Politik/Inland

Krankenkassen: Ausgabenbremse „verfassungsrechtlich bedenklich“

Ein neues Kinderarzt-Zentrum am Wienerberg oder die geplante Hämatologie im Hanusch-Krankenhaus in Wien Penzing: Das sind nur zwei von vielen Bauprojekten in Österreich, die jetzt gestoppt werden mussten.

Denn: Die Bundesregierung hat parallel zur geplanten Fusion der Krankenkassen die umstrittene Ausgabenbremse beschlossen.

Die Kassen und ihr Hauptverband wehren sich. Medial seit längerem, aber jetzt auch mit juristischen Mitteln.

Worum geht es?

Alexander Biach, Vorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, sieht sich als „Hüter der Selbstverwaltung“. Als solcher hat er zur Ausgabenbremse ein Gutachten beim Wiener Verfassungsrechtler Michael eingeholt.

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Das Gutachten liegt dem KURIER vor und für Potacs ist die Ausgabenbremse aus diversen Gründen „verfassungsrechtlich äußerst bedenklich“, wie er auf gut 20 Seiten ausführt.

Einer der zentralen Sätze des Schriftstücks lautet: Durch die diversen Vorgaben des Gesetzes – von den in Frage gestellten Bauprojekten über den verordneten Einstellungsstopp bei den Kassen bis zum Ausgabendeckel für Ärzteverträge – werde „in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich der Autonomie von Selbstverwaltungskörpern“ eingegriffen.

Unjuristisch ausgedrückt: Die Regierung mischt sich zu sehr in die Belange der Selbstverwaltung ein.

Mit ein Grund, warum Potacs verschiedene Möglichkeiten aufzählt, wie sich die Kassen vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) zur Wehr setzen können.

Appell an Kurz & Strache

Doch bevor der aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund kommende Biach den VfGH anruft, richtet er einen ungewöhnlichen Appell an Türkis-Blau: Die Regierungsparteien, so Biach im KURIER-Gespräch, sollten die erst im Juli beschlossene Ausgabenbremse möglichst rasch „wieder außer Kraft setzen“. Denn, so Biach: „Sonst sind wir als Vertreter der Selbstverwaltung dazu gezwungen, den Gang zum Höchstgericht anzutreten.“

Für Biach steht fest: „Mit der Ausgabenbremse wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, das Gesetz ist völlig überschießend. Die Aufsichtsbehörde (das Gesundheitsministerium) könnte schon jetzt bei Einzelprojekten ihr Veto einlegen. So ist das ein brutaler Eingriff in die Selbstverwaltung.“

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Kassenfusion

Bleibt die Frage: Warum schreibt die Regierung den Krankenkassen per Gesetz eine Ausgabensperre vor, wenn sie im Einzelfall ohnehin blockieren könnte?

Dazu muss man wissen, dass die Regierung eines erreichen wollte: Verträge zu teuren Bauvorhaben, Ärzte-Leistungen oder Posten-Besetzungen sollten so lange warten, bis die Kassen-Fusion unter Dach und Fach ist.

Die von Türkis-Blau angekündigte Verschmelzung der 21 Sozialversicherungsträger „auf vier, maximal fünf“ soll also nicht durch kostspielige Beschlüsse in den Kassen konterkariert werden – schließlich will die Regierung mit der Reform auch Einsparungen erzielen.

Doch das Ganze hat aus Sicht der Kassen und Sozialpartner, die ja dort das Sagen haben, einen gewaltigen Haken: Längst gestartete Projekte und Reformen, wie beispielsweise der Ausbau der Primärversorgungszentren zur Entlastung der Spitalsambulanzen, werden durch die Reform grundsätzlich in Frage gestellt.

Staat hat nur Aufsicht

Mehr noch: Das eingangs erwähnte Kinderarztzentrum hat aus Sicht der Krankenkassen rein gar nichts mit der Kassenfusion zu tun, sondern gehört zu den ureigenen Aufgaben und Entscheidungen der Kassen selbst.

Als so genannte Selbstverwaltungskörper entscheiden die Kassen nämlich selbst, was mit dem Geld der bei ihnen versicherten Menschen passiert. Verantwortlich sind die gewählten Funktionäre der Sozialpartner, sprich: Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und dieses eherne Prinzip ist seit 2008 sogar in der Bundesverfassung verankert.