Politik/Inland

Letzter Wahlcheck: Regierung stellt sich Fragen der KURIER-Leser

Faymann: „Ich habe das Gefühl des Heranrückens“

Bundeskanzler Werner Faymann sprach über seine Schulpläne und die geplante Steuerentlastung, nahm Stellung zur Rolle der Kultur im Wahlkampf oder zum Wahlrecht für Ausländer.

Simon Moser, Student: Sie fordern 1500 Euro Mindestlohn oder einen niedrigeren Eingangssteuersatz. Wie soll man Ihnen das abnehmen, wo es doch wieder auf die selbe Koalition hinausläuft?

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Werner Faymann: Wir haben auch in den letzten fünf Jahren viel weitergebracht, zum Beispiel für Alleinerzieherinnen. Und wir haben auch 2009 eine Lohnsteuerreform über drei Milliarden gemacht. Nicht anderes schlage ich auch dieses Mal für 2015 vor. Unser Modell der Steuerreform bringt den Menschen übers Jahr 500 bis 1000 Euro. Ich werde alles unternehmen, das umzusetzen. Ich hoffe, dass es sich mit zwei Parteien ausgeht, mit drei Parteien wird die Umsetzung wesentlich schwieriger werden.

Lisa Hörnler, Angestellte: Wer wird in der nächsten Legislaturperiode in Ihrer Partei die Anliegen der Behinderten vertreten? Und warum ist die für uns wichtige persönliche Assistenz noch immer nicht bundesweit vereinheitlicht.

Der Sozialminister. Rudolf Hundstorfer macht das mit großem Einsatz und großer Kenntnis der Materie. Die Vereinheitlichung der Bedingungen für die persönliche Assistenz nehme ich als wichtige Anregung mit aus unserer Diskussion.

Helmut Steubl, Pensionist: Ich habe immer SPÖ gewählt, bin aber schwer enttäuscht. Vielleicht bin ich ein Querdenker, aber ich würde gerne meinen Beitrag leisten, dass es mit der Partei wieder aufwärtsgeht.

In den nächsten Tagen habe ich sehr wenig Zeit. Aber dann setzen wir uns zusammen und reden ausführlicher. Das Häufigste, was ich zu hören bekomme, ist: ich soll doch mit der ÖVP härter sein. Aber in einer Koalition geht es immer um Kompromisse.

Ahmed Hemeada, Schülervertreter: Die SPÖ ist gegen das Pflichtfach politische Bildung. Warum?

Dieses wichtige Fach gehört meiner Meinung nach auf mehrere Schulfächer wie Geschichte, Geografie oder Deutsch aufgeteilt. Da gehören politische Zusammenhänge behandelt. Aber man braucht da nicht immer gleich ein eigenes Fach, sagen auch viele Bildungsexperten. Bei der nächsten Diskussion werde ich anregen, dass die Schülervertreter in dieser Frage stärker eingebunden werden sollten.

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Ursula Bartos, leitende Angestellte: Sie sind für die Ganztagsschule. Aber in vielen Schulen ist das rein baulich gar nicht machbar. Die Situation ist sehr oft unbefriedigend. Derzeit haben 15 Prozent der Kinder die Möglichkeit, eine ganztägige Schule zu besuchen. Durch unser Bauprogramm werden 2018 schon 30 Prozent der Kinder diese Möglichkeit haben. Ich will auf 50 Prozent gehen. Zum Vergleich: In Bayern ist man schon jetzt bei 80 Prozent. Seither unterstellt mir der Koalitionspartner, ich wäre für einen Zwang zur Ganztagsschule. Das ist natürlich Unsinn. Das hat auch nichts mit der DDR zu tun. Die meisten Ganztagsschulen gibt es in Skandinavien und wie gesagt in Bayern.

Oswald Finsterl, Pensionist: Warum kam eigentlich die Kultur so wenig vor im Wahlkampf?

Sie haben völlig recht. Die Bedeutung von Kunst und Kultur wird unterschätzt, auch für den Wirtschaftsstandort oder den Tourismus. Mir ist aber auch Europa und internationale Politik viel zu kurz gekommen.

KURIER: Stimmt der Eindruck, dass sich die Künstler und die SPÖ schon einmal näher waren?

Nein, das empfinde ich anders. Bei der letzten Wahl hatte ich erhebliche Diskussionen mit kritischen Künstlern vor allem über meine Europa-Position. Jetzt habe ich eher ein Gefühl des Heranrückens.

