Politik/Inland

Jobgipfel: Wie die Industrie den Fachkräftemangel lösen will

Die Konjunktur brummt, die Wirtschaft wächst, aber nach wie vor sind in Österreich beinahe 350.000 Menschen ohne Job - obwohl gleichzeitig 80.000 offene Stellen beim Arbeitsmarktservice ( AMS) gemeldet sind.

Aus diesem Grund lädt die Bundesregierung heute Sozialpartner und das AMS zum relativ kurzfristig anberaumten Job-Gipfel ins Wirtschaftsministerium, um "100.000 Menschen zusätzlich in Arbeit zu bringen" - so lautet jedenfalls die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausgegebene Parole. Wobei die Regierung den Fokus auf die 32.000 Unter-25-Jährigen sowie die 30.000 anerkannten Asylberechtigten (bzw. subsidiär Schutzberechtigten) legen will.

Sozialpartner sollen sich einbringen

Wie das gelingen soll, ist freilich noch nicht bekannt. Die Gipfel-Gastgeberin, Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck (ÖVP), deutete am Mittwoch nach dem Ministerrat zwar an, der Fokus werde nicht auf monetären Maßnahmen liegen, sondern vielmehr auf dem "Vernetzen der jungen Menschen mit den Unternehmen". Hauptsächlich freue sie sich aber "auf zusätzliche Ideen der Sozialpartner". Ähnliche Töne waren am Dienstag aus dem Sozialministerium - Ministerin Beate Hartinger-Klein ( FPÖ) ist Co-Veranstalterin des Gipfels - zu hören.

Bei den angesprochenen Sozialpartnern wird man diese Offenheit wohl erfreut zur Kenntnis nehmen, so sie auch ernst gemeint ist - definitiv trifft das auf die Industriellenvereinigung (IV) zu. Dort wurde man zwar von dem kurzfristig anberaumten Gipfel auch etwas überrascht, war jedoch ohnehin bereits dabei, ein umfassendes Strategiepapier zum Thema Fachkräfte zu entwickeln. Ursprünglich war die Präsentation zwar erst für Mitte Oktober geplant gewesen, wegen des Gipfels wurde es nun aber bereits einen Monat vorher fertiggestellt - die Eckpfeiler des IV-Plans liegen dem KURIER exklusiv vor.

"Gesamthafte Strategie"

Am wichtigsten ist den heimischen Industrievertretern, eine "gesamthafte Strategie aus vielen Mosaiksteinen" zu implementieren. Nur so könne der Fachkräftemangel nachhaltig beseitigt werden, erklärt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Und dieser Mangel ist eklatant: Die Industrie rechnet damit, in diesem Jahr 10.500 Stellen nicht besetzen zu können, 2000 davon im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Um diese Situation zu ändern, soll auf drei Ebenen angesetzt werden: National, im EU-Ausland sowie in Drittstaaten.

  • National setzt die IV vor allem auf Bildung. So soll etwa das bestehende MINT-Gütesiegel für Kindergärten und Schulen mit entsprechendem Schwerpunkt bis 2022 massiv ausgebaut werden. Konkret von bundesweit 150 Bildungseinrichtungen auf beinahe 500 - fünf pro Bezirk.
  • Zusätzlich soll auf Ebene der höheren Bildungsabschlüsse - HTLs, Fachhochschulen, Universitäten - der Output an Absolventen um 20 Prozent erhöht werden; das wären etwa 5000 mehr. Als Instrumente schweben der Industrie hier sowohl die Senkung der Dropout-Quoten als auch eine Erhöhung der FH-Studienplätze vor. Aber auch bessere Möglichkeiten für berufsbegleitendes Studieren sowie Umschulungen von Studienabbrechern anderer Fachgebiete kann sich die Industrie vorstellen.
  • Ein weiterer Schwerpunkt im Bildungsbereich ist die Lehre - und hier speziell die Industrielehre. Diese bietet laut Neumayer im Verhältnis zu anderen Lehrberufen "besondere Chancen" in mehrerlei Hinsicht: Einerseits attraktive Löhne und Gehälter, andererseits aber auch eine hohe Durchlässigkeit, also gute Aufstiegschancen. Dennoch würden sich viele junge Menschen für klassischere Lehrberufe wie KFZ-Mechaniker oder Friseur entscheiden, daher brauche es hier dringend mehr Aufklärung.
  • Daher wünscht sich die IV auch ein Mehr an Bildungs- und Berufsorientierung in den Neuen Mittelschulen wie in der AHS-Unterstufe, aber nach Möglichkeit auch schon in der Volksschule. Bevorzugt als eigenes Schulfach, zumindest aber als Teil eines Fächerbündels. Man müsse einfach zeigen, dass es auch "andere Optionen mit hochattraktiven Gehaltschancen aber auch Chancen zur Weiterentwicklung" gebe - auch durch Betriebsbesuche im Rahmen dieses Schulfachs, um die Berufe "stärker anfassbar zu machen".

Freilich brauchen diese Maßnahmen Jahre, um ihre Wirkung zu entfalten. Kurzfristig fordert die Industrie darum, sowohl auf europäischer Ebene als auch darüber hinaus um "die besten Köpfe" zu werben - durchaus auch nach deutschem Vorbild. Dort liefere die Kampagne "Make it in Germany" bereits seit längerem Erfolge, zusätzlich soll bis Ende des Jahres ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte auf den Weg gebracht werden.

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In erster Linie solle Österreich im EU-Ausland um gut ausgebildete Menschen werben, die in ihren Heimatländern keine entsprechenden Jobs finden. Das könnten Länder mit hoher Arbeitslosigkeit wie Spanien sein, aber auch in Großbritannien würde sich durch den bevorstehenden Brexit einiges Potenzial bieten. Auf der Insel gebe es "eine Reihe von qualifizierten Personen, die vielleicht darüber nachdenken, in ein anderes Land zu gehen. Warum nicht nach Österreich", gibt Neumayer zu bedenken.

Schluss mit den Extremen

Und schließlich müsste man sich auch in Drittstaaten um qualifiziertes Personal umschauen. Die von der Regierung angekündigte Regionalisierung der Mangelberufsliste sei ein Baustein, eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte mit massiven bürokratischen, aber auch Anforderungs-Erleichterungen für die Antragsteller wäre ein weiterer. Wichtig seien in jedem Fall klare und nachvollziehbare Regeln, wie sie klassische Einwanderungsgesellschaften wie die USA oder Kanada hätten. Man müsse "nüchtern und klar sagen, wir wollen die und die Menschen gerne bei uns haben und für andere gibt es diese Chance womöglich nicht. Ich glaube, dass das legitim ist", sagt Neumayer.

Es müsse einfach klar gemacht werden, "wofür steht dieses Land", fordert der IV-General. Und man müsse ebenso darauf achten, "dass man nicht immer in Extreme fällt" - zwischen unkontrollierter Zuwanderung wie 2015 und dem Abwickeln von Asylverfahren auf Schiffen, was FPÖ-Innenminister Herbert Kickl jüngst forderte. Nichts desto trotz sieht Neumayer die Chance auf Umsetzung einer integrierten, umfassenden Fachkräftestrategie "so groß wie schon lange nicht". Und will daher heute für die Wünsche der Industrie an eine integrierte Zuwanderungs- und Fachkräftepolitik werben. An Input für Wirtschaftsministerin Schramböck mangelt es mit dem vorgelegten Papier jedenfalls nicht.