Graz: Drei Frauen kämpfen um Platz zwei
Bei überwiegend Sonnenschein hat am Sonntag die vorgezogene Grazer Gemeinderatswahl begonnen. Wie aus einigen Sprengeln zu Mittag berichtet wurde, sei der Andrang der Wähler unterschiedlich gewesen: In einem Sprengel im Westen von Graz hieß es, es seien am späten Vormittag schon deutlich mehr Menschen als 2008 wählen gegangen. Aus dem Nordosten von Graz wurde berichtet, dass die Wahlbeteiligung eher am selben Stand wie vor fast fünf Jahren gelegen sei.Damals lag die Wahlbeteiligung bei rund 58 Prozent. Zahlreiche Stimmberechtigte (8.795) hatten bereits den vorgezogenen Wahltag am Freitag der vorigen Woche genutzt bzw. Wahlkarten beantragt (6.643), gesamt also 15.438. Wahlberechtigt waren 209.805 Personen. Wahlschluss ist generell um 16.00 Uhr, ein vorläufiges Endergebnis (ohne Wahlkarten) wird für 19.00 Uhr erwartet.
Rennen um Platz Zwei
Das bürgerliche Graz ist groß genug, dass gleich drei linke Parteien Platz finden.Die SPÖ, derzeit noch zweitstärkste Kraft. Die Grünen, derzeit noch die Vizebürgermeister-Partei. Und schließlich noch jenes Phänomen, das außerhalb der Stadtgrenzen niemand so richtig versteht: In Graz regieren auch die Kommunisten mit.
Sie sitzen seit 1946 im Gemeinderat, seit 15 Jahren im Stadtsenat. Heute, am Wahlsonntag, haben sie sogar die Chance, zweitstärkste Kraft zu werden – und die SPÖ links zu überholen.
Auf das Phänomen KPÖ haben aber auch die anderen Fraktionen im Grazer Rathaus nach all den Jahren immer noch keine Antwort gefunden, geschweige denn eine Strategie. „Um die KPÖ zu ignorieren, ist sie zu groß“, wundert sich Politologe Peter Filzmaier über die Schockstarre der Parteien. „Die haben sich nie gefragt, wie gehe ich mit der KPÖ als Konkurrent um?“
Weibliche Macht
Drei Frauen führen diese Parteien: Martina Schröck (Bild), 35, seit heuer neue Parteiobfrau der Stadt-SPÖ (die siebente in nur vier Jahren).Lisa Rücker, 47, die grüne Sensationsgewinnerin von 2008, die keck schon mit „Bürgermeisterin“-Aufdruck herumspazierte, ehe sie durch eine Allianz mit der ÖVP erste Vizebürgermeisterin der Grünen in Graz wurde. Und dann die Spitzenkandidatin eben der Kommunisten: Elke Kahr, 51, Mutter eines erwachsenen Sohnes, Wohnungsstadträtin.Ganz grün sind sich die drei linken Frauen politisch nicht, privat schon eher und wirklich einig nur in ihrem Ressentiments gegen den schwarzen Bürgermeister Siegfried Nagl.
Als Allianz gegen ihn traten sie aber im Wahlkampf nicht auf. Und doch, seit Lisa Rücker ironisch-süffisant in einem Interview fallen ließ, sie würde Kahr doch glatt zur Bürgermeisterin wählen, ist bei der ÖVP der inszenierte Wirbel gegen das rot-rot-grüne Schreckgespenst losgebrochen.
Reizvolle Alternative
Theoretisch und rein rechnerisch hätten die drei Frauen die Chance, es mit dem Mann an der Spitze der ÖVP aufzunehmen.Eine Allianz des rot-rot-grünen Frauenteams „wäre reizvoll“, überlegt Martina Schröck. „Ich würde es spannend finden. Aber ich weiß ja nicht, ob wir zu dritt über 50 Prozent kommen.“ Sie zollt der KPÖ durchaus Respekt. „Dieses offene Hingehen auf die Menschen haben wir vernachlässigt.“ Mit ihren Hausbesuchen seit einigen Monaten versuchte Schröck, aufzuholen: Seit April tourte die Sozialstadträtin durch Siedlungen und Wohnanlagen. 8000 bis 10.000 Menschen werde sie so wohl getroffen haben, schätzt Schröck.
Die KPÖ habe in Graz Beständigkeit, gesteht die Sozialdemokratin den Mitbewerbern zu. „Die Arbeitsweise der KPÖ finde ich gut.“Aber dass sich diese kaum zu anderen Themen außer ihren Kernressorts äußere, sei merkwürdig. „Die sagen was zum Thema Armut lindern, aber nicht, wie man Armut verhindern kann. Das ist sehr unmutig. Am liebsten würden die sich bei Abstimmungen enthalten“, merkt Schröck an.