Frage eines Lesers per eMail: Ihre Tochter geht in ein Gymnasium. Warum wollen Sie eigentlich das Gymnasium abschaffen?

Meine kleine Tochter war schon in einer ganztägigen Volksschule sehr begeistert und wollte unbedingt wieder in eine ganztägige Klasse. Auch in einer gemeinsamen Schule haben die Differenzierungen ihren Platz. Mir geht es ja nur darum, dass man nicht immer in verschiedene Gebäude gehen muss. Es geht um das Miteinander der Kinder und eine noch bessere Förderung in Kleingruppen.

eMail-Frage: Sie haben vor ein paar Jahren die alte Erbschaftssteuer mit abgeschafft. Jetzt wollen sie die Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuer wieder einführen. Schaut so die ruhige Hand des Kanzlers aus?

Das war nicht meine Hand und auch nicht die Hand der Politik. Das hat der Verfassungsgerichtshof so entschieden. Jetzt ist es wichtig zu sagen, wen trifft es. Daher legen wir so großen Wert auf hohe Freibetragsgrenzen. Konkret soll bei jeder Vermögensbesteuerung eine Netto-Freigrenze von einer Millionen Euro gelten, also Vermögen abzüglich aller Schulden. Und parallel dazu wollen wir die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen entlasten.

Porträt Werner Faymann:

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eMail-Frage eines Lesers: Sie beabsichtigen schon länger, die Regierung zu verkleinern. Auf welche Ministerien beziehungsweise Minister kann man verzichten?

Das muss man nach der Wahl erst mit dem nächsten Koalitionspartner ausdiskutieren. Das kann entweder ein Ministerium oder ein Staatssekretariat sein. Ich wollte ja auch das Parlament verkleinern, aber da haben viele gemeint, dass müssten die Parlamentarier selbst entscheiden. Die haben sich aber nicht geeinigt. Vielleicht gelingt hier nach der geplanten Verkleinerung der Regierung ein neuer Anlauf.

Willi Kravina, Angestellter: Wenn es zu einer Koalition aus Schwarz und Blau mit Stronach oder dem BZÖ als drittem Partner kommt, was wären dann Ihre persönlichen Konsequenzen?Ich nehme mir nur ein Ziel vor, ich will Erster werden bei dieser Wahl. Sie werden verstehen, ich bin gerade im Volleinsatz und will daher nicht über das Scheitern nachdenken. Aber natürlich will ich alles tun, damit das Land nicht von Schwarz-Blau-Stronach regiert wird.

Jürgen Klatzer, Student: Ich habe das Thema der Praktika, die gar nicht bis sehr schlecht bezahlten werden, im Wahlkampf sehr vermisst. Die jungen Leute haben es deshalb so schwer, weil in den letzten 15 Jahren viele Dinge gekommen sind, die man so und so auslegen kann – wie auch bei den All-inclusive-Verträgen. Es ist gut und wichtig, in einem Praktikum Arbeitserfahrung zu sammeln, aber die Entlohnungsseite muss besser werden, keine Frage. Diese Fehlentwicklung muss man zurückdrängen, ohne die Sache ganz abzuschaffen.

Agnieszka Jureczko, Assistentin: Ich bin Polin, lebe jetzt aber schon neun Jahre in Österreich. Ich bin nicht wahlberechtigt. Soll das Ihrer Meinung nach so bleiben?

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Sie können als EU-Bürgerin 2015 in Wien die Bezirksvertretung wählen. Aber für das Wahlrecht auf Bundesebene ist die Staatsbürgerschaft entscheidend.

KURIER: Wie schaut die Zukunft des Euro aus?

Der Euro ist stabil. Generell gefällt mir die Idee eines Tilgungsfonds, wie ihn die deutschen Wirtschaftsweisen vorgeschlagen haben. Mit diesem Instrument könnte man günstige Kredite an Länder in Not vergeben, aber nicht für die Bankenrettung, sondern für gezielte Investitionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit. So könnten diese Länder aus dem Teufelskreislauf aus schwacher Wirtschaft und hartem Sparkurs herauskommen.

Alles rund um die Nationalratswahl finden Sie hier.

Vizekanzler Michael Spindelegger kämpft heute um Platz eins, sieht Für und Wider bei den Grünen, will aber nichts von Straches Nächstenliebe, maximal seine Wähler.

Bianca Mayer, Studentin: Welche Pläne haben Sie für die Hochschulfinanzierung und wird es auch in Zukunft Aufnahmeprüfungen geben?

