Politik/Inland

"Nigiri mit Schnitzel sind kulinarische Integration"

KURIER: Wir sitzen vor Ihrem ersten Lokal auf der Mariahilfer Straße. Zufrieden mit der durchaus umstrittenen autofreien Begegnungszone?

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Martin Ho:Für viele ist es sicher unangenehm, wenn ein halbes Jahr vor dem Geschäftslokal Baustelle ist. Ich glaube, dass es langfristig für die Stadt, das Stadtbild, die Anrainer mehr Vorteile mit sich bringt.

Das sehen einige anders.

Die Kärntner Straße wäre nie zu dem geworden, was sie ist, wenn es keine Fußgängerzone gäbe. Ich kenne keine andere Stadt, die so viele, sichtbar positive Veränderungen hervorbringt. Manche Dinge dauern einfach, um sich daran zu gewöhnen.

Die Veränderungen wären?

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Hauptbahnhof, Donaukanal, Naschmarkt, Stadtbahnbögen, Mariahilfer Straße. Es wird viel getan, auch in puncto Lifestyle und Lebensqualität, was uns Gastronomen wieder hilft. In Wien raunzen wir auf einem sehr hohen Level. Wenn wir 40 Minuten ins Auto steigen, wird uns klar, wie es auch sein kann. In osteuropäischen Nachbarstädten zum Beispiel.

Gesundheitsminister Alois Stöger will bis 2018 ein generelles Rauchverbot. Stimmen Sie als Inhaber von vier Lokalen in Wien dem zu?Es ist die Zielgruppen-Frage zu stellen. Ich finde, sobald man etwas verbietet, öffnet man Tür und Tor für illegale Nutzungen. Ich halte die Trennung Raucher und Nichtraucher für fragwürdig. Entweder ganz oder gar nicht. Aber: Man muss die Sparte Bar und Café vom Restaurant trennen.

Das heißt?

Gewerberechtlich ist es ganz klar definiert, was eine Bar, was ein Restaurant ist. Damit ist auch die Frage beantwortet, wo geraucht werden darf.

Nicht rauchen im Restaurant. Rauchen an der Bar, im Café.

Exakt. So halten wir es auch in unseren Betrieben. Es wird seit Jahren zu viel diskutiert und nichts gemacht.

Was wünschen Sie sich?

Ich würde mir seitens der Politik grundsätzlich mehr Entschlossenheit wünschen. Ich sehe die Politik eher wie Firmen, Politiker als Manager. Bürgermeister Häupl ist der Manager dieser Stadt. Sebastian Kurz ist ein Manager für das Außenministerium.

Mit dem Unterschied, dass Manager auch gekündigt werden können.

Politiker können auch abgewählt werden oder zurücktreten.

Österreich ist nicht bekannt für eine Rücktrittskultur.

So leicht können Manager auch nicht gefeuert werden, da müssen Verträge eingehalten werden.

Was sind Sie? Manager? Gastronom? Entrepreneur?

Vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, konnte ich nichts von dem, was ich jetzt kann. Ich habe mir mit 19 eingebildet, dass die Stadt auf mich gewartet hat. Dass ich ganz leicht dort ein Sushi-Lokal aufsperren kann, wo ich mich als Gast wohlfühle.

Dem war nicht so!?

Ich sage immer: Hätte ich damals gewusst, was ich jetzt weiß, ich hätte nie aufgesperrt. Aber ich wollte es unbedingt und habe es geschafft. Viele Dinge haben sich ergeben, alles ist sehr schnell gewachsen, ich hatte sehr viel Glück. Das habe ich immer noch. Wir versuchen, mit Dots eine Marke zu bilden, mit Lokalen, Produkten, Kochbüchern, die sich gegenseitig ergänzen. Es ist zu wenig, zu kochen, das Essen zu servieren und zu glauben, der Kunde kommt wieder.

Ihr Rezept?

Ich bin ein Verfechter des Bis-ins-Detail-Planens. Die Betriebe müssen mit mir und meiner Entwicklung mitleben. Wenn ich mir das Stammhaus hier anschaue, wie es vor neun Jahren ausgesehen hat und jetzt, dann sehen Sie auch meine Entwicklung. Von einem damals 19-jährigen Bub bis heute, einem 28-Jährigen – noch immer Buben. (lächelt)

Gab es je Vorbehalte gegen Ihr Alter?

Überhaupt nicht. Der jugendliche Leichtsinn und der Wagemut verschmelzen und haben mich mehr gefördert denn behindert. Einem etablierten Erwachsenen älteren Semesters, der Fehler macht, wird nicht so schnell etwas nachgesehen wie einem Buben.

Warum sind Ihre Eltern aus Vietnam mit Ihnen als Zweijährigem ausgerechnet nach Österreich?

