Doping im Alltag: „Man hält hohe Belastungen aus und ist gut drauf“
Von Sandra Baierl
Monika Spiegel leitet das Institut „Psyche und Wirtschaft“ an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien. In ihrer Dissertation behandelte sie das Thema Arbeitssucht.
KURIER: Kommen Aufputschmittel in den besten Familien vor?
Monika Spiegel: Eindeutig ja. Sucht hat wenig mit der Gesellschaftsschicht zu tun, viel mehr mit der Persönlichkeit.
In Deutschland sollen 3 Millionen Menschen Medikamente verwenden, um bessere Leistungen zu erbringen. Das wären 300.000 in Österreich. Klingt das realistisch?
Ja, absolut. Sucht und Lüge sind wie Bruder und Schwester. Deshalb ist Sucht immer schwer erhebbar. Der Missbrauch von stofflichen Aufputschmitteln ist stärker als man glaubt. Die Dunkelziffer ist sehr hoch. Gerade die Medikamentensucht ist stark im Steigen, weil sie lange niemand merkt.
Wer putscht sich auf und warum?
Menschen, die unter Druck stehen, die glauben, immer viel leisten zu müssen. Suchtmittel lassen sie für einen gewissen Zeitraum gut funktionieren. Damit hält man hohe Belastungen aus und ist gut drauf. Man wird zum funktionierenden Süchtigen.
Welche Berufsgruppen sind am meisten betroffen?
Eben solche mit starkem Leistungs- und Performancedruck. Auch soziale Berufe und Nachtberufe.
Was sind die gängigsten Mittel, um Leistung im Job zu steigern?
Alkohol steht an vorderster Stelle. Er ist gesellschaftlich anerkannt und leicht verfügbar. Der Begriff Workaholic hat sich gebildet, weil man erkannt hat, dass viel Arbeit und Alkohol eng zusammen liegen. Die Arbeit putscht auf, der Alkohol lässt einen dann abends runterkommen. Auch Psychopharmaka sind zunehmend ein Thema. Es ist immer eine Frage der Möglichkeiten – aber die Möglichkeiten, an Substanzen zu kommen, werden immer einfacher. Man kann vieles einfach im Internet bestellen.
Gibt es Unterschiede bei Männern und Frauen in der Konsumation?
Prinzipiell sind Männer, was Alkohol und Drogen betrifft, öfter süchtig. Aber Frauen ziehen nach. Die Mehrfachbelastung ist hier schuld. Frauen schreibt man eher die Medikamentensucht zu, weil man sie nicht riecht. Frauen haben früher etwa Appetitzügler genommen, weil sie aufputschend wirken. Männern ist der Geruch eher egal: der Mann und das Bier ist zulässig.
Unter Studierenden soll Ritalin als Aufputschmittel verbreitet sein. Vor allem in den Fächern Pharmazie und Jus – warum gerade dort?
Wahrscheinlich, weil dort der Leistungsdruck besonders hoch ist. Ritalin ist ein Medikament für Kinder gegen ADHS, es wirkt beruhigend und ausgleichend. Hat man allerdings kein ADHS, wirkt Ritalin aufputschend und leistungssteigernd. Es putscht auf wie Kokain.
Warum können manche Menschen extreme Arbeitsmengen bewältigen und andere nicht?
Weil es unterschiedliche Energiepotenziale in Menschen gibt. Es ist eine Frage der Persönlichkeit und liegt in der Grundstruktur eines Menschen. Vielleister haben andere Antriebskräfte.
Wie wirkt Vielarbeit im Körper? Endorphine werden freigesetzt, das sind sozusagen körpereigene Aufputschmittel. Sie schaffen ein Hoch, man fühlt sich high.