Politik/Inland

Karmasin: Alleingang bei Familienbeihilfe denkbar

Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) will die Familienbeihilfe (der KURIER berichtete exklusiv) für Kinder, die nicht mit ihren Eltern nach Österreich gekommen sind, "im Notfall" auch im nationalen Alleingang Österreichs und ohne Zustimmung der Europäischen Union kürzen beziehungsweise indexieren. Dies kündigte Karmasin am Dienstag beim Ministerrat an.

Schelling: Haltung der EU-Kommission "nicht richtig"

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hat in der Frage bereits ein Gutachten beim Arbeitsrechtsexperten Wolfgang Mazal in Auftrag gegeben. Schelling bezeichnete die ablehnende Haltung der EU-Kommission als "nicht richtig". Was den Briten zugesagt wurde, müsse auch für alle anderen gelten. "Das ist wieder eine typische Entscheidung der EU, die alle verärgert", so der Minister.

In der SPÖ zeigte man sich unterdessen verstimmt über die Vorgangsweise der ÖVP, und Sozialminister Alois Stöger übte Kritik am ÖVP-Regierungsteam. "Einige Mitglieder sind vorgeprescht, genau das ist das Problem", sagte Stöger. Er selbst habe von dem Konzept aus den Medien erfahren. Aus seiner Sicht hätte man sich vor dem Brief an die EU-Kommission innerhalb der Regierung zusammensetzen und eine Strategie entwickeln sollen.

Laut Stöger brauche es eine Gesamtposition gegenüber Brüssel, dies sei Aufgabe der Familienministerin. Inhaltlich äußerte sich Stöger zurückhaltend. Wenn man die Idee "radikal durchdenkt", gebe es auch Fälle, wo mehr zu zahlen sei. Man könne die Frage diskutieren, müsse sich die Sache aber genau ansehen.

250 Millionen Euro pro Jahr ins Ausland

Aus Österreich fließen pro Jahr rund 250 Millionen Euro an Familienleistungen ins Ausland. Karmasin, Schelling und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatten deshalb im November in einem Brief an die EU-Kommission eine Anpassung der Kinderbeihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder an das jeweilige Landesniveau gefordert. Auch Bundeskanzler Christan Kern (SPÖ) sprach sich für eine Kürzung aus. Eine Kürzung könnte laut Karmasin Einsparungen von bis zu 100 Millionen Euro bringen.

Im Februar hatte der Europäische Rat im Falle Großbritanniens und wegen des dort bevorstehenden Referendums über den EU-Austritt grünes Licht für eine Indexierung der Familienbeihilfensätze gegeben. Die EU-Kommission sieht nun laut einer Vorlage, die am Dienstag präsentiert werden soll, aber keine Handhabe für eine solche Vorgangsweise. Leben die Eltern in Österreich, deren Kinder aber in Rumänien, dürfe die Kinderbeihilfe deshalb nicht auf das lokale Niveau gesenkt werden, so die Kommission.

Mitterlehner: EU "überzeugen und verhandeln"

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) will die Kommission in der Frage noch "überzeugen und verhandeln", Familienministerin Karmasin die ablehnende Haltung in Brüssel "sicher nicht akzeptieren". Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) verteidigte seine Parteikollegin. Er geht davon aus, mit der EU-Kommission einen Weg zu finden, und verwies auf Deutschland, wo es bei der Pkw-Maut letztlich auch eine Lösung mit Brüssel gegeben habe.

"Ich habe seinerzeit nicht den Brief der drei ÖVP-Minister gekannt, jetzt kenne ich die Antwort auch nicht", meinte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder zur Diskussion. Und SPÖ-Regierungskoordinator Thomas Drozda zeigte sich wenig überrascht über die Reaktion aus Brüssel. "Dass die Begeisterung der Kommission enden wollend sein würde und es nicht leicht sein wird, eine qualifizierte Mehrheit finden", sei vorhersehbar gewesen.

Grüne finden Alleingang "irrational"

Die Grüne Familiensprecherin Judith Schwentner findet es "irrational", dass Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) wegen der ablehnenden Haltung der EU-Kommission "nun auch noch einen Alleingang in punkto Familienbeihilfe ankündigt". Österreich würde damit "klar gegen EU-Recht verstoßen und Klagen vor dem EuGH riskieren", betonte Schwentner am Dienstag in einer Aussendung.

Es gebe gar kein konkretes Konzept für eine Kürzung der Familienbeihilfe im Ausland. "ÖVP und SPÖ schüren eine Neiddebatte zulasten von Kindern und ArbeitnehmerInnen, die in Österreich wichtige Arbeit wie zum Beispiel in der Pflege verrichten", kritisierte Schwentner.

Rund 249 Mio. Euro für 122.000 Kinder hat Österreich im Jahr 2015 an Familienbeihilfe ins Ausland gezahlt. Die Zahlungen sind seit 2013 gestiegen, zeigen die Daten des Familienministeriums. Ressortchefin Sophie Karmasin (ÖVP) erhofft sich durch eine Anpassung ans jeweilige Zielland Einsparungen von gut 100 Mio. Euro.

Die EU-Kommission stellt sich allerdings gegen die ÖVP-Forderung nach einer "Indexierung" der Familienbeihilfe für Kinder, die nicht mit ihren Eltern nach Österreich gekommen sind. Ein entsprechendes Papier wird am Dienstag nach der Kommissionssitzung im Europäischen Parlament in Straßburg vorgestellt. Karmasin bleibt aber dabei und will die Zahlungen "im Notfall" auch im nationalen Alleingang und ohne Zustimmung der EU kürzen.

Keine aktuellen Daten

Aktuelle Daten, wie viel Österreich heuer für Kinder in EU-/EWR-Staaten gezahlt hat, gibt es noch nicht. 2013 waren es 192 Mio. Euro für rund 94.000 Kinder, 2014 dann 227 Mio. Euro für 111.000 Kinder und vergangenes Jahr schließlich 249 Mio. Euro für 122.000 Kinder.

Unterschieden wird in Kinder, für die die volle Familienbeihilfe gezahlt wurde (wenn z.B. die Familie in Ungarn lebt, der Vater in Österreich arbeitet und die Mutter nicht arbeitet) und solche, für die es eine Differenzzahlung auf das österreichische Niveau gab (z.B. Familie in Ungarn, Vater arbeitet in Österreich, Mutter arbeitet in Ungarn). In beiden Fällen steht zusätzlich der volle österreichische Kinderabsetzbetrag zu.

Die volle Familienbeihilfe gab es 2015 für über 31.700 Kinder (52,1 Mio. plus 21,2 Mio. Kinderabsetzbetrag), Ausgleichszahlungen für knapp 90.300 Kinder (115,3 Mio. Euro plus 60 Mio. Kinderabsetzbetrag).

Am häufigsten Ungarn, Slowakei und Polen

Häufigstes Wohnsitzland der Kinder war 2015 Ungarn (64,7 Mio. Euro für 32.000 Kinder). Es folgen die Slowakei (59,7 Mio. Euro für 29.000 Kinder) und Polen (37 Mio. für 18.000 Kinder). Rund 27 Mio. Euro flossen nach Rumänien, je 17 Mio. Euro nach Slowenien und Tschechien und immerhin 6 Mio. Euro nach Deutschland. In Staaten außerhalb der EU bzw. des EWR wird keine Familienbeihilfe exportiert, da es keine diesbezüglichen Sozialabkommen gibt. Dies gilt beispielsweise für Kinder, die sich in der Türkei aufhalten.

Eine Aufschlüsselung nach den Berufen der Eltern gibt es laut Auskunft des Familienministeriums übrigens nicht.