Auch die Grünen vermissen mehr Breite bei den Dunkelroten. „Ich kann der KPÖ nur empfehlen, es doch auch einmal mit Regieren zu probieren“, regt Lisa Rücker (Bild) an, die 2008 eine Koalition mit der ÖVP gewagt hatte. Das sei zwar zuweilen schwierig gewesen und auch „mordsanstrengend“. „Aber man verliert dabei nicht. Und man muss sich auch nicht verbiegen.“
Auch zum roten Pendant Schröck hält die grüne Spitzenkandidatin inhaltlich Distanz. „Sie ist zwar eine, die von der Frauenpolitik her Haltung hat. Aber ich seh’ nirgends Innovation.“ Einen Seitenhieb auf die problematische Situation innerhalb der SPÖ kann sich Rücker nicht verkneifen. „Sie hat vermutlich damit zu tun, auf ihre Partei einzuwirken und ihren Haufen zusammen zu halten.“
Linke Kraft
Elke Kahr (Bild) lässt wissen, sie halte nichts von Koalitionsspekulationen vor der Wahl. Sie deponiert lieber, die KPÖ sei ohnedies „die einzig glaubwürdige linke Kraft“ in Graz, auch wenn sie ihre Partei im selben Atemzug als „Servicepartei“ tituliert. „Wir haben gemerkt, wir müssen auf wenigen Themen draufbleiben. Früher haben wir immer geglaubt, wir müssen den Leuten die ganze Welt erklären. Aber davon hat keiner was konkret.“Ähnlich sieht das Politikexperte. „Die KPÖ hat sehr richtig erkannt, dass es keinen Sinn hat, im Villenviertel von Tür zu Tür zu gehen und zu fragen, haben Sie Probleme mit den Heizkosten?“, analysiert Peter Filzmaier. „Sie versucht auch nicht, in fremden Revieren zu jagen.“
Sich zu einem Pakt mit SPÖ und Grünen durchzuringen, wäre wohl auch aus diesen Gründen kein leichtes Unterfangen für die Kommunisten. 2003, als die KPÖ unter der charismatischen Leitfigur Ernest Kaltenegger sensationelle 21 Prozent erreichte, warf die SPÖ alle historische Differenzen mit dieser Partei über Bord und ging in Koalitionsverhandlungen.
Der damalige Grazer SPÖ-Obmann Walter Ferk versuchte so, den Bürgermeistersessel trotz Wahlniederlage für seine SPÖ zu retten. Doch die KPÖ zierte sich, scherte aus, ging nicht mit und ÖVP-Nagl wurde mit SPÖ-Unterstützung erstmals Bürgermeister.
Am Sonntag beginnt in Graz der Wahlreigen der kommenden zehn Monate. In der zweitgrößten Stadt Österreichs sind heute 210.000 Menschen wahlberechtigt. Ihr Abstimmungsverhalten ist ein erster Stimmungstest für den Wahlreigen in den kommenden zehn Monaten, der mit der Nationalratswahl im September 2013 endet. Allerdings ist das Grazer Wahlergebnis nur beschränkt aussagekräftig für den Bund, zu groß sind die Besonderheiten in der steirischen Hauptstadt: Die Wahlbeteiligung ist in Graz traditionell niedrig, nur 57 Prozent der Grazer nahmen vor fünf Jahren an der Gemeinderatswahl teil. Zum Vergleich: An der Nationalratswahl 2008 beteiligten sich 79 Prozent der Wahlberechtigten.
Die ÖVP stellt mit Siegfried Nagl den Bürgermeister, der mit dem Amtsbonus als Stadtchef in die Wiederwahl geht. Im Bund ist die ÖVP Zweite und die SPÖ Erste, während Nagl in Graz von den Sozialdemokraten keine Konkurrenz befürchten muss. Die zittern dort sogar um den zweiten Platz.In Graz gibt es seit Jahren das Phänomen einer starken KPÖ, die diesmal wieder an der 20-Prozent-Marke knabbert.
Trotz all dieser Besonderheiten wird vom Grazer Wahlergebnis eine Stimmung ausgehen: Wer liegt im Aufwind? Welche Partei wird – mehr oder weniger elegant – eine Niederlage wegzureden versuchen? („Lokales Ereignis“ – man kann es voraus ahnen).
Auf ein gutes Ergebnis stellt sich die ÖVP ein. Nagls Spitzenplatz ist ungefährdet (siehe Grafik), und er hat es verstanden, aus einer launigen Aussage der Grünen ein Mobilisierungsthema zu machen. Grünen-Chefin Lisa Rücker hatte über eine KP-Bürgermeisterin philosophiert – was die Grazer ÖVP prompt dazu nutzte, um vor einer Rot-Front zu warnen.
Prekär
Prekär ist die Lage für die SPÖ. Sie sank das letzte Mal schon auf einen historischen Tiefstand und könnte laut Umfragen heute noch einmal verlieren. SPÖ-Stadtchefin Martina Schröck hat schon vorbeugend der Bundes-SPÖ den Schwarzen Peter zugeschoben: Es seien „keine sozialdemokratischen Werte mehr erkennbar“, und wenn die Bundespartei nicht über Reformen nachdenke, werde die SPÖ bei der nächsten Wahl „so etwas von einer Watsch’n kriegen.“ Mag sein. Mag aber auch sein, dass sich die (Grazer) SPÖ einmal fragen könnte, warum die Mini-KPÖ gleich zwei Wohnbaustadträte hintereinander hervorbringt, über deren soziale Leistungen ganz Österreich spricht, und die SPÖ als angebliche Stadtpartei keinen. Im Gegenteil: Die SPÖ lässt sich in Wien von den Grünen sogar das Leibthema des Roten Wien – sozialer Wohnbau – aus der Hand nehmen, noch dazu mit widersinnigen Vorschlägen einer staatlichen Mietobergrenze.
Zu den Verlierern dürften heute auch die Grünen zählen. Den Blauen werden Zugewinne, aber keine großen Sprünge prophezeit.