Politik/Inland

Löschnak: "Zelte vorzuschieben ist ein Armutszeugnis"

Er kommt eine akademische Viertelstunde vor dem Termin. Kaum hat der promovierte Jurist Platz genommen, geht er in medias res. Seine Vergangenheit als Innenminister, das aktuelle Politikgeschehen und seine Persönlichkeit, wie sich wenig später herausstellen wird, gebieten es. "Nach österreichischer Mentalität wurde gehofft: Wird schon vorbeigehen, wird uns nicht betreffen. Das war eine Fehleinschätzung! Die Regierung hat gewartet, dass sich das Asylproblem von selbst erledigt, dass die EU etwas tut."

Franz Löschnak kennt sich "in dem Bereich ganz gut aus". Weil er sich ständig informiert. Und weil er als Innenminister damals mit ähnlichen Aufgaben konfrontiert war wie es Johanna Mikl-Leitner heute ist. "Grundsätzlich hat sich nichts geändert. Wir haben seinerzeit die zusätzliche Schwierigkeit gehabt, dass es zur Ostöffnung kam – und in weiterer Folge zum Fall der Mauer."

Seinerzeit

Seinerzeit. 1989. Im burgenländischen Kaisersteinbruch will SPÖ-Innenminister Löschnak 800 Rumänen in der Kaserne unterbringen – und scheitert. An den Protesten der Gemeinde . Zelte gab es "seinerzeit", wie er die Vergangenheit nennt, dennoch nicht. "Die Zelte vorzuschieben, weil ich es auf Bundesgrundstücken nicht fertigbringe, die Flüchtlinge unterzubringen, ist ein Armutszeugnis!" Für geglückt hält der laut Eigendefinition "vielleicht manchmal zu loyale Sozialdemokrat" das Durchgriffsrecht in der Asylfrage und die Bestellung des ehemaligen Raiffeisen-Generalanwalts Christian Konrad zum Regierungskoordinator für Flüchtlinge. "Ich kenne ihn aus der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft, wo ich acht oder zehn Jahre lang sein Vize war. Er ist ein Macher, aber er wird sich anschauen, was sich in Ländern und Gemeinden abspielt, wie er auch torpediert werden wird." Der einstige stellvertretende SPÖ-Parteivorsitzende kennt die Usancen und alle Seiten.

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Androsch-Mann

"Ich war 20 Jahre lang bei der Gemeinde Wien – zuletzt der Personalchef von 45.000 Menschen. Die Transferierung ins Bundeskanzleramt war relativ einfach für mich: Ein verhältnismäßig kleines Ministerium mit einigen Tausend Mitarbeitern seinerzeit." Seinerzeit. 1977. Löschnak wird unter Bruno Kreisky Staatssekretär im Bundeskanzleramt – auf Vorschlag des Vizekanzlers und Finanzministers Hannes Androsch. "Ich war immer ein Androsch-Mann. Mit Androsch, Lausecker (Verkehrsminister) und Lichal habe ich nach wie vor Kontakt."

Was der ehemalige rote Innenminister am schwarzen Verteidigungsminister Robert Lichal schätzte? "Der Lichal war ein Polterer. Aber wenn du mit ihm geredet hast, bist du von einem Tag zum anderen zu einer Lösung gekommen. Und Lichal ist zu dieser Lösung gestanden." Lösungen, die er jetzt vermisst. Sowohl in den drängenden Flüchtlingsfragen als auch in der dringenden Gesundheitsreform.

"Die wirkliche Nicht-Ökonomie des Gesundheitssystems liegt auch in der Vielzahl der Spitalserhalter. Kirche, Länder, karitative Organisationen, Universitäten ... Ich nehme für mich nicht in Anspruch, mich in allen Details auszukennen, aber die Struktur der ganzen Geschichte kenne ich." Die Geschichte kennt er aus seiner Zeit als Gesundheitsminister von 1987 bis 1989. Löschnak selbst ist bis auf die Folgen eines Sturzes bei bester Gesundheit. "Es gibt viele, die wie ich mit 75 glauben, wie ein 60-Jähriger herumrennen zu müssen!" Er lacht über sich, ehe er mit seinem ihm eigenen Wiener Schmäh zum ernsten Kern zurückkehrt: "Vielleicht ermannt sich jemand einmal und greift das Föderalismus-Problem auf. Die Verantwortlichen dieser Republik werden sich aufraffen müssen, eine wirkliche Kompetenzänderung herbeizuführen. Sie klammern sich an Gemeinde, Bezirk, Land, Bund. Mit der EU ist dieser Vierteilung der Boden weitgehend entzogen. 60 Prozent der Gesetze werden in der EU gemacht, und wir machen weiter wie bisher."

