Nach VdB-Attest: Was müssen Politiker preisgeben?
Nur wenige Tage nach dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli, die Stichwahl der Präsidentschaftswahl wiederholen zu lassen, kursierten im Internet Krankheitsgerüchte rund um Alexander Van der Bellen. Auf dem rechtsextremen Blog „Politically Incorrect“ wurde ihm eine Krebserkrankung mit zahlreichen Metastasen angedichtet; außerdem soll er dement sein, war dort zu lesen.
Eine "herrliche Lunge"
Van der Bellen wies die Gerüchte im KURIER-Interview als „erstunken und erlogen“ zurück. Nun lieferte er auch die Beweise dafür, dass die Anschuldigungen erfunden sind. Am Mittwoch legte Van der Bellen seine Befunde offen, laut diesen hat und hatte der 72-jährige Raucher keinen Krebs. Der Onkologe Christoph Zielinski attestierte ihm gar eine „herrliche Lunge“ – was Van der Bellens Team nun sogar auf ein T-Shirt drucken will.
Van der Bellens Wahlkampfleiter Lothar Lockl erklärte, dass man den Schritt aus Respekt gegenüber der Bevölkerung gewählt habe. Man wolle dieser Sicherheit bezüglich der Eignung des Kandidaten geben und außerdem kursierenden Diffamierungen entgegentreten. Doch hat der Wähler tatsächlich ein Recht darauf, Einblick in die Krankenakte des nächsten möglichen Bundespräsidenten zu bekommen?
Eine unerfreuliche Entwicklung
„Ich hab mir persönlich auch überlegt, wie ich reagieren würde“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell. Van der Bellen habe eigentlich nicht anders handeln können – die Gerüchte waren bereits in Umlauf. „Das liegt daran, dass es eine sehr hitzige und auch mit unfairen Mitteln geführte Auseinandersetzung ist. Dem wurden Fakten gegengesetzt. Wahrscheinlich werden wir uns mit dieser Entwicklung abfinden müssen, so unerfreulich das ist.“ Denn der Grundsatz, dass Gesundheit Privatsache ist, sollte auch für Politiker gelten, sagt Hausjell.
Auch Meinungsforscher Peter Hajek sagt, Van der Bellen habe mit der Veröffentlichung der Befunde „taktisch klug gehandelt“. Das Wahlkampfteam habe damit zwei Ziele erreicht. Einerseits wurde gezeigt, dass ihr Kandidat nicht krank ist, andererseits aber auch ein Angriff der Freiheitlichen Partei offengelegt. „Dadurch wurde die Reputation von Norbert Hofer erschüttert und vermittelt, dass man selbst anders handelt, auch wenn die Urheberschaft dieser Gerüchte im Internet schwierig zu klären ist“, sagt Hajek. Auf den Großteil der Hofer-Wähler werde das dennoch kaum Auswirkungen haben; möglicherweise aber auf Wechselwähler.
Dass es in Zukunft in Österreich Usus sein wird, Krankenakten von Präsidentschaftskandidaten zu veröffentlichen, wie das in den USA der Fall ist, glaubt Hajek nicht. „Das ist eine sehr individuelle Fragestellung, die jeder für sich selbst entscheiden muss.“ In Zeiten sozialer Medien sei ein transparenter Umgang mit der Bevölkerung aber generell anzuraten. „Politiker nutzen diese Plattformen ja, um eine Nähe zum Wähler aufzubauen“, sagt Hajek. Wie sich das auf das Wahlergebnis niederschlägt, sei schwer zu beurteilen. Der Ex-Bundespräsident Heinz Fischer habe beispielsweise nur wenig Privates geteilt, aber dennoch einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung gehabt. „Und auch Van der Bellen hat bislang eher zu diesem Typus Politiker gezählt“, sagt Kommunikationswissenschaftler Hausjell.
Pokemon ist den Wählern egal
Während Norbert Hofer auf Twitter sogar kundtut, wenn er gerade sein erstes Pokemon gefangen hat. „Politiker täuschen sich, wenn sie glauben, sich allzu volksnah präsentieren zu müssen. Ich glaube, dass es den meisten Menschen in diesem Land egal ist, ob jemand Pokemon spielt“, sagt Hausjell. Homestorys sind für ihn nicht nur ein journalistisches Problem – „warum mache ich das als Medium überhaupt?“ -, sondern könnten auch auf den Politiker zurückfallen: „Ich kann die Türe dann nicht mehr zumachen, wenn es dunkle Zeiten gibt“, sagt er. Wer Medien zu sich nach Hause einlädt und beispielsweise seine Musterehe präsentiert, müsse auch mit Berichterstattung rechnen, wenn es eine Ehekrise gibt.