Politik/Inland

Strasser wollte „not too much paper“ beim Lobbying

Die Journalisten kommen nicht als Zeugen, weil ihnen ein „verhüllter“ Auftritt verwehrt wird. Strasser wollte Schriftliches vermeiden. Zeugen müssen ihr Gesicht herzeigen. Die Richter sollen zumindest das Mienenspiel mitbekommen, um daraus ableiten zu können, ob man ihnen die Wahrheit serviert oder Lügen auftischt. Das steht seit 2008 im Gesetz, nachdem durch Vollvisierhelme verdeckte Zeugen der Anklage in den sogenannten Operation-Spring-Prozessen für heftige Kritik gesorgt hatten.

Die beiden englischen Journalisten der Sunday Times, die – als Lobbyisten getarnt – den ehemaligen EU-Parlamentsabgeordneten Ernst Strasser laut Anklage der Korruption überführt haben sollen, wollten auch nur verhüllt vor Gericht erscheinen. Jonathan Calvert und Claire Newell möchten ihre Anonymität wahren, um weiterhin verdeckt recherchieren zu können. Das steht, bis zum erwähnen Mienenspiel, aber nur gefährdeten Zeugen zu. Nachdem Strasser aufgeflogen war, hat er zwar gegen die Journalisten ein Ermittlungsverfahren wegen der heimlichen Aufnahmen in Gang gesetzt. Unter Gefährdung wird aber nur ein drohender Angriff auf das Leben verstanden. „Es besteht also keine Aussagebereitschaft“, resümierte Richter Georg Olschak. Was bleibt, sind die Videos der Treffen zwischen Strasser und den Journalisten, die der Angeklagte für Geheimdienstler gehalten haben will.

Die Technik

Am dritten Prozesstag war die Tonqualität endlich annehmbar. Olschak erklärte, man sei keineswegs technisch unvorbereitet gewesen, aber selbst das beim ORF eingeholte Know-how und eine vom Oberlandesgericht Linz gelieferte Top-Anlage habe nicht gleich den gewünschten Erfolg gebracht.

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Bei einem Treffen im Jänner 2011 in Straßburg zum Frühstück wurde viel gescherzt. Claire Newell rückte einer Kiwi zu Leibe. Strasser sonnte sich in der vermeintlichen Bewunderung durch seine Gesprächspartner, prahlte mit seinem Zweitwohnsitz in Mallorca, zu dem er „not more than five hours from door to door“ benötige. Er sprach von seinen Klienten, denen das Wasser – unterstrichen mit einer Handbewegung – bis zum Hals stehe („The water is to here“), bevor er ihnen geholfen habe: „Eveybody likes a lucky client.“ Und das funktioniere, wenn man mit jemandem von der EU-Kommission rede: „Go golf with him or whatever, yes, invite him to Wimbledon.“ Wichtig erschien Strasser, bei der begehrten Intervention auf EU-Gesetze („influence the legislation“) „not too much paper“ zu produzieren, „but to speak about it“. Zu weiteren Treffen kam Strasser mit „good news“. Er könne für die Kunden der Lobbyisten etwas bei der geplanten Rücknahmepflicht von Elektronikschrott drehen. Es sei bloß an Ausnahmen für Geschäfte mit zehn Quadratmetern gedacht, „ten is crazy, did you see a shop that is ten square meters?“ Man möge ihm sagen, bis zu welcher Größe er für Ausnahmen sorgen solle.

Auffällig ist, dass Strasser viel preisgibt, aber wenig nachfragt. Dabei wollte er ja angeblich aufdecken, wer da dahintersteckt. Als es bei einer der letzten Zusammenkünfte darum ging, für wen Claire Newell (die sich „Victoria“ nannte) und ihr Partner arbeiten, sagte Strasser: „Ich frage nicht, wer ihr Klient ist. Ich will es nicht wissen.“

Fortsetzung am Montag.

Seit Montag sitzt Ernst Strasser mindestens acht Tage lang wegen Bestechlichkeit auf der Anklagebank im Wiener Straflandesgericht – es drohen ihm bis zu zehn Jahre Gefängnis. Der studierte Jurist, einstige Innenminister und ehemalige Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament soll im November 2010 zwei als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten bei einem Abendessen angeboten haben, für ein Honorar von 100.000 Euro die Gesetzgebung im EU-Parlament zu beeinflussen.

Im Mittelpunkt des Prozesses stehen die Videobänder, welche die als Mitarbeiter der angeblichen Lobbyingagentur Bergman & Lynch getarnten Journalisten bei den Treffen mit Strasser heimlich mitlaufen ließen. Strasser sagt dort: „Mir ist es lieber, wir haben einen Vertrag auf, sagen wir, jährlicher Basis ... ich bin nicht wirklich ein Fan davon, Stunden zu zählen ... also meine Klienten zahlen mir im Jahr 100.000 Euro, ja.“

Dafür könne er wunschgemäß jedes von den „Gutmenschen“ im EU-Parlament behandelte Thema beeinflussen, seien es der Anlegerschutz oder gentechnisch veränderte Nutzpflanzen. Alles nur Provokation, um die Journalisten, die er für Geheimdienstler gehalten habe, aus der Reserve zu locken, sagt Strasser jetzt.

Im Zuge der Lobbygate-Affäre wurden auch unmoralische Angebote anderer EU-Politiker publik - darunter Adrian Severin (Rumänien), Zoran Thaler (Slowenien) und Pablo Zalba Bidegain (Spanien). Thaler trat nach dem Skandal zurück, die anderen beiden Mandatare sind nach wie vor im EU-Parlament tätig.

Strasser musste nach der Veröffentlichung der Videos Ende März 2011 auf Drängen der VP zurücktreten. Das Urteil soll im Jänner fallen.