Grüne Ikone liebäugelt mit Hofburg
Von Johanna Hager
"Im (Irr-)Glauben, dass Rauchen die Konzentration fördert", habe er mehr Zigaretten konsumiert als sonst. Konzentration für Kapitel wie jenes über "Puritanismus", das unverhohlen wie entwaffnend ehrlich beginnt: "Ich weiß, dass es gesundheitsschädlich ist, und rate jedem ab, es nachzuahmen. Aber bisher habe ich es überlebt." Selbstironisch wie sozialkritisch resümiert, räsoniert und reflektiert der 71-Jährige in seiner Autobiografie über Politisches wie Persönliches, die ab kommender Woche in den Buchhandlungen liegt.
Familiengeschichte
Aufgewachsen im Tiroler Kaunertal, in dem er heute noch gerne Zeit verbringt, entdeckt der junge Alexander Van der Bellen amerikanische Helden wie Sam Spade, Philip Marlowe und Mike Hammer, die sein Bewusstsein für den Begriff "Freiheit" prägen werden. Geprägt haben den Sohn einer estnischen Frau und eines russisch-stämmigen Mannes, die 1940/41 nach Wien fliehen, wo er 1944 zur Welt kommt, die eigene Familiengeschichte und die selbst erfahrene Zeitgeschichte.
1968 ist für ihn als Assistenten am Institut für Finanzwissenschaft in Innsbruck und seine "politische Sozialisation entscheidend, wichtiger als etwa 1984, das Jahr von Hainburg, die Geburtsstunde der österreichischen Grünen". Bis heute konnte ihm aber keiner den Titel, längst amtierender Bundessprecher der Grünen (1997–2008), streitig machen. Damals firmierte er als "der rote" Van der Bellen. Mitte der 70er-Jahre ist er Mitglied der SPÖ, ehe er sich für die Grünen entscheidet.
Menschenrechtsfragen
Von Josef Cap habe er sich "sukzessive entfremdet", von Peter Pilz in punkto Medienarbeit viel gelernt – und Susanne Riess-Passer in "durchaus vergnüglichen Diskussionen" vor allem bei der Euro-Einführung kennengelernt. "Die ökologischen Fragen und die Menschenrechte waren mir immer sehr wichtig", schreibt er im über 160 Seiten umfassenden Buch. Und Menschenrechtsfragen sind ihm mehr denn je wichtig, unterstreicht er im KURIER-Gespräch.
Von den Tausenden, die aus Syrien oder Afghanistan fliehen, sei die Europäische Union "in keiner Weise überschwemmt", sagt der Grün-Politiker. "Wir reden nicht von Gütern, sondern von Grundrechten, die, nebenbei gesagt, in Europa erfunden wurden: Die europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die aufgrund der Fluchtbewegungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Und jetzt, wo es ernst wird, kneifen wir? Das kann ja wohl nicht wahr sein!" An einen ungarischen Grenzzaun hätte er nie zu denken gewagt, "zumal die Ungarn selbst 1956 eine Auswanderungswelle erlebt haben. Die Stimmung wird von der Regierung Orban geschürt. Ich finde es niederträchtig, wie dort vorgegangen wird."
Dauerbaustelle
"VdB" oder "der Herr Professor", wie er landläufig genannt wird, bezieht Stellung. Im Buch wie im Gespräch. Er erachtet Europa als "Dauerbaustelle" und Griechenland als "Baustelle der Sonderklasse". Der promovierte Volkswirt plädiert wie der Internationale Währungsfonds für einen Schuldenschnitt Griechenlands. "Ich habe immer gesagt, dass die harten Auflagen der Troika beispiellos sind in der Geschichte." Gleichzeitig hofft er, dass "welche Regierung auch immer nach der Neuwahl entstehen wird, sich am Riemen reißen und überlegen wird, was zu tun ist". Was die Wien-Wahl am 11. Oktober anlangt, ist VdB aus "verschiedenen Gründen optimistisch, dass die Grünen leichte Zuwächse erlangen werden". Und, dass "die Wahlniederlage der SPÖ nicht so hart ausfallen wird wie noch vor wenigen Wochen erwartet" .
Der "bekennende Fan der Mariahilfer Straße" befindet, dass eine mögliche Wiederauflage von Rot-Grün beiden Parteien guttäte. Doch egal wie die Wahl ausgeht: Er wird jedenfalls nicht mehr als Gemeinderatsmandatar zur Verfügung stehen.
Hofburg oder Hölderlin?
Ob er stattdessen für das Bundespräsidentenamt 2016 kandidieren wird? Oder sich doch lieber – wie im Buch beschrieben – Zeit für die Lyrik von Hölderlin nehmen wird?
Van der Bellen formuliert es im KURIER-Gespräch so: "Es ist ja theoretisch möglich, dass ich mich schon entschieden habe – und den Zeitpunkt der Bekanntgabe noch für mich behalte." Eine abgewandelte Antwort findet sich auf der letzten Buchseite. Die Funktion des Bundespräsidenten sei unvereinbar mit seinem Anspruch auf Privatsphäre, doch: "Nur wenigen Personen wird die Ehre zuteil, als zumindest nicht aussichtsloser Kandidat für dieses höchste Amt der Republik zu gelten ... Leicht mache ich es mir nicht."