Politik/Inland

Regierungsbildung wird zur Hängepartie

Aus alt mach neu. Auch wenn alles beim Alten bleibt. Am Dienstag ist die bisherige Regierung zurückgetreten, um sofort wieder anzutreten. Ein gesetzlich vorgeschriebener Formalakt (siehe weiter unten). Sie wird noch lange amtieren. Angesichts der Wahlergebnisse und der sich abzeichnenden Taktiererei wird es dauern, bis die künftige steht.

Rechnerisch sind zwei Zweier-Varianten möglich. SPÖ und ÖVP haben eine Regierungsmehrheit (99 von 183 Mandaten). Detto SPÖ und FPÖ – wenngleich eine hauchdünne (92).

Da die Roten mit den Blauen nicht koalieren werden, bleibt nur ein neuerlicher Pakt mit den Schwarzen. SPÖ-Chef Werner Faymann möchte daher, sobald er vom Bundespräsidenten den Auftrag dafür hat, mit der ÖVP verhandeln: „Meine Linie ist klar.“

ÖVP will Dreier

Er spielt auf die ÖVP an. Die will sich, wissend, dass Faymann keine Alternativ-Optionen hat, nicht gleich und schon gar nicht billig hergeben. Und so hat ihr Frontmann Michael Spindelegger kundgetan, „mit allen Parteien zu reden“. Der ÖVP-Vorstand habe ihn dazu beauftragt. Einen Dreier – ÖVP-FPÖ, Stronach – bringen Schwarze ins Spiel.

Die SPÖ will der ÖVP das Taktierfeld nicht überlassen. Und so wird auch sie redselig. Klubobmann Josef Cap lädt die übrigen Chefs der Parlamentsparteien zu Gesprächen ein. „Das werden keine Parallelverhandlungen zu den Gesprächen zwischen Faymann und Spindelegger. Es geht darum, die Einstellungen zu Themen zu sondieren, die im Nationalrat einer Zweidrittelmehrheit bedürfen – EU-Fragen, das Demokratiepaket, Informationsfreiheit, Amtsverschwiegenheit, U-Ausschuss als Minderheitenrecht“, sagt Cap dem KURIER. Es gelte auszuloten, „wo es Überschneidungen gibt“. Das wäre auch ein „Signal für eine neue Kultur“.

Eine solche sei nicht, „zu taktieren oder mit anderen Konstellationen zu drohen, wie das die ÖVP tut. Wir müssen rasch zu einer neuen Regierung kommen.“

Caps Gesprächsoffensive

Das ist der Hintergrund für Caps Gesprächsoffensive: Druck zu machen, dass die ÖVP nicht elendslang mit den anderen Parteien debattiert. Die SPÖ will in den Gesprächen erkunden wie etwa FPÖ, Team Stronach und Neos zu Lehrerdienstrecht oder Beamteneinsparung stehen. Medial könnte sie damit aufzeigen, dass die ÖVP trotz großer Differenzen noch immer mit den anderen herumhantiert – aus taktischen Gründen.

All das deutet nicht darauf hin, dass die neue rot-schwarze Regierung bald vom Staatsoberhaupt vereidigt wird. Faymanns Prognose („Mitte Dezember“) bleibt optimistisch.

Alles rund um die geschlagene Wahl finden Sie hier.

Es war alles perfekt Dienstagmittag in der Hofburg – bis auf das Klimpern.

Sauber geschlichtet standen Minister und Staatssekretäre vor einem Abbild Maria Theresias, nach Alter sortiert, links Claudia Schmied, rechts außen Sebastian Kurz. Der Bundespräsident hatte schon zu sprechen begonnen, er las von Karten – man will keine Fehler machen, nicht in solch feierlichen Momenten.

Doch just als der Bundespräsident zu „Artikel 72 der Verfassung“ kam, setzte dieses leidige Klirren ein: Zwei Ton-Ingenieure eines Fernsehsenders trotteten achtlos durch den Raum, ihre Mikrofon-Lanzen verhedderten sich in den Kronleuchtern, und die klirrten daraufhin, als gingen sie gleich zu Bruch.

Ein Sektionschef rollte die Augen, Hofburg-Mitarbeiter rümpften die Nase – immer diese Journalisten!

Gelassene Minister

Die versammelte Staatsspitze – vom Präsidenten bis zu den Staatssekretären – sah über den akustischen Insult derweil nobel hinweg. Wer wird sich groß über scheppernde Luster ärgern? – Die Zeremonie ist ja ohnehin nur ein Formalakt.

