Kern: "Es gibt für die SPÖ keine Erbpachten, auch nicht in Wien"
KURIER: Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie die SPÖ in der Opposition führen?
Christian Kern: Wir haben ein umfassendes Programm vorgelegt. Das werden wir durch lebendige und innovative Zukunftsvisionen ergänzen. Dazu müssen wir raus aus unserem eigenen Saft. Wir werden uns organisatorisch neu aufstellen. Und die Zusammenarbeit der einzelnen Organisationen – Bundespartei, Länder, Renner-Institut – muss neu aufgestellt werden. Wir müssen die Partei in das digitale Zeitalter führen. Wir haben seit meinem Antritt mehr 5000 neue Mitglieder gewonnen. Im Oktober und November erstmals seit Jahrzehnten mehr als Austritte und Todesfälle. Das ist sehr erfreulich.
Wovon sprechen wir da? Von ein paar hundert Menschen Saldo?
Es geht um das Zeichen, dass wir wieder mehr Unterstützung der Bevölkerung bekommen. Wir haben in den letzten 25 Jahren erfahren müssen, dass es mehr Austritte gab als Eintritte. Dieser Trend dreht sich jetzt um.
Welche Motive haben Menschen denn jetzt der SPÖ beizutreten?
Bereits während des Wahlkampfes haben sich viele entschieden, zu uns zu kommen. Viele, weil sie etwas gegen diese Schwarz-Blaue Koalition machen wollen. Weil sie spüren, dass es jetzt darum geht unsere Werte zu verteidigen: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Aber wofür steht die SPÖ jetzt? Sich „nur“ von der kommenden Regierung abzugrenzen ist ja noch kein Programm.
Im Gegensatz zur Regierung in spe haben wir ein ganz konkretes Veränderungsprogramm vorgelegt. Schwarz-blau glänzen einstweilen durch substanzlose Überschriften. Das Interessante ist, dass ich nicht das Gefühl habe, dass Journalisten die Antwort auf die Frage interessiert. Ich habe 18 Monate erklärt, was ich will, wofür ich stehe. Dann hat man mir erklärt: Das ist alles sehr kompliziert. Nein, ist es nicht! Wir brauchen eine Strategie, in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung, des Klimawandels, um Gerechtigkeit zu schaffen. Man muss die Chancen die darin liegen nützen, aber auch dafür sorgen, dass die Menschen vor den negativen Auswirkungen geschützt werden. Wir brauchen eine Strategie um Wohlstand zu erlangen und dafür zu sorgen, dass alle davon profitieren. . Die SPÖ war immer dann erfolgreich, wenn wir die sozialen Fragen beantwortet haben. Aber auch gezeigt haben, wie wir eine erfolgreiche, starke Gesellschaft bauen. Damit wir jenen, die es brauchen, helfen können.
Was antworten Sie Menschen, die Projekte wie die Aktion 20.000 unter Ihrer Führung für gut befunden haben, und die nun die Meinung ändern. Der SPÖ nahe stehenden Vertreter im AMS können dem Beschäftigungsprogramm für ältere Langzeitarbeitslose plötzlich nur wenig abgewinnen.
Ich bezweifle, dass die Konjunktur und der Markt für jene Menschen Beschäftigung bringen, für die die Aktion 20.000 gedacht ist. Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Wenn im Designer Outlet in Parndorf eine Schuhverkäuferin gesucht wird, dann werden die keine 55-Jährige mit Rückenproblemen nehmen, die auf die Leiter klettern muss. Sie werden eher eine billigere Arbeitskraft aus Ungarn oder der Slowakei nehmen. Wir aber müssen für die Langzeitarbeitslosen Lösungen finden. Da geht es um Respekt und Anerkennung der Lebensleistung.
Türkis-Blau ist da anderer Meinung, AMS-Chef Kopf auch.
Ich schlage vor, dass die denen das nicht passt, nur für einen Tag mit einem Betroffenen tauschen. Wir haben mit den Jobaktionen 20.000 zusätzliche Jobs geschaffen. Und da spreche ich nur von jenen, die vorher keine Arbeit hatten. Was gerne vergessen wird: Wir haben das versprochen! Wir haben das auch der Wirtschaft, den Klein- und mittleren Unternehmen versprochen – und das ist aus meiner Sicht einzuhalten. Wenn es der ÖVP und der FPÖ um ein Prinzip gehen würde – nämlich Förderungen, die durch die Konjunktur nicht mehr nötig sind, zu kürzen – warum haben sie dann nicht in Oberösterreich damit begonnen? Hier beginnen Sie bei den Kindergärten und bei den Behinderten zu sparen. Hier wird permanenter Nebel produziert und Sie werden sehen: Die politischen Verhältnisse werden sich verkehren.
