Sozialversicherung: 700 Millionen Euro Sparpotenzial
630.000 Euro hat sie gekostet, die erste umfangreiche Analyse des österreichischen Gesundheitssystems seit 25 Jahren. Und in dieser rund 1400-seitigen Studie, die dem KURIER vorliegt, kommen die Wissenschaftler der Londoner School of Economics zu (LSE) einigen brisanten Schlüssen: Zwar sei das heimische Gesundheitssystem "prinzipiell gut", erklärt Autor Elias Mossialos, es gebe aber erhebliches Sparpotenziale: "Wir mussten feststellen", so Mussioalos, "dass das österreichische Gesundheitssystem aufgrund seiner vielschichtigen Verwaltungsstruktur komplex und fragmentiert ist". Die LSE-Wissenschaftler rechnen vor, wie Österreich zwischen 700 und 860 Millionen Euro bei den Gesundheitsausgaben - die laut LSE ungefähr zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen - einsparen kann.
Auftraggeber und Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) wurden vier Modelle für eine neue Struktur der mehr als 20 Sozialversicherungsträger vorgelegt: Von Modell eins ( ein bundesweiter Träger für die Unfall- und die Pensionsversicherung sowie ein Krankenversicherungsträger für alle unselbstständig Beschäftigten und einer für die Selbstständigen (SVA und SVB) bis hin zu einem "sanften Ansatz" in Modell vier (alles bleibt de facto wie gehabt, die neun GKKs und BKKs müssen sich aber per Gesetz und via Serviceeinrichtungen besser koordinieren). Mossialos wollte sich nicht auf ein Modell festlegen. "Es gibt nicht die eine richtige Lösung." Aus dem Sozialministerium heißt es allerdings, dass der sanfte Ansatz präferiert wird. In den nächsten Wochen soll ein Gesetzesentwurf für ein neues Sozialversicherungsstrukturgesetz vorgelegt werden, um die Träger zur besseren Zusammenarbeit zu verpflichten.
Harmonisierung der Leistungen
Eine zentrale Empfehlung der Studie sieht die Harmonisierung der Leistungen vor. Schließlich sind Zuschüsse zu Heilmitteln und anderen Leistungen von Bundesland zu Bundesland, von Kasse zu Kasse, verschieden. EIn Beispiel: Während die Gebietskrankenkasse im Burgenland höchstens 162 Euro pro Kontaktlinse dazuzahlt, werden in Vorarlberg 287 Euro beigesteuert. Das sei nicht fair, urteilen die Autoren. Und: Bevor die Träger fusioniert werden, müssen die Leistungen harmonisiert werden. Stöger und Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) kündigten bereits vor der Pressekonferenz zur Studienpräsentation an, Leistungen sowie Arzthonorare harmonisieren zu wollen. Dafür müssen sich allerdings die Träger untereinander verständigen - freilich mit Druck der Politik. Kosten würde die Angleichung der Leistungen laut Studie zumindest 171 Millionen Euro - "das geht sich aber mit den Einsparungen leicht aus", erklärt Mossialos.
Ebenfalls empfiehlt die Studie ein Anreizsystem, um junge Ärzte aufs Land zu bringen - konkret sollen die an sich als Unternehmer agierenden Mediziner ein fixes EInkommen vom Staat bekommen, erklären die Autoren. So sollen unter anderem die Spitäler entlastet werden - für die Österreich laut LSE zu viel Geld ausgibt, weil die Menschen zu selten ambulant behandelt werden. Außerdem: Selbstbehalte im Gesundheitswesen sind für den Autor der LSE-Studie über die Effizienz der Sozialversicherungen, Elias Mossialos, "Steuern für Kranke". Das System werde damit nicht effizienter, "Kranke werden bestraft".
Generell warnt das LSE davor, "Revolutionen" zu machen: Die Zufriedenheit mit dem System sei größer als in anderen Ländern, die Zugänge seien ebenfalls gut. Stögers Ziel: 120 Millionen in der Verwaltung sparen, Leistungen harmonisieren, Selbstbehalte abbauen, und eine unabhängige Instanz für Qualitätssicherung. Dass viele Punkte Studie noch vor der Wahl umgesetzt wird, gilt indes als sehr unwahrscheinlich.
(Klaus Knittelfelder)