen starken Mannes in der Politik. Und ich bin überzeugt, dass meine Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger mit der gleichen Leidenschaft die Themen angehen wird.

Um in Sachen Flüchtlingen Afrika zu helfen, plädieren Sie für Städtepartnerschaften, um den dort wachsenden Städten Knowhow geben zu können?

Afrika wird in den kommenden Jahrzehnten stark wachsen, da müssen auch im großen Stil Chancen wachsen, sonst werden wir gewaltige Verwerfungen haben, egal wie hoch die Zäune sind. Wenn Chancen wachsen, können Flucht und Tod verhindert werden. Das Sterben auf den Fluchtrouten geht derzeit ja weiter. Das finde ich beklemmend. Ich will auch möglichst wenige Flüchtlinge. Aber dann brauchen wir eine andere Politik. Man kann die Toten wegwischen, jene die ertrinken oder in der Sahara verdursten. Aber damit geht es mir gar nicht gut. Wenn ich Tauchen bin im Mittelmeer sehe ich ab und an diese Augen, die mich anstarren, im Wasser. Vielleicht ist das eine Berufskrankheit, weil ich Politiker bin. Aber das kann und darf uns nie kalt lassen. Und ich weiß, das sind alles keine Dinge, die die Menschen hören wollen. Aber die Dinge, die man hören will, sagen ohnehin Kurz und Strache.