Asyl-Chaos: Regierung zieht die Notbremse
Es ging Schlag auf Schlag. Am Freitag unterbrachen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) die Sommerpause und nahmen zur Asylproblematik Stellung. Während die Pressekonferenz der Regierung im Gang war, kündigte Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll ein Aufnahmestopp im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen an, Wien hat sich entschlossen, alle unbegleiteten Mädchen aufzunehmen und Vorarlberg konstatiert, man werde seine Quote zu 100 Prozent erfüllen.
Die Bundesregierung stellte einen Fünf-Punkte-Plan vor, mit dem sie dem Chaos bei der Flüchtlingsunterbringen entgegentreten will. Der Schwerpunkt liegt auf einer Verfassungsänderung, um Quartiere selbst schaffen zu können:
1. Europäische Zusammenarbeit
Bundeskanzler Faymann erklärte zu Beginn, dass man gegen die anhaltenden Flüchtlingsströme nur etwas unternehmen könne, wenn man gegen die Ursachen vor Ort vorgeht. Das bedeutet, gemeinsamer Grenzschutz, gemeinsame verpflichtende Quote auf europäischer Ebene, also eine gemeinsame Politik in Europa. Mitterlehner unterstrich diesen Punkt, erwähnte jedoch auch, dass es bislang nicht funktioniert. Die politische Rechte würde Hass schüren und das helfe Österreich und Europa nicht weiter, so Faymann.
2. Ersatzvornahme für Asyl-Quartiere
Damit der Bund künftig selbst Asylquartiere errichten kann, wenn die Länder säumig bleiben, plant die Regierung eine Verfassungsänderung. Zudem soll eine Unterbringungsquote von ein bis zwei Prozent pro Einwohner auf die Gemeinden heruntergebrochen werden.
Faymann und Mitterlehner betonten, dass die verfassungsrechtliche Ermächtigung zu einer "Ersatzvornahme" des Bundes, so der Terminus, ausschließlich Liegenschaften betreffen werde, die im Einflussbereich des Bundes stehen. Eingriffe in Privatrechte seien keinesfalls geplant. In Kraft treten soll das Gesetz so bald wie möglich, die beiden stellen auch eine Sondersitzung des Nationalrats in den Raum. Es braucht allerdings die Stimmen von FPÖ oder Grünen für die nötige Zweidrittelmehrheit.
Auf Anfrage des KURIER, was bis zur geplanten Verfassungsänderung passieren werde, äußerten sich die Koalitionspartner, dass man bis dahin weiter um jeden Platz ringen muss. Man solle sich langsam auch von der Illusionen verabschieden, dass man dieses Problem lösen kann, ergänzte Mitterlehner. Man könnte es nur mindern. Es gäbe keine Regierung in Europa, die diese "Problematik zufriedenstellend bewältigen kann".
3. Erhöhung des Tagessatzes für unbegleitete Minderjährige
Ab 1. August soll der Tagessatz für unbegleitete Minderjährige erhöht werden. Das Entgelt wird laut Regierung von 77 auf 95 Euro in Wohngruppen erhöht. Die jährlichen Mehrkosten belaufen sich auf 32 Millionen Euro. Wien kündigte indes an, alle unbegleiteten Mädchen - insgesamt 50 an der Zahl - aus Traiskirchen aufzunehmen.
4. Entlastung von Traiskirchen
Faymann forderte eine kurzfristige Entlastung vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat sich am Freitag dazu geäußert und einen "Unterstützungsstruktur"-Plan vorgestellt. Privaten und NGOs soll es nun möglich sein, Flüchtlingen eine Unterkunft zu geben. Außerdem werden angesichts der verheerenden Obdachlosigkeit in Traiskirchen Frauen und Kinder in die Sicherheitsakademie überstellt. Bisher war es lediglich möglich, dass Asylwerber nach der Erstaufnahme in den Verteilquartieren direkt den Bundesländern angeboten werden.
Zuvor teilte Erwin Pröll (ÖVP) mit, dass ab kommender Woche keine weiteren Flüchtlinge in Traiskirchen aufgenommen werden. Die Ergebnisse einer gesundheitsbehördlichen Überprüfung tags zuvor hatten zu diesem Aufnahmestopp geführt, so der Landeschef in einer Aussendung. Ein entsprechender Bescheid soll am Montag dem Innenministerium zugestellt werden. Bereits am Mittwoch soll der Stopp in Kraft treten.
5. Einrichtung einer Taskforce
Um die Asylproblematik zu "mindern" wird eine neue Taskforce installiert. Von allen Ebenen - Bund, Land, Gemeinde, NGO, etc. - werden Experten hinzugezogen. "Nur solidarisch werden wir das Problem minimieren können", erklärte Mitterlehner. Es handle sich um die größte Herausforderung mit der Österreich nun zu kämpfen hat. Die Last darf aber nicht auf einzelne Gemeinden oder Bezirke übertragen werden. Man werde zusammenarbeiten, stellte Faymann unmissverständlich klar.
Der Generalsekretär des österreichischen Roten Kreuzes Werner Kerschbaum hat im Ö1-Mittagsjournal zum 5-Punkte-Plan der Bundesregierung Stellung genommen. Positiv beurteilt Kerschbaum die Erhöhung des Tagessatzes für unbegleitete Minderjährige. Aber es seien weitere Maßnahmen notwendig.
Aufhorchen lässt der Generalsekretär mit einer anderen Idee, was die Unterbringung betrifft: "Warum stellen wir nicht Fertighäuser für die Flüchtlinge auf?" Auch kann er sich ein neues Programm von sozialem Wohnbau vorstellen, wo eine bestimmte Anzahl an Wohnungen für Asylbewerber bereitgestellt wird.
Weiters fordert er von der Regierung ein Sonderbudget von 300 Millionen für die Flüchtlingsfrage für das laufende Jahr und einen strategischen Plan für die Versorgung von 100.000 Personen im Jahr 2016.