Politik/Inland

Mütter als Schlüssel gegen Radikalisierung

IS. ISIS. Daesh. „Vor Jahren waren das noch Akronyme. Jetzt ist der Terror Alltag in Syrien, Pakistan, Palästina, in Madrid, London, Paris“. Edit Schlaffer weiß, welche Schicksale hinter den Kürzeln, die für den Islamischen Staat und dessen Ideologie stehen, stecken. Die Sozialwissenschafterin und Gründerin von „Frauen ohne Grenzen“ hat über tausend Mütter in Israel, Palästina, Pakistan, Nigeria und Nordirland befragt, deren Söhne radikalisiert und rekrutiert wurden, die in den heiligen Krieg zogen, andere und sich selbst töteten. Es sind eindrucksvolle Interviews, die Schlaffer in einem kurzen Video den Gästen von Raiffeisen Bank International und Business Circle zeigt, ehe sie aufzeigt, worauf es zu achten gilt.

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Mütter erzählten, dass ihre Kinder zunehmend verschlossen wurden, dem Wahabismus (Anhänger des sunnitischen Islam) zugeneigt sich anders kleideten – „langer Bart, kurze Kutte“. Den Rekrutierern gelinge das, weil sie „Zeit haben, unendliche Geduld, zuzuhören. Und eine Botschaft: ,Du bist wichtig. Du bist ein besonderer Baustein für das Kalifat.’“ Damit Jugendliche, Burschen wie Mädchen, sich von diesen Botschaften nicht verleiten lassen, initiierte Schlaffer 2012 in den genannten Krisengebieten „Mütterschulen“. Seit 2015 gibt es das Projekt auch in Österreich. „Wir müssen da sein bevor die Terroristen da sind“, sagt Schlaffer.

Ende der Tabuisierung

Zwei Wochen nach den Anschlägen in Paris herrscht mancherorts der Ausnahmezustand. Die Terrorgefahr scheint allgegenwärtig. Man dürfe das Problem nicht in die religiöse Ecke stellen, so die Sozialwissenschafterin, die sich dafür stark macht, dass „Frauen als Teil einer globalen Sicherheitsarchitektur“ gesehen und anerkannt werden. In den „Mütterschulen“ erzählen Betroffene von ihren radikalisierten Söhnen. Von der Rekrutierung durch den IS. Von Dschihadisten, die mittels Internet Kontakt mit Zuhause, mit ihren Familien, mit ihren Müttern halten. 90 Prozent der Kinder täten das. Der Idealisierung des IS folge meist die Desillusionierung. In den 10-wöchigen Kursen können die Mütter sich austauschen über ihre Erfahrungen, ihre Trauer, ihre Wut, ihr Leid und damit statt der „Dämonisierung, Tabuisierung und Verleugnung“ in einen Dialog treten.

Leben in der Schieflage

Wie wichtig den Müttern diese Kurse sind, zeigte sich erst jüngst in Brüssel. Trotz des Ausnahmezustands kamen sie in die „Mütterschule“. „Wir müssen alles tun, damit wir die Kinder in der Gesellschaft halten“, mahnt Edit Schlaffer.
Wir: das sind Mütter und Väter. Deshalb gibt es bereits auch „Väterschulen.“ Wir, das ist auch die Zivilgesellschaft. Längst seien nicht mehr – wie oft zitiert – einzig die Armutsgefährdeten oder schlecht Gebildeten empfänglich für den IS. Das Phänomen betrifft alle Gesellschaftsschichten. „Das Leben in der Schieflage und das Gefühl der Ungerechtigkeit ist ein treibender Faktor.“ Teil eines Staatsaufbaus zu sein sei für viele faszinierend.