Politik/Inland

"Respekt unter Politikern war größer"

Herr Dr. Lanner, Sie waren ja überwiegend in der Zeit aktiv, als die ÖVP in Opposition war. Wären Sie gerne Minister oder gar Bundeskanzler geworden?

Das habe ich mich nie gefragt, ehrlich. Das Glück meines Lebens hing von der Balance von Familie und Arbeit ab. Ich hätte nie für die Familie die Karriere an erste Stelle gesetzt. Aber Landwirtschaftsminister hätte ich gerne und auch gut gemacht.

Sie waren ja bis zum Alter von 20 Jahren Bergbauer.

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Ich hatte mit 20 nur Volksschule. Aber meine Mutter war Postmeisterin im Tal und dort habe ich schon in den 1940er-Jahren gesehen, dass die Welt größer ist als die Wildschönau. Ich war immer sehr neugierig und wollte mehr lernen. Mit 20 hatte ich nur die Volksschule und mit 30 war ich Doktor der Bodenkultur, hatte ein Jahr in Amerika verbracht und war auch schon verheiratet.

Wäre eine solche Karriere heute auch möglich?

Ich glaube, heute ist es schwieriger.

Warum?

Wettbewerb hat es immer gegeben, aber jetzt ist er gnadenlos hart.

ÖVP-Obmann Josef Taus war ein Arbeiterkind aus Erdberg, Sie als Generalsekretär waren ein Bauernbub aus Tirol. Die Gesellschaft war also durchlässig. Ist sie das immer noch?

Ja, das glaube ich schon. Die Chancen sind heute noch größer, aber die Risiken sind es auch.

Seit Ihrer Zeit als Bauernbunddirektor hat sich für die Bauern vieles verändert.

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Die Veränderungen wären mit oder ohne EU gekommen. Ich habe noch mit der Hand Heu gewendet, heute ist alles voll automatisiert. Die Züchtung bei Tier und Pflanzen hat diese Revolution beschleunigt. Durch die offenen Grenzen wurde der Wettbewerb stärker. Zu meiner Zeit wurde zentral bestimmt, wann wie viele Kartoffeln aus dem Ausland nach Österreich kommen durften. So haben wir unsere Bauern beschützt. Das wäre heute auch ohne EU undenkbar. Aber der Wettbewerb schadet nicht, ich sehe für den ländlichen Raum eine neue Blüte. Ich habe schon 1970 geschrieben, dass man den ländlichen Raum als Ganzes sehen muss. Da hieß es, ich sei ein Verräter an den Bauern.

Sie haben erlebt, wie die Partei am Sessel des Obmanns gesägt hat, und heute ist es nicht anders. Ist die ÖVP nicht lernfähig?

Bürgerliche Menschen sind sehr eigenständig. Ich habe gestern zu meiner Frau gesagt, der Dr. Brandstätter wird mich fragen, ob man die ÖVP neu gründen soll...

...Frag ich gar nicht

...Ich würde jedenfalls Nein sagen. Aber bei der Meinungsbildung muss die Partei offener werden.

Aber die ÖVP wird enger, heutige Funktionäre der Neos wurden aus der ÖVP rausgedrängt.

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Ich erteile keine Zensuren, ich gebe nur meine Erfahrung weiter. Ich würde mit den neuen Medien neue Idee kreieren. Man kann ja im Internet alles abtesten. Und ein Obmann kann sich über die Neuen Medien auch Unterstützung holen. Aber: Je mehr Technologie, desto größer das Bedürfnis nach menschlichem Kontakt. Da könnte die ÖVP ihre Bünde und Länder nützen.

Was war Ihre schlimmste Enttäuschung in der Politik?

Ich feiere im August goldene Hochzeit, kitschig, aber wunderschön. Mit einer Familie fällt man nie in ein tiefes Loch. Einmal als ÖVP-Generalsekretär haben mich die Zeitungen durch Sonne und Mond geschossen. Da komme ich nach Hause und meine kleine Tochter Maria sagt mit ihren neun Jahren, "Papa, für uns bist du der Beste." Da konnten die Zeitungen schreiben, was sie wollten.

Als Bauernbunddirektor waren Sie bekannt für Ihre Traktordemos am Ballhausplatz gegen Kanzler Bruno Kreisky.

Ich war überzeugt, dass Kreisky die Bauern schlecht behandelt. Aber da kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Wir waren einmal gemeinsam beim Heurigen und beim Verabschieden hat sich Kreisky ein Taxi bestellt. Da sag’ ich, "Herr Bundeskanzler, ich habe meinen Chauffeur auch nach Hause geschickt, ich fahre Sie aber gerne." Wir wohnten ja nicht weit auseinander, der Sozialist in einer Villa und ich, der Bürgerliche, in einer Eigentumswohnung. Plötzlich fängt der Kreisky an, ob ich mir nicht vorstellen könne, dass die Bauern sich von der ÖVP entfernen und mehr den Sozialisten anschließen, nach schwedischem Vorbild. Ich habe sogar mit dem Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer darüber gesprochen. Er hat nur gesagt, "Sixtus, das können wir nicht machen." Und das war natürlich auch meine Meinung.

Was hat sich verändert?

Der Respekt unter den Politikern war größer. Ich war mit dem damaligen ÖGB-Präsidenten Benya gerne schnapsen, wir haben uns menschlich verstanden, ohne unsere Überzeugungen aufzugeben. Aber der Zeitdruck ist größer geworden und auch der Druck der Medien.

Was war Ihre wichtigste politische Leistung?

Der ländliche Raum, diese Idee überdauert Zeiten.

Lanner wurde am 12. Mai 1934 in der Wildschönau als Sohn eines Bergbauern geboren, die Mutter war Postmeisterin. Bis 20 hatte er nur die Volksschule absolviert, dann maturierte er und studierte Bodenkultur.

Er begann in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer, wurde 1969 Direktor des Bauernbundes und war zwischen 1976 und 1982 Generalsekretär der ÖVP. Anschließend war er in internationalen Gremien tätig.

Mit seinem Konzept warb er für den "ländlichen Raum", weit über die bäuerlichen Interessen hinaus. Lanner ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.