Welche Verkehrung meinen Sie?
In der Vergangenheit war es so, dass die Opposition die Regierung kritisiert hat. Jetzt haben wir plötzlich die Situation, dass die Regierung und ihre journalistische Unterstützer jetzt die Opposition angreifen. Was passiert denn in Oberösterreich? Es gibt Kürzungen, dann gibt es Protest – und dann macht man die Person, die Landesrätin Birgit Gerstorfer fertig, die gegen die Kürzungen auftritt. Es geht darum, die Kritik der Opposition zu de-legitimieren. Oberösterreich wird das Vorbild sein für alles, was im Bund passiert. Wir kritisieren völlig zurecht, dass in Schulen und Kindergärten eine Retropädagogik Einzug hält und man Klimapolitik mit dem Aluhut betreibt.
Können Sie der türkis-blauen Idee, Volksschüler wieder mit Schulnoten zu beurteilen, etwas abgewinnen?
Dieses ideologische Konzept weist für mich in die Vergangenheit. Es hieß von dem blauen Chefverhandler, es gehe um eine konservative Konterrevolution vor die Zeit der 68er. Ich hoffe, der blaue Chefverhandler hat damit die 1950er Jahre gemeint – und nicht die Jahre davor. Ich glaube nicht, dass unsere Kinder zu wenig Leistungsdruck haben. Dass man die soziale Selektion immer weiter nach vorne schiebt, nämlich ins Kindergartenalter hinein, das halte ich für den falschen Weg. In Großbritannien und Schweden gibt es sechs Jahre lang keine Noten. Was jetzt passiert, das ist ein ideologisches Muster: Die Schule wird wieder ideologisch-dogmatisch gesehen.
Wien ist in vielen Belangen, vom Kindergarten bis zur Ganztagesbetreuung, Vorreiter. Demgemäß müssten die Umfragewerte für Ihre Partei gut, und die Bevölkerung hoch zufrieden sein. Dem ist aber nicht so, im Gegenteil: SPÖ und FPÖ liegen beinahe gleichauf.
Es wird von ÖVP und FPÖ versucht, Wien sturmreif zu schießen. Ob das falsch kolportierte Nikoloverbote in Schulen sind oder der Vorwurf, Wien sei ein Eldorado der Steuerverschieber – obwohl die Kritik, wenn überhaupt, dann an den ÖVP-Finanzminister zu richten wäre. Es wird versucht, sukzessive in der Bundeshauptstadt alles schlecht zu machen. Die SPÖ muss sich wieder selbstbewusst hinstellen und sagen, wo sie hin möchte und dass sie Wien zu einer weltoffenen Metropole machen will. Es gibt für die SPÖ keine Erbpachten, auch nicht in Wien.
Wie erleben Sie persönlich gerade die Übergangsphase vom Kanzler zum Oppositionsführer?
Vom Wahltag an haben mich Menschen angerufen, angesprochen und -geschrieben und mich motiviert, indem sie gesagt haben: Bitte mach’ das weiter. Ich sehe das als Verpflichtung. Klar ist Politik keine Wellness-Kur.
Für Diskussionen sorgte, dass die Partei Ihr Gehalt um 6000 Euro brutto erhöht.
Ich habe mir andere Gehälter angesehen: Mit meinem Gehalt bin ich ungefähr die Nummer 120 unter den österreichischen Politikern.
Es gibt Menschen, die Sie gerne an der Spitze der Wiener SPÖ als Nachfolger von Michael Häupl sehen wollen.
Ich habe mich entschieden, die Opposition anzuführen.
Fünf Jahre lang?
Ich möchte spätestens in fünf Jahren wieder Bundeskanzler sein. Das wird nicht gehen, wenn ich mich vorher verabschiede.
Für Diskussionen sorgte, dass die Partei Ihr Gehalt um 6000 Euro brutto erhöht. Ich habe mir andere Gehälter angesehen: Mit meinem Gehalt bin ich ungefähr die Nummer 120 unter den österreichischen Politikern. Es gibt Menschen, die Sie gerne an der Spitze der Wiener SPÖ als Nachfolger von Michael Häupl sehen wollen. Ich habe mich entschieden, die Opposition anzuführen. Fünf Jahre lang? Ich möchte spätestens in fünf Jahren wieder Bundeskanzler sein. Das wird nicht gehen, wenn ich mich vorher verabschiede.