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Wir haben die Hochschulmilliarde für drei Jahre – bis 2016. Das sind pro Jahr 300 Millionen mehr. Außerdem setze ich auf Studienbeiträge. Die sind fair und machen auch die Finanzierung der Unis leichter. Ich würde das Geld heute ganz den Unis zur Verfügung stellen. Was die Aufnahmetests in begehrten Fächern angeht: Ja, bei Massenfächern sollte es sie weiter geben. Aber das sollte der Autonomie der Unis überlassen sein.

Oswald Finsterl, Pensionist: Was ist für Sie eigentlich der Unterschied zwischen den West- und Ost-Grünen? Mit den einen regieren Sie schon, mit den anderen wollen Sie das aber nicht.Warum?

Ganz pragmatisch gesehen: Die Erfahrungen, die Wilfried Haslauer jetzt in Salzburg bei der Erarbeitung des Regierungsprogrammes gemacht hat, waren gute. Man hat sich gefunden. Die selben Erfahrungen hat Günther Platter in Tirol gemacht. In Oberösterreich ist man jetzt schon die zweite Periode mit den Grünen zusammen. Das spricht für sich. Aber bei Frau Glawischnig habe ich den Eindruck, dass da schon sehr die Ideologie im Vordergrund steht: bei den Schulen oder etwa bei der Frage der Vermögenssteuern. Da wird abseits des Ideologischen völlig ausgeblendet, was gut oder schlecht für den Standort ist.

Simon Moser, Student: Aber die ÖVP hat doch auch ihre Ideologie, zum Beispiel die AHS.

Die AHS als solche nicht, aber das differenzierte Schulsystem. Ich habe zwei Söhne, die sehr unterschiedlich sind. Der eine ist schulisch sehr begabt, der andere ist vor allem ein Sportler. Jeder, der Kinder hat, kennt das. Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Wenn jetzt alle bis 14 in die gleiche Schule gehen sollen, wird das auch nicht die Ergebnisse bringen, dass jetzt alle besser lesen können. Wir müssen darauf achten, dass das Lesen trainiert wird, und nicht, was auf dem Türschild der Schule steht.

Porträt Michael Spindelegger:

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KURIER: Strache schließt nicht aus, Ihnen den Kanzler anzubieten, sollte sich Schwarz-Blau ausgehen. Interesse?

Das erinnert mich an Straches Nächstenliebe. Ich will ehrlich gesagt nicht von Strache geliebt werden. Maximal von seinen Wählern. Alles andere ist doch eine rein theoretische Frage.

Ahmed Hemeada, Schüler: Soll politische Bildung ein Pflichtfach sein und glauben Sie, dass mich Kanzler Faymann, der sich extra meine Nummer hat geben lassen, diesbezüglich anruft?

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Ja, wir müssen das als Pflichtfach machen, weil sonst kommt man nie über bestimmte erste Hürden der Information drüber. Ein gewisses Grundverständnis der politischen Zusammenhänge ist für eine Demokratie erforderlich. Und was Werner Faymann betrifft, ich kann ihm das ausrichten,wenn Sie wollen.Joel Tölgyes, Student: Wie wollen Sie die Zukunft der Schule und Bildung inklusive des neuen Lehrerdienstrechts gestalten, wo Sie einen Kurs gegen die eigene Gewerkschaft fahren müssen?

Das stimmt. Das muss man auch tun und die Materie muss auch entschieden werden. Den Lehrern, die sich jetzt zurückgesetzt fühlen, sage ich immer wieder: Es geht um neu eintretende Lehrer. Und jeder, der heute einen neuen Beruf beginnt, hat nun einmal eine neue Ausgangssituation. Das ist in jedem Unternehmen so. Eine neue Ausbildung für Lehrer haben wir schon beschlossen, daher brauchen wir jetzt ein neues Lehrerdienstrecht, für die, die dort eintreten. Bis 2019 hat man ohnehin die Wahlfreiheit. Wichtig ist aber, gleichzeitig auch die Schulautonomie wieder zu stärken. Weil nur durch das neue Lehrerdienstrecht steigt nicht auch die Qualität der Ausbildung. Die Probleme einer Volksschule in Wien Ottakring sind völlig andere als an einer Volksschule auf dem Land. Deshalb braucht es mehr Autonomie.

KURIER: Und die Gymnasien?

Das Gymnasium wurde bewusst und aus rein ideologischen Gründen ausgehungert. Das werfe ich Unterrichtsministerin Claudia Schmied von der SPÖ auch ganz konkret vor, weil sie die AHS generell nicht will. Da wird ein Sparkurs gefahren, obwohl wir das anders beschlossen und anders gesagt haben.

