Politik/Inland

Gewessler kritisiert Klima-Kleber

Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler hält Klebeaktionen nicht für das geeignete Mittel, um den Klimaschutz voranzutreiben. "Man muss sich wirklich fragen, ob das zielführend ist, und das würde ich bezweifeln, in der aktuellen Diskussion", sagte sie im Interview mit der APA. Die kürzliche Aufregung rund um eine drohende Abschaffung des Pendlerpauschales bezeichnete die Ministerin als "befremdlich", schließlich sei davon nie die Rede gewesen.

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"Fridays For Future" habe die Klimapolitik in Europa deutlich vorangebracht, "ich glaube, dass wir im Green Deal in vielerlei Hinsicht nicht so weit wären ohne 'Fridays For Future'", sagte die Ministerin. Die aktuelle Diskussion und die Aktivitäten der "Letzten Generation" würden nun aber zeigen, dass "auf allen Seiten der Blick für Maß und Ziel verloren gegangen ist". Die Ministerin könne den Unmut vieler Menschen verstehen, wenn Straßen auf dem Weg in die Arbeit oder zur Schule blockiert werden.

"Da muss man sich auch die Frage gefallen lassen, ob das dem gemeinsamen Anliegen Klimaschutz noch nutzt oder schon mehr schadet", sagte Gewessler. Ziel beim Klimaschutz in einer parlamentarischen Demokratie sei es schließlich, Mehrheiten zu finden. Immer mehr Menschen zu verärgern sei hierfür nicht förderlich. Sie selbst habe in ihrer Zeit als Aktivistin zu anderen Aktionsformen gegriffen: "Ich bin dort hingegangen, wo die Entscheidungen fallen und habe protestiert."

"Hanebüchene Vergleiche"

Gleichzeitig sei es, auch angesichts des Nahost-Konflikts, "völlig unangebracht mit hanebüchenen Terrorismus-Vergleichen zu agieren", sagte die Ministerin. Bei den Klebeaktionen handle es sich um zivilen Ungehorsam und diese Protestform habe in einer starken Demokratie auch Platz.

Wenn Proteste über das Ziel hinausschießen und es zu Sachbeschädigungen oder Gefährdung von Personen komme, gebe es Gesetz und Regeln, die anzuwenden seien. Gesetzliche Verschärfungen, wie oft aus den Reihen des Koalitionspartners ÖVP gefordert, sind aus Sicht der Ministerin nicht notwendig.

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Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt aktuell gegen 29 Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Solche Ermittlungen seien Entscheidung der Justiz, "und ich habe volles Vertrauen in die unabhängige Justiz, die braucht keine politischen Zurufe", erklärte Gewessler.

Die Umweltschutzorganisation Global 2000, deren Geschäftsführerin Gewessler bis 2019 war, hat die "die Kriminalisierung von friedlichem Protest" Anfang Dezember scharf kritisiert und das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als "überschießend und unverhältnismäßig" bezeichnet.

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Pendlerpauschale

Die kürzlich aufgeflammte Aufregung um die vermeintlich drohende Abschaffung des Pendlerpauschales kann die Ministerin nicht nachvollziehen. "Ich habe diese Diskussion für befremdlich gehalten", sagte Gewessler. Darüber, dass eine Reform des Pauschales sinnvoll ist, seien sich die Koalitionspartner ÖVP und Grüne sowie auch Expertinnen und Experten einig. Ziel sei dabei "mehr Klimaschutz, mehr soziale Gerechtigkeit". Von einer Abschaffung sei nie die Rede gewesen. "Ich halte es für unehrlich und auch unseriös, das zu unterstellen", sagte die Ministerin. Zuständig für die Reform sei das ÖVP-geführte Finanzministerium.

Ausgelöst wurde die Debatte indirekt von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), der sich bei der Weltklimakonferenz in Dubai einer Initiative aus den Niederlanden angeschlossen hat, um fossile Subventionen abzubauen. Dazu zählt in Österreich neben dem Pendlerpauschale auch der Steuerbonus für Diesel, beides fördert klimaschädliches Verhalten. Fachleute kritisieren die derzeitige Ausgestaltung des Pendlerpauschales schon länger. Weil die Höhe vom Einkommen abhängt, bekommen Besserverdiener mehr Geld als Schlechterverdiener. Zudem trage es zur Zersiedelung bei und treibt die Bodenversiegelung an.

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Auch der Flugverkehr genießt Steuerprivilegien, der Flugtreibstoff Kerosin ist trotz der klimaschädlichen Emissionen, die bei seiner Verbrennung entstehen, von der Mineralölsteuer befreit. "Ich bin sehr froh, dass das in Angriff genommen wird, nämlich auf der europäischen Ebene, dort wo es Sinn macht", sagte Gewessler. Ein entsprechender Vorschlag sei Teil des EU-Klimapakets "Fit For 55", dieser liege nun im Rat der EU-Finanzministerinnen und Finanzminister.

