Politik/Inland

Kanzler und sein Vize: Bürgerforum als Zorn-Ventil

Zwei graue Rednerpulte, dahinter standen der Kanzler und sein Stellvertreter. Und im Publikum saßen, eingebettet zwischen 300 Bürgern, die Klubobleute der Oppositionsparteien im Parlament. So zurückhaltend das Setting auch war, so geladen verlief die Debatte. Ein gelassen-sachlicher Dialog zwischen Politik und Wählern? Nicht an diesem Abend. "Warum wird immer gestritten in der Regierung?“, fragte gleich der erste Bürger, der zu Wort kam – er sollte nicht der Einzige sein. Wie sich die Koalition präsentiert, wie sie miteinander umgeht, oder besser: wie sie nicht miteinander umgeht, das füllte einen Gutteil der Sendung aus.

"Große Veränderungen, die nötig sind"

Zu Beginn blieben die Angesprochenen noch betont ruhig. "Sie haben Recht, wir verstellen uns zum Teil die guten Ergebnisse selbst“, antwortete etwa Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Und Kanzler Christian Kern erklärte die bisweilen trübe Stimmung an den Stammtischen mit den „großen Veränderungen, die nötig sind, und die nicht alle gleichermaßen begeistern“. Nachdem aber wieder und immer wieder – von Sendungsteilnehmern im Studio wie von interviewten Menschen auf der Straße – der Vorhalt kam, die Koalition würde sich keinen Deut um die Sorgen und Nöte der Bürger scheren, gingen sowohl der Kanzler wie auch der Vizekanzler in den Angriff. Die Wirtschaftsdaten seien besser als vielfach dargestellt, und der – nun auch im Bürgerforum – verbreitete Pessismismus sei weder angebracht noch sinnvoll, wehrte sich ein streckenweise genervt-offensiv wirkender ÖVP-Chef Mitterlehner: „Wir haben derzeit Höchstbeschäftigung!“

Der Zorn, er war einfach zu groß

Nachdem SPÖ-Chef Kern von einem Obersteirer vorgeworfen wurde, man sei als Spitzenpolitik am flachen Land nicht präsent, verwies der Kanzler darauf, dass er erst vor einem Tag in unmittelbarer Nachbarschaft des Bürgers, nämlich in einer Fabrik in Judenburg, gewesen sei. Fehlende Bodenhaftung, mangelhafte Bürgernähe? Das wollte sich der Bundeskanzler so einfach nicht vorwerfen lassen.

Die Oppositionspolitiker pflichteten den artikulierten Sorgen meist bei. Der Integrationsminister solle „mehr in Schulklassen sitzen und weniger in Talkshows“, wetterte etwa Neos-Boss Matthias Strolz. Und FPÖ-Boss Heinz-Christian Strache lenkte die Debatte mit auf das zweite, zentrale Thema des Abends, nämlich auf die „Gerechtigkeit“ – oder besser: Was darunter im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage seiner Ansicht nach zu verstehen ist. Eigentlich ging und geht es nur um die Mindestsicherung, und hier nur die Frage, ob es gerecht ist, wenn Menschen, die nie ins Sozialsystem eingezahlt haben, Mindestsicherung beziehen.

An dieser Stelle drehte sich die Debatte schnell am Stand: Während manch Gast im Studio in Abrede stellte, dass das aktuelle Sozialsystem gerecht ist, hielt SPÖ-Chef Kern ein Plädoyer für den sozialen Zusammenhalt und die bestehende Mindestsicherung. Grünen-Chefin Eva Glawischnig hätte gern über das ein oder andere Frauen-Thema geredet. Die Bildung? Auch sie wäre allemal eine Debatte wert gewesen. Aber für diese und andere Themen blieb keine Zeit mehr – der Zorn, er war einfach zu groß.