Politik/Inland

So sahen uns die Nachbarn

Ein national wie international beherrschendes Thema: Flüchtlinge. Vier geschlagene Landtagswahlen mit historischen Stimmenzugewinnen der Freiheitlichen Partei. Nationale Rekordarbeitslosigkeit in Österreich, internationale Syrien- & Iran-Gespräche in Wien. Der KURIER fragt bei Korrespondenten nach, wie sie das Politikgeschehen, die Zeit nach der Bildungsreform und vor der Bundespräsidentenwahl 2016 wahrnehmen. Joachim Riedl von der Wochenzeitung Die Zeit, Stephan Löwenstein von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Björn Hengst von Spiegel Online über die Querelen um die "bauliche Maßnahme" namens Grenzzaun, offenkundigen Meinungsverschiedenheiten der SPÖ-ÖVP-Koalition, die Unterschiede zwischen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung und die Gemeinsamkeiten von Angela Merkel und Werner Faymann.

Welcher heimische Politiker welcher Couleur fiel heuer auf? Wer durch und weshalb? Was bleibt? Was droht? Warum Österreichs Politik doch "nichts Operettenhaftes" hat, Heinz Christian Strache "in Siebenmeilenstiefeln in Richtung Ballhausplatz unterwegs ist" und die Konflikte zwischen Bayern und Österreich in der "Flüchtlingskrise berechtigt" waren.

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Joachim Riedl, Korrespondent "Die Zeit"

"Diese Regierung macht nur Management by Chaos"


Die Zeit. .„Innenministerin Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Klug sind einerseits nicht wahnsinnig talentierte Politiker, und haben andererseits die undankbarsten Jobs der Republik“, urteilt Joachim Riedl, Leiter des Wiener Büros der deutschen Wochenzeitung Die Zeit. „Wenn dann noch alle fünf Parteien den Verteidigungsminister auffordern, er soll aufhören zu sparen, dann wird das Ganze kabarettistisch. Oder der Schildbürgerstreich mit den Löchern im Zaun. Die Koalitionsparteien glauben, man könne den Abfluss der Wähler stoppen, wenn man ausreichend politische Konzessionen in Richtung FPÖ macht. Das ist natürlich Unsinn, hat in den vergangenen 20 Jahren nicht funktioniert und funktioniert heute auch nicht.“ Häupl und StracheFür Riedl sind Wiens Bürgermeister Michael Häupl und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache die politischen Personen des Jahres. „Häupl hat konsequent seine Wiener Willkommenskultur durchgezogen, professionell gemanagt, und das ganz im Gegenteil zu allen anderen Bundesländern. Er ist der starke Mann der SPÖ, und das Wohl und Wehe des Bundeskanzlers ist von ihm abhängig.“ 2015 sei auch das Jahr Straches gewesen, weil dieser „mit Siebenmeilenstiefel in Richtung Ballhausplatz“ unterwegs sei. „Strache ist der ganz große Profiteur der Flüchtlingsdiskussion.“ Die Regierung mache für Riedl nur mehr „Management by Chaos, immer nur herumprobieren, aber immer ohne klare Linie. Ein bisschen Zaun, ein bisschen doch kein Zaun“. Zwischen SPÖ und ÖVP gebe es eine riesige Kluft, weil sie sich „in nichts einig sind. Und da entsteht bei der Bevölkerung eine noch größere Verwirrung, wovon die Freiheitlichen wiederum profitieren.“ In Deutschland herrsche stellenweise auch Chaos, findet der Zeit-Redakteur. „Aber dort gibt es mit Kanzlerin Angela Merkel jemanden, der eine klare Linie vorgibt.“ Als größtes Problem der Politik empfindet Riedl, dass die Regierungsparteien der Großen Koalition „inkompatibel“ geworden seien: „Sie sind keine Volksparteien mehr, sondern vertreten nur mehr die oft diametral entgegengesetzten Interessen ihrer Klientel, die ihre geschützten Werkstätten bewahren wollen.“ Dennoch glaubt er nicht, dass die Regierung demnächst auseinanderbricht – aber ebenso wenig, dass sie die Probleme in den Griff bekommt.

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Stephan Löwenstein, Korrespondent "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

"Der Kanzler hat erstmals klar Position bezogen"


