Gassirunde statt Netzausbau? "Der Widerstand nimmt zu"
Ein Viertel der österreichischen Stromproduktion ist noch fossil. Große Erdgaskraftwerke wie Mellach (bei Graz), das Kraftwerk Theiß (Niederösterreich), Simmering oder Timelkam (Oberösterreich) versorgen die Bevölkerung und die Wirtschaft nicht nur mit Strom und Wärme, sondern produzieren auch Kohlendioxid, das als Treibhausgas die Erderwärmung anfeuert.
Österreich will bis 2040 klimaneutral werden, und schon bis 2030 den Stromsektor fossilfrei machen, das Viertel Fossilstrom muss also künftig aus Erneuerbaren Quellen wie Wasserkraft, Windkraft, Fotovoltaik und Biomasse erzeugt werden.
Grünstrom statt Fossil
Das heißt auch: Für den Bau von rund 50 Terawatt Grünstrom, zum Großteil aus Donau-Laufkraftwerken und Speicherkraftwerken in den Zentralalpen, hat Österreich fast 100 Jahre gebraucht. Jetzt sollen in achteinhalb Jahren weitere fünfzig Prozent dazu gebaut werden – allerdings fast ohne neue Wasserkraft, weil die nahezu ausgebaut ist.
Deshalb sieht der Ausbauplan der Regierung vor, dass die bestehende Windkraft verdreifacht werden muss (die Leistung, nicht die Anzahl der Windräder) und die bestehende Leistung aus Sonnenstrom fast verzehnfacht werden muss. Dazu, was oft übersehen wird, müssen auch die Netze massiv ausgebaut werden, damit der Strom von den neuen Erzeugern auch zu den Kunden geliefert werden kann.
„Leider hat sich in den vergangenen Jahren die Abwicklung solcher Projekte stark verändert“, sagt Stefan Zach. Seit über 30 Jahren arbeitet er für den Stromversorger Niederösterreichs, die EVN, nicht nur als Pressesprecher, sondern inzwischen öfter, als ihm lieb ist, als Mediator bei neuen Projekten. „Der Widerstand hat sich geändert und nimmt zu. Wir hatten früher meistens sehr viele Unterstützer in den Regionen, die unsere Projekte beschleunigt haben. Heute gibt es eigentlich kein Projekt, wo es keinen Widerstand gibt, unabhängig von der Größe.“
Lieber woanders bauen
Zach betont, dass aus seiner Erfahrung das Interesse und die Sensibilität für den Klimaschutz zwar deutlich zugenommen hat. „Die Offenheit der Bevölkerung endet aber dort, wo andere Interessenslagen berührt werden.“ Somit stehe der Klimaschutz nun vielen individuellen Interessen gegenüber wie dem Umweltschutz, dem Naturschutz, dem Schutz des Landschaftsbildes oder dem Artenschutz.
Beispiele hat Zach zuhauf. Etwa zu einem Biomassekraftwerk neben der Südautobahn bei Biedermannsdorf, über das die Gemeinde abgestimmt und es abgelehnt hat. Aus für ihn kaum nachvollziehbaren Gründen, etwa weil dort, neben der A2, ein Naherholungsgebiet der Gemeinde sei.
Oder bei einem Umspannwerk bei Korneuburg, das dringend benötigt wird, gegen das die Grünen vor Ort vorgehen. Selbst kleine Fotovoltaik-Projekte würden beeinsprucht, weil es das Landschaftsbild verändere und damit das ästhetische Empfinden mancher Menschen störe. Oder, wenn die Absicherung von Hochvoltanlagen mit hohen Zäunen und Stacheldraht plötzlich die beliebte Gassirunde der Hundebesitzer unmöglich macht.
Da kann es auch vorkommen, dass die Ortsparteien von Schwarz, Rot, Blau oder Grün in dem einen Ort für ein Projekt sind, im Nachbarort dagegen. Und durch die Vielzahl an Einspruchsmöglichkeiten auch Einzelner werden die Projekte somit oft jahrelang verzögert, nicht selten auch verhindert. Von den aktuell 70 EVN-Windrädern im Bewilligungsverfahren sei jedes einzelne beeinsprucht.
Netzausbau
Mühsam seien aber nicht nur die mehr als hundert Großprojekte, die von EVN und der „Netz NÖ“ jetzt umgesetzt werden wollen. Sondern eben auch der Ausbau von rund 25 neuen Umspannwerken zu den bestehenden 90, dazu noch die vielen kleinen Trafostationen, die mit der Stromwende verdoppelt werden müssen, damit die Wärmepumpen, Klimaanlagen und Elektroautos auch Strom bekommen.
Im Energieministerium von Leonore Gewessler widerspricht die Ministerin: „Der allergrößte Teil der Projekte wird vollkommen problemlos abgewickelt, weil die Menschen bereit sind, den Weg zum Klimaschutz und zur Energiewende mitzugehen. Auch weil wir derzeit am Gaspreis sehen, wie sehr die Abhängigkeit von Importen fossiler Energien problematisch ist.“
Gewessler setzt außerdem auf die neu geschaffene Möglichkeit der Energiegemeinschaften – mit dem sich die Bürger den selbst erzeugten Strom gegenseitig verkaufen können. „Die machen die Menschen nicht zu Zusehern der Stromwende, sondern zu aktiven Teilnehmern, zu Akteuren.“
Zach stimmt zu, dass die Energiegemeinschaften „ein wichtiger Teil“ der Energiewende seien, und verweist auf die „unglaubliche Zahl an Interessenten und Neugründungen solcher Energiegemeinschaften“. Das große Ziel können aber nur erreicht werden, wenn die Politik bei den Regeln für Genehmigungsverfahren und den Rahmenbedingungen der Ökostromprojekte gesetzlich nachschärft.