"Respekt unter Politikern war größer"
Herr Dr. Lanner, Sie waren ja überwiegend in der Zeit aktiv, als die ÖVP in Opposition war. Wären Sie gerne Minister oder gar Bundeskanzler geworden?
Das habe ich mich nie gefragt, ehrlich. Das Glück meines Lebens hing von der Balance von Familie und Arbeit ab. Ich hätte nie für die Familie die Karriere an erste Stelle gesetzt. Aber Landwirtschaftsminister hätte ich gerne und auch gut gemacht.
Sie waren ja bis zum Alter von 20 Jahren Bergbauer.
Wäre eine solche Karriere heute auch möglich?
Ich glaube, heute ist es schwieriger.
Warum?
Wettbewerb hat es immer gegeben, aber jetzt ist er gnadenlos hart.
ÖVP-Obmann Josef Taus war ein Arbeiterkind aus Erdberg, Sie als Generalsekretär waren ein Bauernbub aus Tirol. Die Gesellschaft war also durchlässig. Ist sie das immer noch?
Ja, das glaube ich schon. Die Chancen sind heute noch größer, aber die Risiken sind es auch.
Seit Ihrer Zeit als Bauernbunddirektor hat sich für die Bauern vieles verändert.
Sie haben erlebt, wie die Partei am Sessel des Obmanns gesägt hat, und heute ist es nicht anders. Ist die ÖVP nicht lernfähig?
Bürgerliche Menschen sind sehr eigenständig. Ich habe gestern zu meiner Frau gesagt, der Dr. Brandstätter wird mich fragen, ob man die ÖVP neu gründen soll...
...Frag ich gar nicht
...Ich würde jedenfalls Nein sagen. Aber bei der Meinungsbildung muss die Partei offener werden.
Aber die ÖVP wird enger, heutige Funktionäre der Neos wurden aus der ÖVP rausgedrängt.
Was war Ihre schlimmste Enttäuschung in der Politik?
Ich feiere im August goldene Hochzeit, kitschig, aber wunderschön. Mit einer Familie fällt man nie in ein tiefes Loch. Einmal als ÖVP-Generalsekretär haben mich die Zeitungen durch Sonne und Mond geschossen. Da komme ich nach Hause und meine kleine Tochter Maria sagt mit ihren neun Jahren, "Papa, für uns bist du der Beste." Da konnten die Zeitungen schreiben, was sie wollten.
Als Bauernbunddirektor waren Sie bekannt für Ihre Traktordemos am Ballhausplatz gegen Kanzler Bruno Kreisky.
Ich war überzeugt, dass Kreisky die Bauern schlecht behandelt. Aber da kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Wir waren einmal gemeinsam beim Heurigen und beim Verabschieden hat sich Kreisky ein Taxi bestellt. Da sag’ ich, "Herr Bundeskanzler, ich habe meinen Chauffeur auch nach Hause geschickt, ich fahre Sie aber gerne." Wir wohnten ja nicht weit auseinander, der Sozialist in einer Villa und ich, der Bürgerliche, in einer Eigentumswohnung. Plötzlich fängt der Kreisky an, ob ich mir nicht vorstellen könne, dass die Bauern sich von der ÖVP entfernen und mehr den Sozialisten anschließen, nach schwedischem Vorbild. Ich habe sogar mit dem Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer darüber gesprochen. Er hat nur gesagt, "Sixtus, das können wir nicht machen." Und das war natürlich auch meine Meinung.
Was hat sich verändert?
Der Respekt unter den Politikern war größer. Ich war mit dem damaligen ÖGB-Präsidenten Benya gerne schnapsen, wir haben uns menschlich verstanden, ohne unsere Überzeugungen aufzugeben. Aber der Zeitdruck ist größer geworden und auch der Druck der Medien.
Was war Ihre wichtigste politische Leistung?
Der ländliche Raum, diese Idee überdauert Zeiten.
Lanner wurde am 12. Mai 1934 in der Wildschönau als Sohn eines Bergbauern geboren, die Mutter war Postmeisterin. Bis 20 hatte er nur die Volksschule absolviert, dann maturierte er und studierte Bodenkultur.
Er begann in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer, wurde 1969 Direktor des Bauernbundes und war zwischen 1976 und 1982 Generalsekretär der ÖVP. Anschließend war er in internationalen Gremien tätig.
Mit seinem Konzept warb er für den "ländlichen Raum", weit über die bäuerlichen Interessen hinaus. Lanner ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.