Haslauer: "Lassen uns nicht bevormunden"
Wilfried Haslauer, 57, sitzt im Salzburger Chiemseehof im selben Zimmer, wo sein Vater 12 Jahre regiert hat. Er führt eine Dreierkoalition, mischt sich stärker in der Bundespolitik ein und kann sich Vermögenssteuern vorstellen.
KURIER: Herr Landeshauptmann, Parteichef Spindelegger wollte die Schuldiskussion beenden, da ist sie erst richtig losgegangen. Schwächt ihn das?
Wilfried Haslauer: Wir sind eine offene, pluralistische Partei, bei uns wird diskutiert. Egal, ob das von allen goutiert wird oder nicht.
Sie bleiben bei Ihrem Gesamtschul-Versuch in Salzburg?
Wir wollen im Schuljahr 2014/’15 starten und zwar an einem Standort, wo es keine erreichbare Alternative gibt. Dann soll diese Gesamtschule wissenschaftlich mit einem Gymnasium verglichen werden. Was ist das Beste für die Kinder, was wollen die Eltern und was brauchen die Lehrer, um so ein Projekt umzusetzen? Wir aber diskutieren nur über Ideologie, Ängste und Heilserwartungen, die die Gesamtschule nicht erfüllt.
Verstehen Sie die Ängste vieler ÖVP-Wähler?
Ja, natürlich. Das Gymnasium ist die beliebteste Schulform. Und die Ängste beziehen sich vor allem auf die Frage der Sprachbeherrschung. Und Eltern sagen auch, ich will nicht, dass auf dem Rücken der Kinder Sozialpolitik gemacht wird.
Warum tut sich die ÖVP mit gesellschaftspolitischen Veränderungen so schwer?
Das kann man nicht verallgemeinern, gerade bei der Kinderbetreuung haben wir große Fortschritte gemacht. Bei uns stehen im Vordergrund Individualität und Freiwilligkeit. Das Regierungsprogramm ist eine ordentliche Grundlage, aber große symbolträchtige Probleme konnten leider nicht gelöst werden, etwa Gesamtschule, Studiengebühren oder auch der Bundesrat.
Warum konnte man sich nicht auf eine Länderkammer einigen, wo die Landeshauptleute hineingehen?
Der Bundesrat ist nicht mehr zeitgemäß. Ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen, dass er durch die Konferenz der Landeshauptleute ersetzt wird.
Würden Sie sich ein Vetorecht für alle Gesetze wünschen?
Nur eingeschränkt auf Kernthemen, wo die Bundesländer besonders betroffen sind.
Die ÖVP hat versprochen: Keine neuen Steuern, aber jetzt gibt es sie. Und das „ungerechte und unsoziale Steuersystem, wie Frau Fekter sagte, bleibt auch. Warum nicht die Einkommensteuern senken und dafür vermögensbezogene Steuern?
Ich halte nichts vom Klassenkampf. Aber wenn man ein Gesamtkonzept entwickelt, wo Arbeit weniger besteuert wird, d. h. die Leute mehr Geld haben und damit auch die Konjunktur ankurbelt und gleichzeitig stehendes Vermögen stärker besteuert, kann ich mir das vorstellen. Aber das dürfte zu keiner Mehrbelastung führen.
Wie geht die EU-Wahl aus?
Die ÖVP wird als Europa-Partei Nummer 1
Und wenn nicht?
Dann sind wir Nummer zwei (lacht).
Keine Obmann-Diskussion?
Nicht jedes Wahlergebnis und jede Meinungsverschiedenheit führen zu einer Obmann-Diskussion.
Der Westen geht offener an Themen heran, wir fühlen uns in Wien nicht gut vertreten. Das führt zu einem konstant steigenden Unbehagen.
Es gab einmal einen Salzburger Landeshauptmann, Josef Klaus, der ging 1961 als Finanzminister nach Wien, 1963 wurde er Kanzler, ein Vorbild?
Aber Josef Klaus war damals schon lange Landeshauptmann. Ich habe da keine Ambitionen.
In den Städten sind Bürgerliche zu den Neos abgewandert. Wie wollen Sie die zurückholen?
Wir müssen in einen Dialog eintreten. Die Neos sind nicht nur Gegner, sie können auch Verbündete sein.
Mit welchen anderen Themen werden Sie die Bundes-ÖVP schrecken?
Wir als bürgerliche Partei haben großen Bedarf nach politischer Grundsatzarbeit. Wir werden im April in Salzburg eine große Programmarbeit für ein halbes Jahr starten. Und da lassen wir uns weder von der Bundes-ÖVP noch von sonst jemandem bevormunden. Wir sind Teil der Bundes-ÖVP, werden uns aber unser eigenes politisches Profil geben. Wir müssen uns öffnen und dabei unsere Werte neu definieren.
