Politik/Inland

Der Schlussstrich unter 4400 Tage

Sie klatschen unentwegt. Eine halbe Minute lang geht das so, es ist kein Ende absehbar.

Er setzt sich hin. Sie klatschen weiter.

Seine Frau, die oben auf der Galerie sitzt, weint längst – vor Rührung.

Er verschränkt die Beine, nickt sanft. Er will dem ganzen Saal sagen: Genug jetzt! Ich habe verstanden, dass ihr mit mir zufrieden wart.

Sie klatschen weiter. Also steht er wieder auf. Und weil er in den Applaus hinein nicht einfach "Danke!" rufen kann, tut er etwas anderes: Er verneigt sich und verharrt.

Es ist der Moment, der alles zusammenfasst an diesem Tag: Das offizielle Österreich verbeugt sich vor Heinz Fischer – und dieser antwortet mit größtmöglicher Demut.

Zwölf Jahre lang war der frühere Minister, Klubobmann und Nationalratspräsident an der Staatsspitze. Am Freitag endete die Amtszeit.

Da der Nachfolger am 2. Oktober erneut gewählt werden muss, ist der Festakt im Historischen Sitzungssaal des Reichsrats formal "nur" eine Festsitzung – für die hoch-offizielle "Bundesversammlung", also eine gemeinsame Sitzung von National- und Bundesrat, fehlt die Angelobung des Neuen.

Präsidiale Neugier

Für Fischer selbst ändert dieses juristische Detail freilich nichts.

"Seit Wochen und Monaten war ich neugierig auf den letzten Tag meiner Amtszeit. Ich habe oft mit meiner Frau über diesen Tag gesprochen, an dem man in der Früh als Bundespräsident aufsteht und den Tag als ehemaliger Bundespräsident beschließt."

Neugier ist eines der Schlüsselworte seines Lebens. Neugier statt Angst: Das ist wohl eine der Botschaften, die Fischer in seiner letzten Rede als Bundespräsident transportieren will.

30 Minuten nimmt er sich jetzt Zeit, um Bilanz zu ziehen.

Kann man 54 Jahre in der Politik in einer halben Stunde zusammenfassen? Natürlich nicht.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Fischer sehr schnell über die Flüchtlinge spricht. Über den Stolz, den sein 94-jähriger Schwiegervater, ein ehemaliger KZ-Häftling, 2004 empfand, als er von der Galerie aus Zeuge war, wie der Mann seiner als Flüchtlingskind geborenen Tochter als Bundespräsident vereidigt wurde. Die Flüchtlingspolitik dürfe nicht nur von Rationalität, sie müsse auch von Humanität geprägt sein, sagt Fischer.

Und an seine wahlwerbenden Nachfolge-Kandidaten richtete der Privatier eine Bitte: "Stil und Inhalt der Wahlwerbung sollen hohen Ansprüchen in puncto Redlichkeit und Fairness gerecht werden."

Die Warnung vor dem Brexit

Die Vorzüge eines friedlichen Europa, die Gefahren des Brexit, all das erwähnt und streift Heinz Fischer.

Sein Herz-Anliegen ist aber die Demokratie und ihr schlimmster Feind: der Hass.

"Aus dem Hass in den Köpfen entsteht Hass in den Worten und Taten", zitiert Fischer seinen Freund und Autor Gerhard Roth.

Die Zuhörer unterbrechen ihn genau an dieser Stelle mit Applaus.

Wenn Heinz Fischer an diesem Tag Wehmut verspüren sollte, versteht er sie blendend zu verstecken. Er sei nach knapp 4400 Tagen im Amt nicht erschöpft, weil er den Job nie als Bürde, sondern immer als große Freude empfunden habe, sagt Nationalratspräsidentin Doris Bures, und das stimmt wohl: Fröhlichkeit ist einer der großen Wesenszüge des 77-Jährigen.

Der silberne Leihwagen

Als im Reichsratssitzungssaal die Scheinwerfer abgedreht sind, packen in der Hofburg Fischers engste Mitarbeiter letzte Geschenke in den silbernen Leihwagen. Als er zum letzten Mal als Präsident die Stufen hintergeht, jubeln sie und klatschen. "Ihr seids so klass, I würd’ am liebsten dableiben", ruft er ihnen lachend zu.

Dann setzt er sich neben seine Frau in den Fonds, ein Mitarbeiter lenkt.

"Er woa a feiner Präsident", sagt ein Polizist am Tor. "Zwöf Jahr’ im Amt, jetzt fahrt er an Leihwogn."

Als der Wagen startet, beginnen Mitarbeiter zu weinen. Nicht so Heinz Fischer. Er winkt durchs offene Fenster. Fröhlich, wie sonst?

Er ist neugierig, was da noch kommt. Dann ist er weg. Endgültig.