Willi Kravina, Angestellter: Welche Sparvorschläge haben Sie für Regierung, Parlament und Bundesrat?

Beim Sparen muss man bei sich selbst beginnen, sonst hat man keine Vorbildwirkung. Wir haben ausgemacht, in der nächsten Regierung zwei Posten einzusparen. Außerdem wollten wir zehn Prozent in Parlament und Bundesrat einsparen. Da braucht es aber erst die entsprechenden Mehrheiten. Da war die Lust der Parlamentarier zu diesem Schritt sehr wenig ausgeprägt. Ich werde als Bundeskanzler aber auch die Länder und Gemeinden einladen, über Reduktionen des Verwaltungsaufwandes um einen „Prozentsatz X“ bis 2018 zu verhandeln. Wir müssen zu einer schlankeren Struktur für Österreich kommen.

KURIER: Stimmt die Schlagzeile: Wirtschaft top, Bildung floppt?

Die Wirtschaft hat genug Aufträge, aber ob auch die Investitionen folgen, da warten die Unternehmen eher ab. Es gibt große Unsicherheiten über die künftigen Rahmenbedingungen, etwa was die Frage allfälliger Steuererhöhungen angeht, die wir ablehnen. Ich stehe zu meinem Wort, aber das kann ich natürlich nur, wenn ich auch Erster werde. Zur Bildung: Ja, das Ergebnis ist erschütternd, wenn die diversen Tests ergeben, dass nach der 9. Schulstufe jeder Vierte in Österreich nicht sinnerfassend lesen kann.

eMail-Frage eines Lesers: Wenn Sie Bundeskanzler werden, welche Reform hat dann Priorität? Was setzen Sie zuerst um?

Mein erstes Ziel ist ein Wachstumspakt mit den Ländern und Sozialpartnern. Wir brauchen neue steuerliche Anreize, die Arbeitgeber sollen wieder mehr investieren und für die Arbeitnehmer möchte ich eine Mitarbeiterbeteiligung steuerlich begünstigen. Ich war gerade in Oberösterreich bei einem Betriebsbesuch, da sind das am Jahresende zwei Monatsgehälter.

eMail-Frage: Warum wünschen sich so viele ÖVPler Schwarz-Grün, wo doch die Grünen eigentlich viel weiter links sind als die SPÖ?

Es gibt eine Frustration über die Große Koalition, weil nichts weitergeht. Aber das stimmt so auch wieder nicht und ist mehr eine atmosphärische Kritik als eine inhaltliche. Ich bin offen, auch für eine solche Variante. Aber das muss man sich erst finden und dazu bräuchte man einen dritten Partner. Das wird man erst alles nach dem Wahlergebnis sehen.

Andreas Heinz-Erian, Student: Sie wollen den Österreichern nicht ihr Essen vorschreiben. Aber bei einem Durchschnittskonsum von 65 Kilo Fleisch muss man doch zu gewissen Vorschriften kommen. Beim Rauchen ist es nicht anders.Nein, es muss Aufklärung und Anreize für eine gesündere Ernährung geben, aber doch kein vom Staat vorgeschriebenes Leben samt Tagesablauf. Am besten auch gleich einen verpflichtenden Veggie Day pro Woche, mit Stempelmarken vom Fleischer oder so. (lacht) Nein, das will ich nicht.

Jürgen Klatzer, Student: Was wollen Sie gegen Praktika tun, die gar nicht oder extrem schlecht bezahlt sind?

Wir müssen die Wirtschaft ankurbeln, das hilft. Dann hört sich diese Praxis auf. Wenn man wieder Mitarbeiter braucht, werden die Arbeitgeber sehr erfinderisch.

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Stefan Bartos, Student: Wie soll der Datenschutz verbessert werden? Ist da ein Abkommen mit den USA realistisch?

Möglich ist es, wenn wir mit den USA in dieser Frage neues Vertrauen aufbauen. Generell trete ich dafür ein, dass wir den Datenschutz auf EU-Ebene verschärfen. Denn es gibt hier wegen der neuen Medien ständig neue Möglichkeiten der missbräuchlichen Datenverwendung. Aber der NSA-Spionageskandal, der mich selbst erschüttert hat, war de facto kein Thema im Wahlkampf. Ich bin seit Anfang August im Land unterwegs und kein einziger Bürger hat mich danach gefragt.