Die Wahlniederlage der SPÖ wird als Sieg verkauft
Von Jürgen Klatzer
Bereits vor dem entscheidenden Wahlsonntag berichteten internationale Medien über die Ausgangslage der Wahl in Wien – um genauer zu sein: über das Duell zwischen Dauerbürgermeister Michael Häupl und FPÖ-Frontmann Heinz-Christian Strache. Am Tag danach findet der "Kampf um Wien" weniger Beachtung, dafür wird der Wahlausgang als Weckruf für die Bundesregierung gewertet. Wer hat Angst vorm Blauen?
Bild: Das medial knappe Häupl-Strache-Duell verpuffte. Die SPÖ liegt weiterhin klar vor der FPÖ.
Rote Wahlkampfmaschine: Samariterpartei
Joachim Riedl von der Zeit schreibt, dass vor allem die "effiziente rote Wahlkampfmaschine" größere Verluste für die Wiener SPÖ verhinderte. "Geschickt nährte die rote Werbekampagne das Schreckgespenst von einem Bürgermeister Strache, der Wien in eine Metropole der Herzlosigkeit verwandeln würde." Diese "Haltung und dieser Anstand" – Begriffe, die auf den Wahlpartys einer inflationären Verwendung zum Opfer fielen – werden auch dazu führen, dass die SPÖ weiter an ihrer Marke "als Samariterpartei arbeiten" wird.
Das Ergebnis sei nicht nur als Erfolg für die FPÖ zu werten. Europa könnte auch von der Wiener Wahl lernen, so Riedl weiter: "Die Rechtspopulisten können von einer offensiven humanitären Politik zumindest in ihre Schranken gewiesen werden."
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Für den Journalisten Björn Hengst von Spiegel Online habe sich der Plan einer "Oktober-Revolution" Straches erledigt, aber das nächste Zittern für die Bundesparteien SPÖ und ÖVP steht bereits an: Wenn sich nichts ändert, wird die Wahl 2018 für Rot und Schwarz zur blauen Qual. Denn das Ergebnis in Wien symbolisiere nicht nur den Aufstieg der Rechtspopulisten, sondern auch den langsamen, aber stetigen Niedergang der beiden Regierungsparteien, schreibt Hengst.
Bild: Im Festzelt der FPÖ wurde über das Wahlergebnis gejubelt.
Es gäbe mehrere Gründe für den Vertrauensverlust in die traditionellen Parteien, aber dass die Große Koalition "als behäbig und uninspiriert" gilt, würde ihren Teil dazu beitragen. "SPÖ und ÖVP werden von vielen Österreichern inzwischen vor allem mit Kungelei in Verbindung gebracht."
Verlust als Sieg verkaufen
Auch Cathrin Kahlweit, die für die Süddeutsche Zeitung berichtet, ortet eine Veränderung in der österreichischen Politlandschaft. Sie ändere sich nach der geschlagenen Wahl zwar nicht gewaltig, "aber langsam und stetig". Wenn die FPÖ in einer internationalen, multikulturellen Großstadt, in der nicht nur Wohlstandsverlierer, sondern die Eliten von morgen leben, ein knappes Drittel der Stimmen auf sich vereinigen kann, dann sei das mehr als nur bemerkenswert, schreibt Kahlweit.
Bild: Maria Vassilakou von den Grünen gab sich betont kämpferisch, doch auch sie konnte nur resignieren.
Für die regierende Koalition auf Bundesebene hätte der Wahlausgang in Wien schlimmer kommen können und deshalb, so die Journalistin, werde alles weitergehen wie bisher. Die geringen Verluste werden als Sieg umgemünzt und vor allem die SPÖ wird sagen, "wir sind noch mal davongekommen, die Diadochenkämpfe werden ein paar Opfer fordern". Und die Bundesschwarzen werden jegliche Schuld von sich weisen, aber alle werden sich bei der nächsten Wahl vor der FPÖ fürchten.
Triumph in der Niederlage
Nach der Wahl erfolgte eine Teilung der Stadt, konstatiert Ralf Leonhard von der TAZ. Die FPÖ habe in der proletarischen Peripherie die Sozialdemokratie als führende Arbeiterpartei längst verdrängt. Nur noch im Zentrum, wo die Bürgerlichen eine Schlappe erlitten haben, sei Rot und Grün noch vertreten.
Meret Baumann von der Zürcher Zeitung bringt es auf den Punkt: Ihr Kommentar zur Wien Wahl trägt den Titel "Ein Triumph in der Niederlage". Der gesamte Wahlkampf sei von den Medien zu einem Duell zwischen den Antipoden Häupl und Strache hochstilisiert worden. Die klare Niederlage, welche die Wiener Sozialdemokraten bei der Gemeinderatswahl hinnehmen mussten, sei aber gleichzeitig ein Sieg, erklärt Baumann. Denn zum ersten Mal hätte die Gefahr bestanden, dass das "rote Wien" und somit die selbstverständliche Vorherrschaft der SPÖ einer rechtspopulistischen Partei weichen muss.
Aber eben diese brisante Ausgangslage sei ein entscheidender Grund dafür gewesen, "dass viele potenzielle Wechsel- oder Nichtwähler doch für die SPÖ stimmten".
Bild: Manfred Juraczka trat nach dem schwachen Abschneiden der ÖVP zurück. Überraschung war es keine.
Bundesregierung zittert weiter
Stephan Löwenstein von der Frankfurter Allgemeinen sieht den unerwartet geringen Verlust der SPÖ weniger euphorisch. Die FPÖ hat zwar ihr Ziel verfehlt, die erste Kraft in Wien zu werden, doch die Rechtspartei hätte nun "einen Markstein in die politische Landschaft gesetzt", so der Journalist. "Das gilt für Österreich, es gilt aber auch für Europa." Es wäre deshalb ratsam, wenn die Regierungsparteien auf Bundesebene sich nicht weiter selbst in die Tasche lügen würden, richtet Löwenstein seine Worte an SPÖ und ÖVP.
"Die Stärke der FPÖ und ihre eigene Schwäche kommen in den Bundes-Umfragen noch stärker zum Ausdruck als jetzt in der Wien-Wahl, wo immerhin noch die Reste der roten Hochburg und das Motiv, Strache 'zu verhindern', einen Umbruch abgewendet haben", resümiert Löwenstein.