Corona: Experten können Polarisierung durch Politiker teils abfedern
Werden unangenehme Maßnahmen zur Eindämmung des SARS-CoV-2-Erregers verlautbart, gehen Emotionen vielfach hoch. Rund um das Thema wird eine ausgeprägte Polarisierung der Gesellschaft sichtbar. Ein Forscherteam zeigt nun im Fachblatt "PNAS", dass viele Menschen Einschränkungen eher annehmen, wenn die Ankündigung aus "ihrem" politischen Lager kommt. Es kommt also auf die Quelle und weniger auf den Inhalt an. Holt man aber Experten an Bord, wird die Akzeptanz im Schnitt höher.
Das Team um Projektleiter Leaf Van Boven von der University of Colorado (USA), zu dem auch Stephan Dickert vom Institut für Psychologie der Universität Klagenfurt gehörte, befragte fast 13.000 Personen in den USA, Schweden, Italien, Brasilien, Israel, Südkorea und Großbritannien. Für die Untersuchung fokussierte man auf demokratische Länder, deren politische Systeme allerdings etwas unterschiedlich ausgestaltet sind, wie Dickert im Gespräch mit der APA erklärte.
Besonderheiten in den USA und Brasilien
So ist die politische Landschaft in den USA traditionell durch zwei Parteien geprägt, die liberaleren Demokraten und die konservativeren Republikaner. In anderen Ländern gibt es ein deutlich vielstimmigeres politisches Parkett, eher vergleichbar mit jenem in Österreich oder Deutschland. "Wir wollten herausfinden, ob diese politische Polarisierung verhindert, Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus zu unterstützen", so Dickert.
Seit Pandemiebeginn gibt es in nahezu allen Ländern eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen, die entweder die Wirksamkeit von verschiedenen Maßnahmen anzweifeln und diese nicht einhalten, bis dahin gehend, dass die Existenz des Virus komplett geleugnet wird. Besonders greifbar war das politische Kokettieren damit in den USA unter Ex-Präsident Donald Trump oder in Brasilien unter dem rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro.
Die Forschung hat nun gezeigt, dass sowohl politisch liberale wie konservative Menschen eher bereit sind, Maßnahmen gegen die Pandemie zu unterstützen, wenn diese vom eigenen politischen Lager vorgeschlagen werden: "Die eigene Seite wird aufgewertet, die andere abgewertet. Das ist ein recht grundlegender sozialpsychologischer Prozess."
Aufwerten und abwerten
In der Studie wurden zuerst die politischen Einstellungen der Befragten erhoben. Die Teilnehmer erhielten dann die gleichen Vorschläge zur Pandemieeindämmung mit Fokus auf einerseits Gesundheit oder andererseits wirtschaftliche Aspekte entweder von der "eigenen" oder einer "anderen" politischen Gruppierung. Ob Gesundheit oder Wirtschaft dabei im Vordergrund standen, machte kaum einen Unterschied. Entscheidend war, "wer es gesagt hat", betonte Dickert.
Man beobachte hier eine Art affektiv-emotionale Polarisierung. Denn zu dem, was die eigene Gruppe behauptet, hat man tendenziell ein gutes, vertrauensvolles Gefühl. Kommt etwas von der anderen Gruppe, wird es oft automatisch abgewertet - egal, was der Inhalt ist. In der Studie war dies bei weitem nicht nur in den USA zu beobachten. Die einzige Ausnahme war Großbritannien, wo aber nicht zuletzt durch den Brexit das politische Gefüge kürzlich gehörig durcheinandergewirbelt wurde. Dickert: "Der Effekt ist da, und scheint nicht so sehr davon abzuhängen, dass man nur ein Zwei-Parteien-System hat."
Zusätzlich testeten die Wissenschafter, was passiert, wenn die gleichen Maßnahmen von mehreren Parteien gemeinsam vorgeschlagen werden oder von Experten ins Spiel gebracht werden. Beide Vorgehensweisen führten im Schnitt zu höherer Akzeptanz. Während sich also Menschen eher einer Meinung verschließen, wenn diese vom anderen politischen Lager kommt, können vertrauenswürdige Experten diese Reaktion ein Stück weit aufbrechen, so Dickert.
Wer gilt als Experte?
Will man also aus der Polarisierungsfalle herauskommen, hilft es Experten einzuschalten und ein möglichst breites politisches Spektrum ins Boot zu holen. Allerdings nütze dieser Ansatz bei besonders stark radikalisierten Gruppen vermutlich nur bedingt, räumte der Psychologe ein: "Die würde ich hier vielleicht ausklammern." Außerdem müsse man auch medial durchaus aufpassen, den Begriff des "Experten" nicht zu sehr abzunützen, indem nahezu jeder mit einer Meinung als "Experte" tituliert wird.
Ähnliche Polarisierungseffekte wären laut Dickert durchaus auch in Deutschland oder Österreich zu erwarten gewesen - und das bei weitem nicht nur in Bezug auf Covid-19. Dass "die Quelle wichtiger als der Inhalt ist", beobachte man ja auch vielfach, wenn es um Umweltschutzthemen oder die Migrationspolitik geht, betonen die Wissenschafter. Die Erkenntnisse seien daher für die Politikgestaltung über Covid-19 hinaus von Bedeutung. "Ich denke, wir haben hier gute Daten, um das zu zeigen", sagte Dickert.