Russland-Gas

Ebenfalls als klimaschädlich kritisiert wird der Energiekostenzuschuss für Unternehmen, weil damit vor allem der Verbrauch fossiler Energieträger gefördert werde, ohne Anreize zum Energiesparen zu setzen. "Wir sind in einer Zeit massiver Herausforderungen", sagte Gewessler und verwies auf die Verwerfungen auf den Energiemärkten, die vom Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelöst wurden. "Wir haben es in Österreich ganz deutlich gespürt, was Abhängigkeit von russischem Gas bedeutet", in so einer Situation sei es wichtig, Unternehmen und Privaten zur Seite zu stehen. 

Längerfristig sei es aber notwendig, sich unabhängig von fossilen Energien zu machen, nur so werde Österreich aus der Erpressbarkeit herauskommen, betonte die Ministerin.

Grüne Kanzlerin

Gewessler  ist zuversichtlich, dass es bis 2030 eine Grüne Kanzlerin in Österreich geben könnte. "In den 2020er-Jahren ist es Zeit für grüne Gestaltung auf allen Ebenen", sagte sie im APA-Interview. Das sei notwendig, damit "wir unseren Wohlstand auf Basis erneuerbarer Energien neu definieren". Die grünen Regierungsbeteiligungen in Europa zeigten, dass grüne Regierungspolitik in diese Richtung wirke und einen Unterschied im Klimaschutz mache.

Gewessler selbst wird bei den nächsten Nationalratswahlen wohl aber nicht als Kanzlerin hervorgehen. Zum einen liegen die Grünen derzeit in den Umfragen bei rund 10 Prozent, nachdem sie bei den Wahlen im Jahr 2019 knapp 14 Prozent erreicht hatten. Zum anderen will die Ministerin die erneute Spitzenkandidatur ihres Parteikollegen und amtierenden Vizekanzler, Werner Kogler, unterstützen. "Ich werde mich bewerben, um Teil seines Teams zu sein und würde mich sehr freuen, wenn ich das weiter sein dürfte."

Für die EU-Wahl steht Gewessler den Grünen jedenfalls nicht zur Verfügung, wie sie bestätigte. "Ich bin Klimaschutzministerin und habe hier noch sehr viel zu tun." Wer die Grünen 2024 in die Europawahl führen wird, ist damit weiter unklar. Nach APA-Informationen gilt die Klima-Aktivistin Lena Schilling als Favoritin. Die Ministerin wollte das nicht weiter kommentieren. "Gerüchte und Spekulationen sind nicht zielführend", sagte sie dazu.

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Für das türkis-grüne Finale - die Legislaturperiode läuft bis Herbst 2024 - stellte Gewessler noch größere Sprünge in Aussicht. Der Bodenschutz sei ein wichtiges Thema, aber auch ein Gesetz für einen besseren Netzausbau mit Blick auf die Energiewende soll es noch geben. Ein weiterer Schwerpunkt sei das Erneuerbare-Gase-Gesetz und beim Thema Bahn arbeite man daran, ein Zielnetz 2040 zu entwickeln. Künftig sollen Gemeinden auch leichter Tempo 30 einführen können. "Das erwarten die Menschen von uns, Lösungen im Klimaschutz und dass wir da vorankommen." Auch das seit bereits drei Jahren ausstehende Klimaschutzgesetz soll noch im nächsten Regierungsjahr kommen.

Interne Konflikte

Innerkoalitionäre Brösel hatte es zuletzt auch beim Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) gegeben, mit dem alle EU-Staaten ihren Weg zum Erreichen der EU-Klimaziele nachweisen müssen. Das Grüne Klimaministerium hatte einen Vorentwurf nach Brüssel geschickt, die ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler zog diesen medienwirksam zurück. Die EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet, was zu empfindlich hohen Strafzahlungen führen könnte. "Das Problem könnte schnell behoben werden, indem das Europaministerium bestätigt, dass der Entwurf wirksam übermittelt wurde", betonte Gewessler wiederholt.

In einem Interview mit dem kürzlich eingestellten Magazin "biber" sagte Gewessler im Juni 2021, sie habe sich dreimal gefragt, ob die Koalition überhaupt Sinn mache. "Vielleicht habe ich mittlerweile dreimal öfter darüber nachgedacht", sagt die Ministerin heute. Aber: "Am Ende geht es immer darum, ob man gute Lösungen umsetzt", hielt Gewessler fest. "Und das ist nicht immer einfach, das sind dicke Bretter, da muss man manchmal auch den Plan ändern. Aber am Ende zählt immer wieder, setzen wir Lösungen um, die wirken und genau das gelingt uns. Solange das gelingt, stellt sich auch die Frage nicht."