Wie alle Bundesregierungen zuvor, bot das Kabinett Werner Faymann I gestern dem Bundespräsidenten nach geschlagener Nationalratswahl den Rücktritt an – so will es die Verfassung; und wie alle Bundesregierungen zuvor wurden der Kanzler und seine Ressortchefs nur wenige Minuten nach der Demission wieder angelobt – die Regierung verwaltet das Land so lange weiter, bis sich eine neue gefunden hat.

Für die Teams von ÖVP und SPÖ war es das erste Treffen nach dem Wahlsonntag. Die Stimmung? Durchwachsen. So tuschelten die Staatssekretäre Reinhold Lopatka (ÖVP) und Andreas Schieder (SPÖ) zwar während der Zeremonie durchaus angeregt.

Gegenüber Dritten macht Schieder allerdings schnell klar, dass die innerkoalitionären Verletzungen längst nicht verheilt sind. „Ich habe mir manches, was da im Wahlkampf behauptet wurde, ganz gut gemerkt; bei aller Professionalität.“

Abkühlphase

Das sieht auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer ähnlich: „Wir sind noch in einer Abkühlphase“, befundet der rote Sozialminister.

Er pflegt mit ÖVP-Pendant Reinhold Mitterlehner ein freundliches Verhältnis, die beiden marschierten auch gestern Seite an Seite vom Kanzleramt hinüber in die Hofburg. Und doch sagt Hundstorfer, dass es wohl noch „gute ein, zwei Wochen“ dauern wird, bis sich die Lage wieder halbwegs normalisiert hat.

Nach 25 Minuten war die Wieder-Angelobung des alten, neuen Kabinetts erledigt, der erste Ministerrat der Übergangsregierung dürfte eher kühl verlaufen sein. Denn als Vizekanzler Michael Spindelegger nach der Stimmung in der Sitzung gefragt wird, da rollt er bloß die Augen und sagt: „Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich ein Stimmungsbarometer habe!“

Ein Befund, den er mit den Roten teilt: Bis die Stimmung einen Bericht wert ist, kann es noch dauern.

Wenn die neue Koalition dem Durchschnitt gehorchen will, muss sie Ende November zur Angelobung schreiten - genau am 28. November. Denn bisher dauerte es bei den (bis 2008) 20 Nationalratswahlen durchschnittlich rund 60 Tage von der Wahl über die Verhandlungen bis zur Angelobung. 2008 lagen SPÖ und ÖVP mit 65 Tagen ein wenig darüber.

Was aber auch noch dem arithmetischen Mittel entspricht - nämlich jenem von 64,25 Tagen, die SPÖ und ÖVP für ihre bisher zwölf Koalitionsbildungen brauchten. Denn der Schnitt wird durch die Alleinregierungen reduziert. Diese - eine schwarze und vier rote - erschienen schon binnen 23 bis 30 Tagen vor dem Bundespräsidenten.

Sehr flott ging es - mit nur 30 Tagen - auch 1983, bei der Bildung der rot-blauen Koalition, nachdem die SPÖ die Absolute verloren hatte. Damals verhandelte Fred Sinowatz als Nachfolger Bruno Kreiskys mit FPÖ-Chef Norbert Steger. Das war relativ leicht, weil die FPÖ (die schon 1970/71 die SP-Minderheitsregierung unterstützt hatte) unbedingt in die Regierung wollte und als viel kleinerer Partner keine großen Forderungen stellte.

Sehr zäh lief es hingegen nach der Wahl 1963: Alfons Gorbach (ÖVP) und Bruno Pittermann (SPÖ) brauchten 129 Tage von der Wahl bis zur Angelobung - nachdem SPÖ und ÖVP, weil sie sich zunehmend schwertaten miteinander, die Legislaturperiode vorzeitig beendet hatten. Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ) bestand aber auf die Fortsetzung der Großen Koalition - und so raufte sie sich in zähen Gesprächen doch wieder zusammen. Das war dann allerdings die letzte Phase schwarz-rote Regierung, es folgte eine kurze VP- und dann die lange SP-Alleinregierungsperiode.

Fast genauso lange wie damals - nämlich 124 Tage - dauerte es nach der Wahl 1999, bis die Regierung angelobt wurde. Die allerdings war die erste ihrer Art, nämlich Schwarz-Blau. Den Auftrag zur Regierungsbildung bekam zwar zunächst SPÖ-Chef Viktor Klima, dessen Partei Erste geworden war. Seine Bemühungen um die Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition scheiterten, auch aus der dann angestrebten SP-Minderheitsregierung mit Expertenbeteiligung wurde es nichts. Denn gleichzeitig verhandelte ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel mit der FPÖ eine kleine Koalition aus, die ihn als Dritten zum Bundeskanzler machte.

Die Rückkehr zur rot-schwarzen Koalition nach der Wahl 2006 war das dritte Mal, dass mehr als 100 Tage - genau 102 - zwischen Wahl und Angelobung vergingen. Damals war die SPÖ unter Alfred Gusenbauer überraschend Erste geworden und strebte die Große Koalition an. Dass die SPÖ mittendrin noch mit den Grünen und der FPÖ die Einsetzung von U-Ausschüssen zum Eurofighter und zur Bankenaffäre beschloss, führte zur Unterbrechung der ohnehin nicht leichten Verhandlungen mit dem unterlegenen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel. Nach elf Runden wurde schließlich doch die Wieder-Aufnahme der Großen Koalition verkündet.

Damals war die SP-VP-Regierung die einzige Zweiervariante mit einer Mandatsmehrheit. Schwarz-Blau hatte die Mehrheit verloren. Jetzt ist die Lage ähnlich, die Große Koalition ist das einzige realistische Duo. Theoretisch möglich - mit der knappen Mehrheit von 92 Mandaten - wäre auch Rot-Blau, aber die SPÖ will nicht mit der FPÖ. Alternativen wären aktuell also nur eine Minderheitsregierung oder Dreier-Varianten - wie die auch von ÖVP-Seite immer wieder ins Gespräch gebrachte VP-FP-Stronach-Koalition.

„Griaß di! Gratuliere!“ Überschwänglich begrüßte Salzburgs FP-Obmann Karl Schnell sein steirisches Pendant Gerhard Kurzmann gestern vor dem Treffen der blauen Führungstruppe in Wien. Die Freiheitlichen haben in der Steiermark ja die meisten Stimmen eingeheimst. Auch bundesweit haben sie zugelegt – auf 20,6 Prozent (plus 3,1 Prozent). Entsprechend gut war die Stimmung unter den Blauen.

Auf das Liebeswerben vonseiten der ÖVP reagierten die FPÖler hingegen abweisend. Parteichef Heinz-Christian Strache sandte schon vor der Partei-Sitzung die Botschaft an die Schwarzen aus: „Mit uns wird es keine Gespräche durch die Hintertür geben.“ Im Klartext: Parallelverhandlungen wollen die Blauen keine führen.

Das ÖVP-Offert nehmen sie ohnedies nicht wirklich ernst. „Das dürfte nur dazu dienen, den Preis nach oben zu treiben“, mutmaßt FPÖ-Vize Norbert Hofer. Er glaubt, dass es wieder zu einer Großen Koalition („More of the same“) kommen wird.

„Drohkulisse“

Auch Gerhard Kurzmann sprach von „Theaterdonner“ – und geht von einer „Neuauflage der Koalition der Verlierer“ aus. „Das ist zwar schlecht für das Land, aber möglicherweise sogar gut für die FPÖ“, meint der Steirer.

Was sagen FPÖ-Granden zu den ÖVP-Avancen? Ex-Parteichef Norbert Steger hält Straches Reaktion für richtig. „Ich bin der Meinung, dass man keine Parallelgespräche führen soll. Wie das unter Schüssel/Haider (1999, Anm.) abgelaufen ist, war wenig demokratisch.“

Der FPÖ-Historiker Lothar Höbelt – bekennender Befürworter einer bürgerlichen Koalition – sieht das anders: „Natürlich braucht man Gespräche durch die Hintertür.“ Politiker würden nach außen hin oft sagen, dass es derlei Kommunikation nicht gebe, „aber man weiß ja, dass sie sich nicht dran halten“.

Höbelt geht freilich auch davon aus, „dass die ÖVP nur eine Drohkulisse aufbaut, um die SPÖ bei den Regierungsverhandlungen abzuräumen“. Daher liege die Wahrscheinlichkeit für einen bürgerlichen Pakt „unter zehn Prozent“. Steger hält ihn detto für „sehr unwahrscheinlich, weil ich glaube, dass der Herr Bundeskanzler das Tafelsilber eh der ÖVP schenken wird“.

„Challenge Stronach“

Sollten sich SPÖ und ÖVP nicht einigen, würde die FPÖ überhaupt mit Stronach regieren wollen, schließlich hat Schwarz-Blau allein keine Mehrheit (siehe Seite 2)?

Hofer: „Es ist vorstellbar, aber einfach wäre das nicht. Das wäre eine Challenge.“