Kanzler-Frage

Nach drei Viertelstunden folgt sein erster Schluck Kaffee – und die Frage nach Amtierenden. "Die Kanzlerfrage dürfen Sie mir nicht stellen. Ich komme aus dem Bezirk des Kanzlers, kenne ihn seit seinem 17. Lebensjahr, Frau Bures seit ihrem 15. Daher sind solche Fragen nicht statthaft. Spaß ohne: Ich bin nicht jemand, der alles wissend oder besser wissend ist. Andere Zeiten, andere Menschen, andere Probleme."

Probleme machten ihm, dem Kind einer Arbeiterfamilie mit einem "eingefleischten Sozialdemokraten als Vater", die Aussagen von Jörg Haider. Seinerzeit. 1990er. Der FPÖ-Chef tituliert Löschnak ob seiner Flüchtlingspolitik als "unser bester Mann in der Regierung". Das Etikett, das Haider ihm verpasste, passte nicht zu ihm, der 1960 in der Gemeinde Wien in der Opferfürsorge zu arbeiten begann. "Es ging um Entschädigungen für ehemalige politisch, religiös und rassisch Verfolgte in der NS-Zeit. Was wir da an Leid und Elend erzählt bekommen haben, hat uns teils aus den Schuhen gekippt. Deshalb haben solche Haider-Sätze wehgetan." Ohne Harm, dafür mit Schmäh setzt der einst als Hardliner Verschriene fort. "Knapp 20 Jahre war ich im Magistrat. Und dann ist es ja auch ehrenhaft 18 Jahre lang Mitglied der Bundesregierung gewesen zu sein."

Seitenwechsel

Seit 2000 ist der Minister außer Dienst und dennoch nicht im Ruhestand, für seine vier Enkel da oder mit seiner Frau auf Reisen. "Ich bin weder Polit-Pensionist noch Geschäftsmann. Ein Mittelding." Das heißt bei ihm: Obmann der österreichisch-chinesischen Gesellschaft und Geschäftsführer der Klassik Consulting GmbH, die er mit einem russischen Geschäftspartner gegründet hat. "Wir sind Berater kleinsten Ausmaßes. Die letzten 15 Jahre habe ich auf der anderen Seite gekämpft, gesehen, welche Hürden es überall gibt. Ob es die Privatisierung der AUA-Anteile war, wo wir mitgeboten haben oder im Finanzwesen. Mein Partner wollte eine Kleinbank kaufen: Was die Finanzmarktaufsicht mit uns aufgeführt hat! Ich bin zufrieden, dass ich auch den dritten Teil des Spektrums gesehen habe."

Was seine Zufriedenheit mit dem politischen Spektrum betrifft, ist Löschnak einsilbig. "Finanzminister Schelling macht auf mich einen soliden Eindruck." Sonst niemand? "Schäuble. Ich bewundere seinen physischen und psychischen Einsatz. Ich kenne ihn ja von früher."

Schäuble

Ein letzter Rückblick . Seinerzeit. Sommer 1989. Deutschlands Innenminister Wolfgang Schäuble bekommt Besuch von Amtskollegen Löschnak. Ungarn und Polen lockern ihre Ausreisebestimmungen. "Ich hatte Informationen, dass auch in die DDR ein anderer Wind hineinkommt und frage ihn: ,Herr Kollege Schäuble, tut sich da was?‘ Ich glaube, dass Schäuble im Juli tatsächlich auf dem Wissensstand war, der ihn hat sagen lassen: ,Ich glaube nicht, dass sich in der DDR etwas derart schnell verändert.‘"

Fünf Monate später fällt 1989 die Berliner Mauer. 2015 fällt Ungarn die Entscheidung, einen Grenzzaun zu errichten. "Die Entwicklung damals war nicht absehbar. Dass Tausende auf der Flucht sind, weiß man seit eineinhalb Jahren. Was seit wenigen Wochen in Österreich passiert, ist der richtige Weg – nur viel zu spät."