FAZ.„Es ist in diesem Jahr doch etwas Bemerkenswertes passiert“, sagt Stephan Löwenstein, der seit 2012 Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen in Wien ist. „Österreich hat seit Jahren das Problem, dass der Kanzler wenig Führungswillen hat und schwach ist. In diesem Jahr hat Werner Faymann aber zum ersten Mal ein Thema gefunden, bei dem er klar Position bezogen hat, beim Flüchtlingsthema.“ Das sei nicht nur Folge der Politik der deutschen Kanzlerin Merkel, meint Löwenstein, sondern vom Wiener Bürgermeister Häupl. Doch müsse man festhalten, dass Faymann hier bei einem schwierigen Thema sich gezeigt habe und bisher fest gestanden sei – unabhängig davon, wie man seine Position inhaltlich beurteile. 2015 sei von der Flüchtlingskrise dominiert gewesen. „Im Grunde waren alle Wahlen davon bestimmt, auch schon im Frühjahr, als die Flüchtlingszahlen noch gering gewesen sind.“ Die FPÖ hätte bei allen Wahlen erwartungsgemäß abgeschnitten und sei „von Wahl zur Wahl deutlich stärker geworden. Es wäre aber ein Fehler der Koalition, zu glauben, dass das allein dem Ausländerthema geschuldet ist. Dass die FPÖ so stark gesucht wird, hat meines Erachtens mit dem Verdruss über die geringe Problemlösungsfähigkeit der Koalition zu tun.“ Zu den ausstehenden Maßnahmen zählt der FAZ-Korrespondent etwa die Anpassung der Pensionen an die steigende Lebenserwartung, Stärkung des Arbeitsmarktes „und eine Lösung von bürokratischen Fesseln, da kam bisher überhaupt nichts“. Löwenstein erwartet, dass der politischen Landschaft ein Umbruch bevorstehe, „weil die Große Koalition nach der nächsten Wahl wahrscheinlich über keine Mehrheit mehr verfügt“. Also FP-Chef Strache als Bundeskanzler? „Ich glaube, in Oberösterreich und im Burgenland wurden die richtigen Konsequenzen gezogen, die FPÖ in die Pflicht zu nehmen. Das wird auch im Bund unvermeidlich sein. Allerdings wurde dort die Chance, die FPÖ in die Pflicht zu nehmen, ohne sie gleich zur Kanzlerpartei zu machen, spätestens nach der letzten Wahl vertan.“ „Operettenhaft“ findet Löwenstein Österreichs Politik übrigens „überhaupt nicht, das ist ein falsches Klischee“. Der Milliardär und gescheiterte Parteigründer Frank Stronach sei ein gutes Beispiel „für eine gewisse demokratische Reife der Österreicher“.

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Björn Hengst, Korrespondent "Spiegel Online"

"Der anhaltende Aufstieg der FPÖ gibt Anlass zur Sorge"


Spiegel Online.Eingedenk dreier Landtagswahlen war der „anhaltende Aufstieg der FPÖ“ für Björn Hengst das dominierende Thema 2015. Und: Es „gibt Anlass zur Sorge, da die FPÖ gezielt gegen Ausländer Stimmung macht und damit versucht, das gesellschaftliche Miteinander zu vergiften. Das ist abstoßend und gefährlich zugleich.“ Eine rechtspopulistische Partei, die „so erfolgreich und parlamentarisch verankert ist“ gebe es in Deutschland nicht. Für ihn bleibt zu hoffen, „dass die vergleichsweise junge Alternative für Deutschland (AfD) bald wieder von der politischen Bühne verschwindet“. Auf dem österreichischen Parkett fiel ihm Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auf, die „mit ihrer Forderung nach einer ,Festung Europa‘ einen sehr fragwürdigen Akzent gesetzt hat“. Dass die Flüchtlingskrise zwischenzeitlich zu einem Streit zwischen Bayern und Österreich geführt hat, hat der Spiegel Online-Korrespondent vor Ort im Grenzgebiet erfahren und für ihn seine Berechtigung: „Dutzende Busse mit Flüchtlingen fuhren zur Grenze vor, an der hunderte Migranten darauf warteten, möglichst schnell weiter nach Deutschland weiterzukommen. Eine Registrierung, wie das im Dublin-Verfahren vorgesehen ist, hatte es nicht gegeben.“ Dafür gibt es nun in Österreich einen Grenzzaun, der im Gegensatz zu Ungarn bis dato von internationaler Kritik verschont blieb. Geschuldet sei dies dem Umstand, dass sich Ungarn mit dem Zaun gezielt abschotte, wohingegen „Österreich nach eigenen Worten lediglich für einen geordneteren Grenzübertritt der Flüchtlinge sorgen will“. Klare Worte findet Hengst für den Zustand der SPÖ-ÖVP-Koalition verglichen mit Merkels GroKo: „Die Große Koalition in Deutschland arbeitet deutlich vertrauensvoller und erfolgreicher zusammen als ihr Pendant in Österreich. Die Flüchtlingspolitik war vor allem ein koalitionsinterner Streitpunkt – dieser Konflikt ist vorerst entschärft. Und: Auf dem jüngsten CDU-Parteitag wurde Merkel mit ihrem Kurs gestärkt.“ Den Regierungschefs gemein sei das Interesse an einem guten Verhältnis der Nachbarländer. Wie gut das Verhältnis von SPÖ-Chef und SPD-Chef Sigmar Gabriel ist, zeige sich bei wechselseitigen Besuchen, einem Ziel: „Die Rettung der Sozialdemokratie in Zeiten der Konkurrenz von links wie in Griechenland oder Spanien. Auf ihre Pläne darf man gespannt sein.“