Vietnam hat irrsinnig gelitten nach dem Krieg. Für meine Eltern war klar, dass die Lebens- und Ausbildungsqualität dort nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Österreich deshalb, weil wir hier Verwandte hatten.

War die Umbenennung von Anh Tuan zu Martin ein bewusster Akt der Integration?

Martin ist keine Umbenennung sondern dazugekommen. Meine Eltern sprechen mich auf Vietnamesisch an. Alle anderen nennen mich Martin.

Empfinden Sie sich als Österreicher, Vietnamese, Europäer?

Als alle drei. Als Europäer lebe ich die Toleranz, die Menschenrechte – immer ein Thema in Asien. Als Vietnamese schätze ich den Familienzusammenhalt, als Österreicher alles und wie in Vietnam schätze ich die Kulinarik.

Wurden Sie je diskriminiert?

Natürlich fielen beim Vorbeigehen schon mal Schimpfworte, gab es rassistische Aussagen. Aber es hielt sich immer in Grenzen. Ich kann mich nicht als Opfer hinstellen. Meine Eltern und ich haben sehr daran gearbeitet, dass wir uns integrieren. Dadurch und durch den unternehmerischen Erfolg sind wir nicht leicht angreifbar.

Wie definieren Sie Integration?

Sich selbst treu zu bleiben, seine Wurzeln nicht zu verleugnen ist genauso wichtig, wie sich an die Gegebenheit des Landes anzupassen.

Inwiefern anpassen?

Wenn ich mich integriere, also langfristig plane, anderswo zu leben, muss ich mich anpassen. An die politischen, wirtschaftlichen, sozialen Gegebenheiten. Dazu gehört die Sprache. Ich kann nicht erwarten, dass acht Millionen Österreicher meine Sprache lernen. Genauso muss ein Österreicher in meiner Heimat Vietnamesisch lernen, weil er mit Englisch nicht durchkommen wird. Sprache ist Kommunikation und durch Kommunikation kommen die Leut’ zusammen. Neben Sprache geht es besonders um Toleranz.

Toleranz endet oftmals bei Religionen wie dem Islam oder Judentum.

Religion bringt eine emotionale Dynamik mit sich, die keine sachliche Beurteilung von Entscheidungen ermöglicht.

Sind Sie ein religiöser Mensch?

Ich respektiere Religionen anderer, solange sie nicht die Freiheit anderer oder meine einschränken.

Sie sind mittlerweile einer von Außenminister Sebastian Kurz ernannten Integrationsbotschaftern.

Ja! Sebastian Kurz ist ein Politiker, den ich sehr für seine Arbeit schätze und auch privat kenne. Integration ist für mich immer ein wichtiges Thema. Der Erlös meines Kochbuchs "Dots Cooking – Experimental Asia" geht an die Blue-Heart-Kampagne der UNO, die sich für den Kampf gegen Menschenhandel starkmacht.

Ihr Rat an Migranten?

Ich kann allen nur raten, die Gepflogenheiten des Landes, die Sprache und die Kultur kennenlernen zu wollen und anzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass die Jungen die Dinge nicht zu Tode denken, sondern handeln. Das sage ich mir selbst jeden Tag: "Mach’ es einfach. Wenn es nicht funktioniert, macht es als Junger weniger als als Alter. Nichtstun ist keine Lösung."

Sie machen nachweislich immer etwas.

(schmunzelt) Ja. Meine Lokale liegen absichtlich geografisch weit auseinander, Interieur, Kunst, Speisekarte sind auf die jeweilige Kundschaft zugeschnitten.

Welche Kundschaft?

Ganz unterschiedlich. In das Dots in die Mariahilfer Straße geht jeder. Das Lokal im 21er Haus ist beispielsweise für Events, im 19. Bezirk sind Gäste wie Speisen andere.

Kein Sushi, kein Nigiri?

Natürlich! Maki mit Liptauer und Nigiri mit Schnitzel sind kulinarische Integration. (Anm.: Nigiri ist eine Zubereitungsform von Sushi. Kalter, gesäuerter, zu kleinen Rollen gedrückter Reis, meist mit rohem Fisch belegt.)

So wird Österreich noch besser: Zur Serie

Als Zweijähriger kommt Anh Tuan Ho mit seinen Eltern nach Wien. Mit 19 gründet Ho das erste Sushi-Lokal auf der Mariahilfer Straße. Seine vornehmlich zeitgenössische Kunstsammlung ist ebendort und in Yoshi’s Contemporary Art Gallery und Yoshi’s Contemporary Art Loft zu sehen.

Unternehmen

In Wien betreibt die Dots Group vier Betriebe: Das Stammhaus Dots experimental sushi (1060), Dots im Brunnerhof (1190), twentyone im 21er Haus und das Yoshi. Die experimentellen Sushi- Kreationen gibt es auch in Supermärkten. Die Gruppe verlegt zudem ein Golfmagazin.