Politik/Inland

Kanzler tourt mit "Worauf warten?"

Die Stadt liegt ihm zu Füßen. Wir sind im 19. Stock, in der Glas-Lounge eines Wiener Hochhauses am Donau-Ufer. Und hoch über den Lichtern von Wien tut Christian Kern, was er längst verinnerlicht hat: Er wirbt für sich und sein Programm, den Plan A. Der SPÖ-Chef stellte sich im Wiener Ares Tower den Fragen der "Sektion ohne Namen". Sein Sohn engagiert sich in dieser Gruppe, 200 wirtschaftsaffine Genossen sind da. Und als hätten die Gastgeber geahnt, dass an diesem Dienstag die Querelen mit dem Koalitionspartner einen neuen Tiefpunkt erreichen sollten, haben sie der Veranstaltung einen vieldeutigen Titel gegeben "Worauf warten?"Kanzler Kern macht sich das Motto sofort zu eigen. Nein, er will nicht länger warten mit all den Reformen – zumindest sagt er das. "Demokratie", "Emanzipation" und "Gerechtigkeit" sind die Stichwörter, an denen er sein Referat aufzieht.

"Plan A" und Gerechtigkeit

Und wer sehen will, wie dieser Mann im Wahlkampf funktioniert, der bekommt im Ares Tower einen kleinen Einblick: Nach wenigen Augenblicken verlässt Kern den Platz hinter dem Rednerpult. Er stellt sich nach vorne, spricht direkt mit dem Publikum. Dabei redet er frei, natürlich, er erzählt von seiner Jugend und verwebt die Geschichten seines Plans A mit dem Schlagwort "Gerechtigkeit": Ist es gerecht, wenn der Staat mehr für Gymnasiasten als für Lehrlinge ausgibt? Ist es fair, wenn Länder wie Ungarn Milliarden Euro von der EU bekommen, und sich trotzdem vor der Verantwortung bei den Flüchtlingen schrauben? Und wie soll man einem heimischen Unternehmer erklären, dass Konzerne wie Apple in Irland de facto keine Steuern bezahlen? "Unsere Unternehmen und Steuerzahler dürfen nicht übrig bleiben!", sagt Kern .Es ist ein Satz, den man verkürzt wohl auch auf ein Plakat schreiben könnte. Gut eineinhalb Stunden füllt der Kanzler, und es liegt an Christa Kranzl, Kerns rhetorische Gewandtheit zu zeigen: Die frühere Staatssekretärin sitzt im Publikum und überspannt den Bogen. Sie stellt drei ausschweifende Fragen und schließt mit der Bemerkung, sie warte seit einem halben Jahr auf einen Termin beim Kanzler. "Aber dafür sehen wir uns doch jetzt!", parierte Kern lächelnd. Schlagfertigkeit – ja, die braucht’s in der Politik sehr wohl; gar nicht zu reden von einem Wahlkampf.