Politik/Inland

Budget ist "Zwischenetappe, kein Befreiungsschlag"

Ungewöhnlich offen zieht Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) im KURIER-Interview Zwischenbilanz nach etwas mehr als einem Jahr im Amt. Für seine erste Budgetrede – heute im Parlament und live auf kurier.at (siehe unten) – hat sich der frühere Top-Manager einen Weckruf vorgenommen. Sein Motto: Den Menschen ist die Wahrheit zumutbar. Wegen der Fünf-Milliarden-Steuerreform und einem Wirtschaftswachstum, das äußerst schleppend in die Gänge kommt, gibt es nichts zu verschenken. Bildungsreform, Pensionspaket, Finanzausgleich – die nächsten Monate werden herausfordernd. Gefragt ist die Langfristig-Perspektive, nicht Kurzfrist-Denken – oder in Schellings Worten: "Wir müssen die Dinge tatsächlich angehen und nicht nur Kosmetik betreiben."

KURIER: Herr Minister, nach acht Monaten im Amt fühlten Sie sich bereits um acht Jahre gealtert. Jetzt sind Sie rund 14 Monate Finanzminister. Ging es in dem Alterungs-Tempo weiter?

Hans Jörg Schelling:Nein, aber es herrschte schon unglaublicher Druck, speziell am Anfang, und man braucht auch extrem viel Energie, um sich in so komplexe Themen wie die Hypo rasch einzuarbeiten. Aber dann sinkt der Druck auch wieder. Irgendwann kann man von seinem Konto abheben, wenn man vorher eingezahlt hat.

Wie schaut Ihre Zwischenbilanz aus? Was gelang, was ist offen?

Für einen Unternehmer ist eine Bilanz Vergangenheit und nicht Zukunft. Ich schaue lieber in die Zukunft, aber es ist schon auch sehr viel gelungen. Grob gesagt, hatte ich zuerst vor allem mit der Steuerreform und dann vor allem mit der Hypo zu tun. Und Griechenland war zusätzlich ein enormer Stress. Ich war bei 20 internationalen Meetings, davon ging es bei 17 um Griechenland. Das hat ordentlich Substanz gekostet, fad ist uns nicht geworden.

Gelingt mit dem Budget 2016 der Befreiungsschlag aus dem Stimmungstief, in dem die Bundesregierung steckt?

Das Budget ist kein Befreiungsschlag, eher eine Zwischenetappe unter schwierigsten Rahmenbedingungen: Zusatzkosten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit; Zusatzkosten bei den Pensionen; Zusatzkosten wegen der Flüchtlingsproblematik. Und das alles bei einem Wachstum, das nur halb so kräftig ist wie in Deutschland. Da vergisst man fast, dass auch noch eine Steuerreform mit fünf Milliarden Euro unterzubringen war. Der Budgetvollzug 2016 wird also extrem herausfordernd.

Heißt im Klartext, zu verteilen gibt es nichts.

Soll heißen, wir müssen den Konsolidierungskurs fortsetzen und brauchen Druck und Tempo bei den Reformen. Manche Kosten werden uns sonst auf den Kopf fallen, die langfristige Pensionsproblematik, Pflege oder Gesundheit. Wir müssen die Dinge tatsächlich angehen und nicht nur Kosmetik betreiben. Den Menschen ist die Wahrheit zumutbar. Die meisten wissen ohnehin, dass sich etwas ändern muss.

Apropos: Die Bildungsreform steht an. Sind Sie zuversichtlich, dass da mehr als ein Reförmchen gelingt?

Wir diskutieren leidenschaftlich gerne zuerst über die Strukturen und dann erst über Ziele und die Strategie. Wenn es wieder nur darum geht, ob Länder oder Bund für die Lehrer zuständig sind, ist die Bildungsreform gescheitert. Genauso gilt: Das Lehrerdienstrecht muss der Ausfluss und nicht der Beginn einer Bildungsreform sein.

Gingen Reformen mit der FPÖ leichter als mit der SPÖ? Stünden Sie für Schwarz-Blau zur Verfügung?

Nein, ich sehe bei der FPÖ nur Protest und das Ausländer-Thema. Damit kann man die Welt nicht verändern.

Sie wollen die Welt verändern? Ich sehe mich als Reformer, aber Reformen nicht als Selbstzweck, sondern zum Erhalt unseres Wohlstandes.

Wer sind die Bremser? Die Sozialpartner, denen Sie ein Ultimatum gestellt haben, weil sie in Sachen Arbeitsmarkt und Pensionen nichts weiter bringen?

Die Regierung arbeitet gut, ich bin mit allen in sehr gutem Einvernehmen. Ich will nicht von Bremsern reden, aber das Haupt-Handicap ist, dass es zu viele Organisationen gibt, die Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind. Wir unterhalten uns auch viel zu oft und viel zu viel über Nebenthemen, zum Beispiel in Wien wochenlang über die Ampel-Männchen. Oder wenn eine fix ausverhandelte und beschlossene Steuerreform an der Registrierkassa scheitern soll, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Die Sozialpartner bräuchten den übergeordneten Blick auf das Gesamtinteresse und nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner als Richtschnur.

Was lesen Sie aus den Wahlniederlagen der ÖVP in Oberösterreich und Wien? Ist das alles der Flüchtlingsproblematik geschuldet?Ich würde lieber über Wachstum und Beschäftigung reden, dort liegen unsere Problemfelder. Aber das Flüchtlingsthema überlagert alles andere schon sehr stark. Meine Antwort sind Reformen. Klar ist, die Bevölkerung will nicht Ankündigungen hören, sondern Resultate sehen.

Ganz im Zeichen der ersten Budgetrede von Finanzminister Hans Jörg Schelling steht am Mittwoch der Auftakt zur Plenarwoche des Nationalrats. Der Ressortchef hat das Zahlenwerk vom Ministerrat am Vormitag bereits absegnen lassen. Dem Ministerrat ferngeblieben ist heute übrigens Werner Faymann. Der Bundeskanzler will sich für den EU-Flüchtlingsgipfel am Donnerstag schonen, hieß es auf KURIER-Anfrage.

Die Eckpunkte des Budgets sind bereits vom im Mai beschlossenen Finanzrahmen bekannt: Ausgaben von 76,5 Mrd. Euro stehen Einnahmen von nur 71,7 Mrd. Euro gegenüber. Schelling will auch 2016 das strukturelle Nulldefizit halten. Welches Ministerium wie viel vom Kuchen abbekommt, wird sich erst im Ministerrat unmittelbar vor der Budgetrede zeigen. Was die Opposition vom Schelling-Voranschlag hält, erfährt man dagegen erst am Donnerstag, wenn die "Erste Lesung" des Budgets auf der Tagesordnung steht.Debattiert wird das Budget in so genannter "Erster Lesung" erst am Donnerstag. Der Mittwoch bringt nach der Budgetrede unter anderem eine Ausweitung der Studieneingangsphase an den Unis. Ferner wird es zu einer "Dringlichen Anfrage" seitens des Team Stronach oder der NEOS (zum Arbeitsmarkt) kommen.

Soll und Haben

Hier können Sie die Rede live mitverfolgen: