Rudolf Taschner: „Man muss das Spiel schon spielen“
KURIER: In einer Woche starten die umstrittenen Deutschklassen – es sind aber weniger als geplant, fixe Lehrpläne und standardisierte Tests gibt es nicht, auch andere Details sind offen. Ist die Einführung nicht überstürzt?
Rudolf Taschner: Man musste im Herbst beginnen, weil wir ja keinen verlorenen Jahrgang wollen. In der Übergangsphase erkennt auch ein Direktor, ob ein Kind Deutsch spricht oder nicht.
Wie lang werden Kinder dort sitzen?
Sechs Monate werden für die meisten reichen. Wir haben ja schon Erfahrungen aus einem Projekt in Wiener Neustadt. Die höchstens möglichen vier Semester werden hoffentlich in den allerseltensten
Fällen nötig sein.
Den Plan für die Deutschklassen gibt es seit Ende 2017. Wieso ging sich das nicht ohne offene Fragen aus?
Schulpolitik ist wie ein riesiger Dampfer. Wenn einer sagt, Kurs Süd-Südost statt Nord-Nordwest, können Sie das Lenkrad freilich schnell drehen – sie müssen aber erst einmal Überzeugungsarbeit leisten. Es ist nicht so einfach, dass sich das Schiff dann auch wendet.
Die Kritik, dass man Siebenjährigen nun via Deutschklasse zeigt, dass sie nicht dazugehören, gibt es nach wie vor.
Wissen Sie, was die Kinder spüren, wenn Sie nicht Deutsch können und in der Klasse sitzen? Sie spüren genau, dass sie nicht dazugehören. Nun sagt man ihnen: Jetzt kommt ihr in die Deutschförderklasse – dafür werdet ihr dann in sechs Monaten dazugehören.
Ohne Trennung würde das nicht gehen?
Es würde sicher länger dauern. Wenn man es nicht macht, hat man diese Trennung eben mit 14 Jahren oder etwas später. Dann schaue ich mir an, was diese jungen Menschen sagen. Sie werden es vermutlich nicht auf Deutsch sagen.
Die SPÖ wollte damals massiv in den Ausbau der Ganztagsbetreuung investieren. Die Mittel für die Ganztagsschule werden jetzt aber gestreckt. Wieso?
Die Mittel wurden ja kaum abgeholt. Zudem bin ich gegen die Idee, dass der Staat die Aufgabe der Kindererziehung übernimmt. Nur, wenn die Eltern sagen, wir können es nicht, sollte die Schule am Nachmittag übernehmen.
Nun sagt der Staat aber, dass man 12 Stunden pro Tag arbeiten kann. Das ist schwer ohne Ganztagsbetreuung.
Die Arbeitszeit wurde ja nur flexibilisiert, nicht verlängert. Doch so oder so: Wenn die Eltern da sind, haben Sie die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Haben sie die Zeit nicht, soll es natürlich möglich sein, die Kinder in Ganztagsschulen zu geben. Die Ganztagsschule als Regelschule würde bedeuten, dass man den Eltern bei der Erziehung misstraut. Und das will ich nicht.
Vor allem die SPÖ kritisiert Ihre Schulpolitik. Worin unterscheiden sich türkise und sozialdemokratische Bildungspolitik?
Kurz zusammengefasst: Die Sozialdemokratie sieht die Schule als Möglichkeit, die eigenen Ideen in der Zukunft zu verwirklichen, indem man sie den Kindern ideologiebehaftet näherbringt. Da sind wir vergleichsweise liberaler.
Sie behaupten also, SPÖ-Bildungspolitik besteht darin, sozialdemokratische Werte zu propagieren?
Natürlich.
Nicht nur die SPÖ klagt, dass die Regierung das Parlament kaum achte. Wie sehen Sie das als ÖVP-Abgeordneter?
Das stimmt so nicht. Die Geschäftsordnung ist ja nicht verletzt worden. Man muss das Spiel schon spielen: Die Opposition kann in diesem Spiel aufzeigen, wo die Schwächen der Regierung liegen. Wenn sie gravierend sind, wird es die Bevölkerung schon merken. Wenn die Opposition das allerdings nicht zustande bringt, darf sie nicht sagen, das Parlament sei schwach geworden.
Auch in der ÖVP formiert sich Widerstand gegen die Abschiebung von Flüchtlingen in der Lehre. Wie stehen Sie als ÖVP-Bildungssprecher dazu?
Das fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Aber Sie werden ja eine Meinung dazu haben, ob das gescheit ist oder nicht.
Das ist nicht mein Ressort, da bitte ich um Verständnis. Sie waren einer der prominenten Querdenker unter den Quereinsteigern. Türkis-blaue Maßnahmen bewerten Sie öffentlich allerdings ausschließlich positiv. Was machen Sie, wenn Sie etwas nicht gut finden? Oder ist alles super?
Ich sage das intern. Das ist auch gut so. Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind als Familie in größerer Runde eingeladen. Da kommt es nicht allzu gut an, die Probleme, die man in der Familie hat, vor allen zu erörtern. Das gehört sich einfach nicht.
Was antworten Sie, wenn jemand nach Ihrem Beruf fragt? Sagen Sie noch Mathematiker oder schon Politiker?
Wie ich gehört habe, ist die Berufsbezeichnung Abgeordneter zum Nationalrat höher als Professor (lacht). Jetzt bin ich Abgeordneter, wenn mich jemand fragt.
Sie wechselten vor fast einem Jahr von der Wissenschaft in die Politik. Worin bestehen denn die größten Unterschiede zwischen Wissenschaft und Politik, Herr Taschner?
In der Wissenschaft behauptet man immer, rational zu sein. In der Politik ist man ehrlicher und bestreitet nicht, irrational zu sein. In diesem Sinn ist die Politik also ehrlicher als die Wissenschaft.
Nachgefragt
Wie haben Sie Ihren Sommerurlaub verbracht?
Es war ein einwöchiger Badeurlaub zur Erholung in Grado an der Oberen Adria.
Welche Lektüre hatten Sie da dabei?
„Die blinden Flecken der Geschichte“ von Gudula Walterskirchen. Auch gelesen habe ich ein
etwas kitschiges Buch über Alma Mahler und den Thriller „München“ von Robert Harris.
Ihre bevorzugter Sommerdrink?
Vermutlich Radler, auch wenn es kein besonders edles Getränk ist. Aber es muss ein guter sein – und bevorzugt mit Almdudler.
Schreiben Sie aus dem Urlaub lieber Kurznachrichten via WhatsApp oder noch Postkarten?
Wenn ich schriebe, wären es wohl Briefe. Aber ich schreibe kaum mehr aus dem Urlaub.
Zur Person
Rudolf Taschner ist seit Herbst 2017 Abgeordneter und Bildungssprecher der ÖVP. Der prominente Mathematiker – er habilitierte einst sub auspiciis an der TU Wien – war einer der türkisen Quereinsteiger im Wahlkampf von Sebastian Kurz. Taschner ist Autor zahlreicher Bücher, war Wissenschaftler des Jahres 2004 und setzte sich mit seinem Projekt „math.space“ dafür ein, das bisweilen ungeliebte Schulfach Mathematik populärer zu machen.