Politik/Inland

Stadtschulratschef: "Ganztagsschule gratis für alle"

KURIER: Wie beurteilen Sie das neue Bildungsprogramm der türkis-blauen Regierung?

Heinrich Himmer:Begrüßenswert ist die Aufwertung des Kindergartens, der jetzt als Bildungseinrichtung gesehen wird. Auch, dass die Modellregion zur Gemeinsamen Schule nicht angerührt werden, ist gut. Wir werden in Wien damit starten und mit wissenschaftlicher Begleitung beweisen, dass dieses System besser ist. Unterm Strich besteht das neue Programm aber eigentlich nur aus Überschriften.

Hat sich Bildungsminister Heinz Faßmann nicht ohnehin vom Wahlslogan "Deutsch vor Schuleintritt" distanziert? Er will nur zusätzliche Deutsch-Stunden.

In Wien haben wir in der Vergangenheit viele Sprachfördermaßnahmen ausprobiert. Faßmanns jetziges Modell ist das richtige, das gibt es schon in Wien, wo Kinder als außerordentliche Schüler geführt werden und eigenen Sprachunterricht erhalten.

Wie geht man mit den Schülern um, die unsere Sprache nicht beherrschen?

Wie das geht, zeigt das Integrationspaket, mit der zusätzliche Sprachförderung bezahlt wird. Die nötigen 80 Millionen Euro werden vom Bund von Jahr zu Jahr bewilligt. Hier ist leider noch völlig unklar, ob es diese Mittel in Zukunft geben wird. Genauso die "Übergangsklassen" – Deutschlehrgänge für nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge. Uns wurde versprochen, dass wir zehn dieser Lehrgänge eröffnen dürfen. Nach der Wahl heißt es, dass das Geld nicht freigegeben wird. Dabei will die Regierung doch genau das.

Geplant ist, dass Schulstandorte mit besonderen Herausforderungen auch zusätzlich gefördert werden.

Das Problem ist, dass die bisherigen vier Kriterien für eine Förderung (Nichtdeutsche Umgangssprache, Arbeitslosigkeit, Eltern im untersten Viertel des Einkommens und Migrationshintergund) künftig nicht mehr gelten. Aber was sind dann die Kriterien? Da fehlt die Antwort. Im Programm der neuen Bundesregierung steht etwas von einer regionalen Aufteilung von Mitteln. Das kann auch mehr Geld für Kleinstschulen heißen.

Ganztagsschulen sind für Kinder in sozialen Brennpunkten notwendig. Was müsste Wien tun?

Die Stadt tut schon viel. Nur müssen jedes Jahr 110 Pflichtschulklassen neu eröffnet werden. Die Idee ist, dass zukünftig nicht die Berufstätigkeit der Eltern ausschlaggebend ist, damit ein Kind einen Ganztagesplatz erhält – und zwar vom Kindergarten bis in die Oberstufe. Was wir bereits machen ist, dass wir Ressourcen nutzen, in dem wir mit Volkshochschulen und Vereinen im "Bildungsgrätzl" kooperieren.

Familien bleiben den Beitrag für die Ganztagsschule öfter schuldig, Wien hat hohe Außenstände. Geht das nicht besser?

Oft ist die Ursache, dass die Eltern das Geld einfach nicht haben. In solchen Fällen versucht man, eine Lösung zu finden. Ein kostenfreier Zugang zur Ganztagsschule für alle wäre die Lösung. Wir haben in Wien die meiste Nachfrage an solchen Plätzen.

Die Regierung will künftig härter gegen Eltern vorgehen, die sich zu wenig um die Bildung ihrer Kinder kümmern. Gut so?

Nein, wir müssen Eltern zu Beteiligten machen, auch wenn das ein harter Weg ist. Wir haben ja das fünfstufige Verfahren bei Schulschwänzen aus gutem Grund: Meist ist es eine Überforderung der Eltern, deshalb suchen wir das Gespräch. Ich kann mir aber auch Belohnungen vorstellen, wie wir das beim Mutter-Kind-Pass haben. Den könnte man um Bildungsinhalte nach einem bestimmten Forderungskatalog erweitern – da kann ich mir eine gewisse Strenge vorstellen.

In der Volksschule liegt viel im Argen, das zeigen nicht nur die Ergebnisse der Bildungstests. Eigentlich sollten die Schüler lesen, schreiben, rechnen lernen.

Also dass da grundsätzlich etwas im Argen liegt, ist eine Unterstellung. Aber sicher gibt es Kinder, die dort Grundlegendes nicht lernen: Mein Vorschlag: Die Schule muss ganztägig, verschränkt, kostenfrei sein und ein gutes Freizeitangebot machen. Ohne Unterstützungspersonal wie Sozialpädagogen wird es nicht gehen.

Geplant ist von der neuen Regierung auch eine Bildungspflicht bis 18, ist das positiv?

Es ist falsch, anzunehmen, dass man die Schule einfach verlängert und dann wird es besser. Eine Ausbildungspflicht ist gut, man muss etwas leisten, es muss aber nicht Schule sein. Diese Jugendlichen brauchen vielmehr berufsorientierte Programme, die etwas bringen und Erfolgserlebnisse. Das ist sonst ein Teufelskreis, aus dem sie heraus müssen.