Bei welchen Themen wollen Sie sich da profilieren?
Das geht von der Bildung über Kultur, Wissenschaft, über Sozialpolitik bis zu Steuerthemen. Ich will, dass wir von Salzburg aus eine neue gesellschaftspolitische Dynamik in die ÖVP hineintragen und Wähler zurückholen, die uns verlassen haben.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) sieht beim Thema Vermögenssteuern noch "ein bisschen Zeit" - und wollte deshalb am Sonntag in der Fernseh-Pressestunde die ÖVP nicht drängen. Die geplanten Steuererhöhungen verteidigte sie. Zur Parlamentssanierung hofft sie auf eine Entscheidung am Mittwoch und eine Absage des Akademikerballs in der Hofburg wäre für Prammer "ein schönes Signal".
Eines der vielen besprochenen Themen war auch die Krebserkrankung der Nationalratspräsidentin. Es gehe ihr gesundheitlich "gut", sagte Prammer, wenngleich freilich "anders als vor meiner Erkrankung". Sie müsse "da und dort ein wenig zurückstrecken", an eine Auszeit habe sie aber nicht gedacht.
Vermögenssteuern
Die von der SPÖ gewollten Vermögenssteuern werden - auch wenn sie nicht im Regierungsprogramm stehen - Thema, wenn es um die Finanzierung der Entlastung des Faktors Arbeit im Rahmen der "gewollten großen Steuerreform" geht, ist Prammer überzeugt. In dieser Debatte werde man dann "kein Denkverbot haben", meinte sie, angesprochen darauf, dass sich der Salzburger ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer positiv zu Vermögenssteuern geäußert hat. Vor der Steuerreform habe die Regierung aber noch das Budget zu "stabilisieren" und dafür sollte man ihr zwei Jahre Zeit lassen.
Kein Problem hat Prammer damit, dass das Abgabenänderungsgesetz nach kurzer Begutachtung schon im Februar im Parlament beschlossen werden soll. Von "durchpeitschen" wollte sie da nicht sprechen, nur von einer "Intensivphase an Arbeit für die Abgeordneten", damit das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten kann. Und mit "guten Terminsetzungen" werde eine seriöse Diskussion möglich sein. Inhaltlich hat Prammer auch nichts gegen das Steuerpaket: Bei den Autofahrern werde differenziert, die Erhöhungen träfen vor allem Besitzer großer starker Wagen - und "Rauchen ist ungesund", womit eine Steuererhöhung auch in Ordnung sei, sagte Prammer, die - wie sie eingestand - aber "leider immer noch Raucherin" ist.
Sanierung des Parlaments
Bei den Parlamentsthemen stand die Sanierung im Vordergrund. Am Mittwoch sollen die Fraktionen in einer Sonderpräsidiale entscheiden, welche der vorgelegten Varianten umgesetzt wird. Die Arbeiten sollten 2017/18 aufgenommen und nach zwei bis drei Jahren abgeschlossen werden, erläuterte Prammer. Als Ausweichquartier priorisiert sie die Hofburg. Sollte es jetzt keine Entscheidung geben, müsse sie ein Ersatzquartier suchen. Denn "irgendwann wir es so weit sein, dass dieses Haus geschlossen werden muss".
"Sehr froh" ist Prammer, dass zum Demokratiepaket wenig im Regierungsprogramm steht - nämlich nur, dass eine Enquetekommission im Parlament eingerichtet wird. Denn das sei eine Aufgabe des Parlaments. Prammer hofft, in der Frage der Behandlung erfolgreicher Volksbegehren einen "guten Mittelweg" zu finden. Bei den Untersuchungsausschüssen geht es aus ihrer Sicht zunächst vor allem darum, die Spielregeln zu reformieren. Die Verhandlungen dazu habe sie in der vorigen Periode abbrechen müssen, weil "alle so einzementiert waren". Zum Minderheitenrecht bei der Einsetzung gebe es einen SPÖ-Parteitagsbeschluss. Die Partei werde wohl "nicht gegen den eigenen Vorschlag vorgehen", meint Prammer.
"Optisch ein bissl schwierig"
Etwas distanziert äußerte sich die Nationalratspräsidentin dazu, das der SPÖ-Finanzsprecher im Parlament, Jan Kai Krainer, auch wirtschaftspolitischer Berater von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) werden soll. Das sei "natürlich optisch ein bissl schwierig", Krainer müsse es "selbst verantworten, wenn er diesen Schritt setzt" und werde dann "sicher enorm unter die Lupe genommen werden". Andererseits gebe es natürlich viele Berufe, wo man Abgeordneten "Befangenheit" vorwerfen könnte, weshalb ja auch die Gesetze über die Vereinbarkeit nachgeschärft worden seien. Ob man noch weiter nachschärfen müsse, werde sich zeigen.
