Politik/Inland

Schelling: "Keine Lust auf Neuwahlen"

KURIER: Herr Schelling, vor drei Monaten sind Sie in die Politik gegangen, mit dem Argument nur "von innen" kann man etwas verändern. Ist Ihr Idealismus ungebrochen oder gedämpft worden?

Hans Jörg Schelling: Mein Idealismus ist nach wie vor ungebrochen. Weil wir in den letzten drei Monaten bewiesen haben, dass man etwas verändern kann. Innerhalb kürzester Zeit haben wir einen Steuerreformvorschlag auf die Beine gestellt, wir haben ohne Wirbel den Finanzausgleich mit den Ländern verlängert, im Finanzministerium haben wir 56 Projekte aufgesetzt und wir arbeiten an der antragslosen Familienbeihilfe.

Wie würden Sie als Aufsichtsrat eines Unternehmens reagieren, wenn die Vorstände in der Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Finanzkonzepte präsentieren, wie das bei der Steuerreform passiert ist?

Auch ich hätte es lieber gesehen, wenn die Papiere zuerst intern ausgetauscht worden wären. Das ging aber nicht: Weil Kanzler Faymann meinte, er übernimmt das ÖGB/AK-Programm ins Parteiprogramm. Damit war es öffentlich. Zusätzlich wurden Anfang der Woche Details aus dem Papier bekannt. Außerdem finde ich: Wir sind in einer Situation, wo wir den Menschen erklären sollten, wofür wir stehen.

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Was braucht es, um in der Politik länger durchzuhalten?

Meine größte Herausforderung ist die Geduld. Mir gehen die Dinge oft zu langsam. Der Unterschied in den Abläufen: In der Wirtschaft erkennst du ein Problem, suchst die Ursache, findest die Lösung und gehst zur Umsetzung. In der Politik sind die ersten drei Schritte ident, bevor es zur Umsetzung geht, beginnt ein langer Prozess, um alle mitzunehmen, damit sie der Lösung zustimmen. Zweiter Punkt: In der Politik ist hohe Professionalität gefordert und es würde der Politik auch gut anstehen, wenn sie Vorschläge ernst nimmt, analysiert, bewertet und dann zu einem Ergebnis kommt. Und nicht sofort mit dem klassischen gelernten Reflex reagiert: "Das kommt nicht von mir und ist daher schlecht." Wenn das langsam ins Bewusstsein gelangt und mehr im Hintergrund statt im Vordergrund diskutiert wird, dann wären wir auch in der Regierung oft erfolgreicher.

Wie viel mehr Gespräche braucht es in der Politik, um eine Entscheidung zu fällen?

Es ist sicher der Faktor zehn. Dazu kommt, dass bereits getroffene Entscheidungen oft hinterfragt werden. Das passiert im Management selten. Wenn man in der Privatwirtschaft entdeckt, es ist die falsche Richtung, dreht man wieder um. Das ist in der Politik nicht immer so. Es gibt auch in der Politik falsche Entscheidungen. Aber wie schafft man es, dass die wieder zurückgefahren werden? Da existieren viele Befindlichkeiten, die viel höher als in der Wirtschaft sind.

Irmgard Griss meint, das politische System verhindert sachlich fundierte Entscheidungen. Gehen Sie mit ihr konform?

Das politische System ist durchaus schwerfällig und mangelhaft. Ja, ich gebe Frau Griss in diesem Punkt recht, dass in der Politik nachgedacht werden muss, wie es bei schwierigen Entscheidungen zu sauberen Abläufen kommt.

Würden Sie sich auch mehr Persönlichkeiten wie Irmgard Griss in der Politik wünschen?

Nein.

Warum?

Es war von Frau Griss ganz klug zu sagen: "Nein, das ist nicht meine Welt." Sie ist eine exzellente Fachexpertin, die eine schwierige Kommission geleitet hat. Ein Thema analytisch aufzuarbeiten, ist eine wichtige Voraussetzung, hat aber mit Politik nichts zu tun, wo man Entscheidungen treffen muss.

Das habe ich auch am Mittwoch im Parlament gesagt: Versetzen Sie sich alle in die Lage der Nacht der Verstaatlichung. Dann stellen Sie sich unter diesen Voraussetzungen die Frage: Wie hätten Sie politisch entschieden? Da hat sich komischerweise niemand zu Wort gemeldet.

