Politik/Inland

Mindestsicherung: Gespart wird bei Kindern

Knapp eine Woche ist vergangen, seit die Regierung ihre Ideen zur Neuregelung der Mindestsicherung vorgelegt hat. Abgeebbt sind die Diskussionen darüber aber nicht – im Gegenteil: Die Kritik von Vertretern der Zivilgesellschaft wird immer lauter.

Michael Chalupka, scheidender Chef der Diakonie, und Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger beklagen etwa, dass die geplanten Kürzungen beim Sozialgeld nur zum kleinen Teil ausländische Familien treffen würden – Hauptleidtragende seien österreichische Familien, und da wiederum Kinder.

Ist das richtig? Der KURIER beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Was soll sich für Kinder, deren Eltern von Mindestsicherung leben, ändern?

Die türkis-blaue Regierung plant, die Mindestsicherung vor allem für Migranten unattraktiv zu machen. Gekürzt wird darum nicht nur bei Asylberechtigten, die nicht ausreichend Deutsch können – sie bekommen 300 Euro weniger als Österreicher –, sondern auch bei kinderreichen Familien: Paare mit mehreren Kindern sollen deutlich weniger Unterstützung bekommen.

In Zahlen heißt das: Bisher bekommt man als Paar in Wien (die Kinder-Leistungen sind je nach Bundesland verschieden hoch) für jedes Kind 233 Euro. Künftig ist es deutlich weniger: Für das erste Kind sind es 25 Prozent der eigenen Mindestsicherung – also 216 Euro –, für das zweite 15 Prozent (129 Euro), und für das dritte nur fünf Prozent – 43 Euro oder „1,50 pro Tag“, wie Chalupka bemängelt.

Bekommen österreichische Familien auch weniger – oder nur Migranten?

Die Neuregelung trifft alle – also auch österreichische Familien, und das in nicht zu geringem Ausmaß: Eine heimische Familie mit drei Kindern verliert nach dem neuen Modell mehr als 300 Euro im Monat; bei fünf Kindern sind es schon 776 Euro.

Asylberechtigte ohne Deutschkenntnisse trifft der ÖVP-FPÖ-Plan freilich noch härter. Weil ihre Leistung ohnehin nur 563 Euro beträgt, fallen die prozentuell gerechneten Kinderzuschüsse auch geringer aus. Das ist ein Punkt, der bei der Diakonie für Kritik sorgt: Dass ausgerechnet bei Kindern Unterschiede gemacht werden, sei weder rechtlich haltbar noch nachvollziehbar.

Gibt es wirklich so viele Kinder, die von Sozialgeld leben?

Ja – sogar sehr viele: Laut der letzten Erhebung aus dem Jahr 2016 leben in Österreich 83.818 Kinder von der Mindestsicherung – das ist beinahe ein Drittel aller Bezieher.

In Wien, wo die größte Zahl an Mindestsicherungsbeziehern lebt, leben derzeit etwa 44.000 Kinder unter 18 Jahre von Sozialgeld, heißt es aus dem Büro von Sozialstadtrat Peter Hacker. Von ihnen wäre ein Gutteil von der Reform betroffen: Zumindest 74 Prozent - 32.972 -  wären durch die Neuregelung finanziell schlechter gestellt, hat man errechnet. Dazu zählen nicht nur jene 19.000 Kinder, die in Familien mit einem oder mehr Geschwistern leben, sondern auch die mehr als 12.000 Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen. Zwar hat die Regierung angekündigt, für Abfederungen zu sorgen, kinderreiche Alleinerzieher rutschen dennoch ins Minus: Eine Alleinerzieherin mit fünf Kindern muss künftig mit 415 Euro weniger auskommen.

Die meisten Betroffenen sind Migranten – oder?

Die Vorstellung, die Kürzungen würden nur Migrantenfamilien treffen, relativiert man in Hackers Büro umgehend: „Das trifft auch österreichische Familien, und das nicht zu knapp“, heißt es dort. 42 Prozent der Kinder in der Mindestsicherung haben die österreichische Staatsbürgerschaft, und von den restlichen 58 Prozent sei auch nur ein kleinerer Anteil asylberechtigt: „Viele sind schon lange in Österreich.“ Auch die Diakonie schätzt den Anteil von asylberechtigten Kindern, die in die Mindestsicherung fallen, auf lediglich zehn bis 15 Prozent.

Dazu kommt: Subsidiär Schutzberechtigte, die bisher ja Anspruch auf Sozialgeld hatten, sollen künftig ganz aus dem System fallen – und damit auch ihre Kinder. Allein in Wien trifft das viele: 2000 Kinder werden so zurück in die Grundversorgung für Asylwerber gestuft.

Volkshilfe-Chef Fenninger bekrittelt, dass so ausschließlich Armut vererbt werde: „Diese Kinder sind zu einem Leben in Armut verurteilt“, sagt er. Auch Wiens Sozialstadtrat Hacker hält das für fatal: „Wenn Leute nicht wissen, wie sie ihr Leben bestreiten sollen, riskiert man, dass die Kriminalität steigt.“

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