Kein Akademikerball in Hofburg
Den Akademikerball sollte die Hofburg Betriebsgesellschaft absagen - so wie es KZ-Überlebende in einem Brief gefordert haben. Denn "derartige Bälle sind schon ein Anlass der Provokation" - und man sollte "auf die Überlebenden hören", empfahl Prammer.
Keine Prognose wollte sie zur EU-Wahl abgeben - nur, dass die SPÖ hier einen "schwierigen Wahlkampf" zu führen hat. Angesichts des Aufwindes für die Rechten sieht Prammer die "große Herausforderung", ein "soziales Europa" zu schaffen - und endlich die Erkenntnisse aus der Finanzkrise umzusetzen.
An dem Tag, als Michael Spindelegger dem ÖVP-Vorstand seine Ministerliste präsentierte, auf der sich weder ein Vertreter der westlichen Bundesländer noch ein Steirer befand, raunte ein hoher ÖVP-Funktionär dem KURIER zu: „Damit hat Spindelegger seine Abdankungsurkunde unterschrieben.“
Was damals drastisch übertrieben klang, ist vier Wochen später ein realistisches Szenario. Jeder mehr oder weniger wichtige ÖVP-Funktionär „kennt“ inzwischen ein Ablösedatum für den Parteichef. Die einen glauben, nach der EU-Wahl werde es so weit sein, falls die ÖVP unter die Marke der Nationalratswahl (24 %) falle. Dann werde Spindelegger EU-Kommissar, und Andrä Rupprechter oder Reinhold Mitterlehner ÖVP-Obmann.
Als nächstes Falldatum für Spindelegger wird die Wirtschaftskammerwahl im Frühjahr 2015 genannt, falls der Wirtschaftsbund zu viel an die Neos verliert und in der Wiener Kammer unter 50 Prozent fällt.
Die Spindelegger-freundlichste Fraktion glaubt, dass es erst nach den Landtagswahlen im Herbst 2015 (Wien, Steiermark) so weit sein wird. Aber kaum jemand gibt dem Parteichef eine längere Verweildauer als bis 2016.
Als Brandbeschleuniger fungiert im Moment die Debatte über die Gesamtschule. Die westlichen Bundesländer plus die Steiermark rebellieren gegen Spindeleggers Sturheit in der Sache und Abgehobenheit im Ton: Mit den Worten, er sei ja nicht „das Christkind“, schmetterte Spindelegger Wünsche nach Modellversuchen ab. Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer mutmaßte gestern im KURIER, dass ein Motiv für die Gesamtschuldebatte auch der Ärger über die verweigerten Ministerposten sei.
Ganz so platt – bloße Rache wegen eines Ministerpostens – ist die Sache aber nicht. Das geht unter anderem aus dem Interview mit einem der betroffenen Landeshauptleute, Wilfried Haslauer (siehe Seite 2), hervor: Der Westen sieht die Notwendigkeit, dass sich die ÖVP öffnet, modernisiert, Neues ausprobiert.
In dieses Horn stößt auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl: Er sieht in der Gesamtschule keine Bedrohung, sondern eine Chance, sofern sie so ausgestaltet ist, dass Talente gefördert werden.
Verständlich wird der Konflikt in der ÖVP vor dem Hintergrund der politischen Akteure. In den westlichen Bundesländern gedeihen die bürgerlichen Grünen und sprießen die ebenfalls bürgerlichen Neos. In Innsbruck und Salzburg wurden die Grünen bei der letzten Nationalratswahl erstmals stärkste Partei. Für den Wirtschafts-affinen Teil der ÖVP sind die Neos extrem attraktiv, fordern sie doch genau jene Reformen, die seit Jahr und Tag an den üblichen Verdächtigen – Betongewerkschaften und Föderalisten – scheitern. In Vorarlberg muss Landeshauptmann Markus Wallner bei der Landtagswahl im September verhindern, dass ÖVPler zu den Neos abwandern. Die Steirer passen perfekt in diese West-Allianz, war doch die „steirische Breite“ immer schon ihr Markenzeichen – und der „Stahlhelm“ des niederösterreichischen ÖAAB ihr Feind-Emblem.
Der Westen und die Steirer betonen, sie führten keine Obmanndebatte. Doch sie stempeln Michael Spindelegger zum Symbol für Stillstand – und das kommt auf das Gleiche heraus.