Hätten sich die Österreicher in der Causa Hypo eine Entschuldigung von der Politik verdient?

Ich bin mindestens so verärgert wie alle Abgeordneten im Parlament. Aber es wären alle gut beraten, die gegenseitigen Schuldzuweisungen zu stoppen. Wenn ein Fehler passiert ist, da soll man durchaus diesen einmal zugeben und sich nicht in die Verteidigung eines falschen Weges verklemmen. Mein Prinzip ist: Wer A sagt muss nicht B sagen, wenn er erkennt, dass A falsch ist.

Am 16. Dezember besteht das Kabinett Faymann II ein Jahr. Gibt es einen Grund zu feiern?

Ich glaube, die Regierung hat einiges auf die Strecke gebracht, einige Gesetze verabschiedet. Aber das ist kein Grund zum Feiern, sondern ein Grund zum Arbeiten. Bis 17. März muss die Steuerreform stehen. (Zur Bilanz des Regierungsteams geht es hier).

Apropos 17. März. Die Gerüchteküche brodelt, dass die ÖVP Neuwahlen anpeilt?

Die Diskussion rund um einen angeblichen Neuwahltermin ist vollkommen überflüssig. Erstens halte ich es für unzweckmäßig, wenn Landeshauptmann Niessl an die Öffentlichkeit geht und von Neuwahlen spricht, bevor überhaupt ein Wort über die Lösung gesprochen wurde. Welcher Zugang ist das zur Politik? Nicht die Lösung, ‚zuerst die Konsequenzen zu diskutieren. Ich glaube an die Lösung. Weder SPÖ noch ÖVP sollten sich von Umfragewerten leiten lassen. Die Bevölkerung will, dass die Koalition arbeitet und hat keine Lust auf Neuwahlen.

Wie viel Prozent Schelling wird in der Steuerreform am Ende stecken?

Wir müssen jetzt aufeinander zugehen. Ein Aspekt ist mir sehr wichtig. Es gibt langfristig zusätzlich zwei Milliarden, wenn die Regierung die Verwaltungsreform schafft. Wir müssen uns dazu bekennen. Der entscheidende Punkt für Reformen ist Anfang. Wer nicht anfängt, verliert täglich Geld. Wir haben vier große Reformbereiche: Das ist Bildung. Wir haben ein Pensionsproblem, wir haben ein Verwaltungs- und Arbeitsmarktproblem. Die Regierung ist gut beraten, einmal über den Wahltag hinauszudenken. Wir haben jetzt bis 2018 Zeit, solche Reformen auf den Weg zu bringen, dann ist 2019 und 2020 ein erster Wirkungsgrad da. Das war die Überlegung, das Steuerreformkonzept so zu gestalten. Das wäre ein guter Beweis der Regierung, nicht nur Reform anzukündigen, sondern auch umzusetzen.

Mit welchem SPÖ-Minister verstehen Sie sich am besten?

Traditionell natürlich mit Minister Hundstorfer, weil wir uns am längsten kennen. Da war er noch ÖGB-Präsident und ich in der Sozialversicherung. Zwischen uns gibt es einen sehr engen und persönlichen Zugang. Auch Minister Stöger kenne ich schon länger. Aber ich pflege zu allen einen guten Kontakt.

Wann war Ihr letzter freier Tag?

Ich war eine Woche im Urlaub. Der war schon im März gebucht und bei der Angelobung musste ich meiner Frau versprechen, dass er stattfindet. Es war bis zuletzt eine Zitterpartie, aber ich habe es geschafft. Samstag vor zwei Wochen war mein letzter freier Tag und jetzt geht es bis Weihnachten durch.

Wie viele Stunden hat Ihr Arbeitstag?

So rechne ich eigentlich nicht, weil es in mir ständig arbeitet. Aber von Montagfrüh bis Donnerstagabend waren es 60 Stunden.

Gab es schon einen Moment in den letzten drei Monaten, wo Ihre Frau gesagt hat: "Hast du dir das antun müssen?"

Das hat sie sicher schon ein, zwei Mal zu mir gesagt. Für meine Frau ist es eine große Umstellung, denn sie will nicht in der Öffentlichkeit stehen. Dazu kommt, dass ich um 6.30 Uhr aus dem Haus gehe und gegen 21.30 nach Hause komme. Das war in den letzten Jahren nicht so.

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