Neisser wird 80: Vom Jungstar zum "elder statesman"
Von Bernhard Gaul
Von Anton Pelinka gibt es das Bonmot über Heinrich Neisser, dass er gegen Ende seiner Tätigkeit im Hohen Haus mehr Freunde in den Reihen anderer Parteien als in denen der eigenen hatte. Das war in den 1970er-Jahren unter der SPÖ-Dominanz von Bruno Kreisky.
Staatssekretär mit 33
Neisser hatte zuvor als 33-jähriger Jungstar in der letzten Alleinregierung der ÖVP unter Kanzler Klaus als Staatssekretär gedient. Nach Kreiskys Wahlsieg 1970 blieb Neisser zuerst Beamter, 1975 zog der Jurist wieder als Abgeordneter ein, wo er sich zu einer der rhetorischen Größen der parlamentarischen Opposition entwickelte.
Nationalrats-Präsident
Die Abgeordneten schätzten seinen Witz und seine Ironie, die nie beleidigend war. Mit der Regierung Vranitzky wechselte er 1987 zurück auf die Regierungsbank, und von 1994 bis 1999 war er Zweiter Präsident des Nationalrates.
Mit Schwarz-Blau unter Kanzler Schüssel schied er aus der aktiven Politik aus. Seither schrieb der überzeugte Europäer Sachbücher, und er blieb ein lauter Kritiker seiner Partei. In wenigen Tagen wird Neisser 80 Jahre, das Parlament würdigte ihn Dienstagabend.
"Heinrich Neisser ist ein echter Vordenker, kritischer Geist und brillanter Intellektueller, der sich als Reformer bleibende Verdienste für Partei und Land erworben hat. Er steht bis heute für Kompetenz und Innovationsbereitschaft", sagt ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner über den Jubilar.
Politik betreibt Schönreden
Über den Ist-Zustand der Politik verliert Neisser kaum schöne Worte. "Der politische Dialog heute ist im wesentlichen ein Schönreden oder ein Verschweigen von Problemen", sagt Neisser. "Ich gebe zu, es ist heute viel schwieriger geworden, Antworten auf die großen Probleme der Welt zu finden. Aber gleichzeitig ist es problematisch, dass in der Politik der Versuch nicht verstärkt wird, die besten Antworten zu geben. Diese Oberflächlichkeit, das ist nicht gut."
Freiheit und Verantwortung
Er appelliert aber auch an die Jugend: Heute gebe es "so eine Art existenziellen Egoismus in der Gesellschaft, wo jeder nur auf sich selbst schaut. Von dieser geistigen Grundeinstellung müssen wir wegkommen und der Jugend erklären, dass sie Freiheit haben soll, aber eben auch eine Verantwortung und Verpflichtung zur Gemeinsamkeit. Das zu vermitteln, wäre die Aufgabe der politischen Parteien. Dabei versagen sie aber in weiten Bereichen. Alle."