Politik/Inland

"Die Latte liegt mittlerweile am Boden"

Die Latte liegt mittlerweile am Boden. So gesehen könnte es der Regierung gelingen, sie zu überspringen."

Irgendwie klang es zynisch, was Andreas Khol am Mittwoch zur politischen Perspektive der Bundesregierung zu sagen hatte. Der frühere Parlamentspräsident der Konservativen meinte es freilich nicht ganz so böse, im Gegenteil: Bei der Präsentation des Jahrbuchs für Politik versuchte Khol der tristen Lage Positives abzutrotzen, soll heißen: In einer Situation, in der die Bundesregierung (nicht zuletzt ob der Wirren um die Regierungsbildung und die Hypo-Krise) ausnehmend schlecht angeschrieben ist und die Wähler gefrustet sind, "kann eine Regierung, die geschickt agiert, besser sein, als die über sie veröffentlichte Meinung." Kurzum: Für den deklarierten Groß-Koalitionär Khol besteht die große Chance der heute nur noch "mittelgroßen Koalition" darin, dass sie die Bürger doch noch positiv überrascht.

Erosion der Parteien

Abgesehen vom Befund des Seniorenbund-Chefs Khol enthält das diesjährige Jahrbuch mehrere durchaus lesenswerte Beiträge: Die Politik-Forscher Franz Sommer und Peter Ulram sezieren die Wählerströme und -motive der jüngsten Nationalratswahl und dokumentieren solcherart den dramatischen Erosionsprozess, der vor allem bei den größeren Traditionsparteien SPÖ und ÖVP zu beobachten ist.

Lothar Höbelt, spitzzüngiger Kenner des Dritten Lagers, erläutert, was die FPÖ unternehmen muss, um sich auch noch die Wähler des BZÖ und des Team Stronach einzuverleiben.

Pastoraltheologe Paul Zulehner, ein intimer Kenner der katholischen Kirche, erklärt nicht nur, wie die Bischofskonferenz tickt ("Sie ist kein Boot mit vielen, die gemeinsam rudern, sondern besteht aus solistischen Kajak-Einern"). Anhand der Indiskretionen rund um die Salzburger Bischofswahl zeigt er außerdem recht plastisch, warum der reform-orientierte Papst Franziskus die Bischofskongregation möglicherweise doch noch nicht im Griff hat.

Die Spione in Wien

Und schließlich lohnt ein Blick auf den Beitrag von Gert René Polli: Der frühere Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz erklärt anschaulich, warum Wien auch 2014 bevorzugte Kulisse für die internationalen Geheim- und Nachrichtendienste ist – und was die geschätzten 3000 Mitarbeiter der Dienste tun. Einziges "Manko" des 536-Seiten-Buches ist der Preis – die fast 50 Euro sind durchaus stattlich.

Wer die früheren Papier-Ausgaben des Jahrbuchs nicht besitzt, dem bleibt ein Blick ins elektronische Archiv. Unter www.oejp.at sind Artikel aus 36 Jahren von mehr als 1000 Autoren verschlagwortet.

Buchtipp:Khol, Ofner, Karner, Halper (Hg.): "Jahrbuch für Politik 2013", 536 Seiten, Böhlau Verlag, 49,90 Euro.

„GroKo“ nennen die Deutschen ihre Koalition, die ja wirklich groß ist und vielleicht schon deshalb einen Namen verdient, der wie ein Ungeheuer klingt. In Österreich wird die ehemals große Koalition, die inzwischen gerade noch eine denkbar knappe Mehrheit im Parlament hat, von einem Hauch von Resignation umweht. Da fällt auch niemandem mehr ein Spitzname ein. „Letzte Chance“, das ist auch schon alles, was man über die Regierung Faymann II. zu hören bekommt. Und zwar interessanterweise hauptsächlich von Angehörigen der geschrumpften früheren Großparteien SPÖ und ÖVP selbst. Aber glauben sie überhaupt daran? Kaum. Eher sieht es danach aus, dass sich die Parteien immer stärker dorthin zurück ziehen , wo sie ihre jeweilige Machtbasis haben und auch noch ausspielen können und von wo aus die Bundespolitik zunehmend dominiert wird. Das sind die Länder und die Verbände.

Die Republik Österreich konnte sich schon bei ihrer Gründung im Jahr 1918 nicht entscheiden, ob sie zentralistisch oder föderal aufgebaut sein soll. Das lag wohl daran, dass die Politiker an diesen ersten Versuch einer deutschsprachigen Republik in der Nachfolge der Habsburger nicht glaubten und zunächst erreichen wollten, dass „Deutschösterreich“, wie es hieß, Bestandteil der Deutschen Republik wird. Die Angliederung an Deutschland war ja ein weit verbreiteter Wunsch, der letztlich von den Siegermächten des 1. Weltkriegs verhindert wurde. Man gab sich eine Verfassung, die Bundesländer vorsah, aber erst 1925 wurden die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilt. Und zwar so kompliziert oder unentschieden, dass die Verfassungswirklichkeit bis heute eine Frage der Macht ist. Und der jeweiligen Repräsentanten.

Werner Faymann und Michael Spindelegger, die Spitzenvertreter von SPÖ und ÖVP, kommen heute aus zwei Bundesländern, wo ihre jeweilige Partei seit 1945 unangefochten regiert. Landeshauptleute aus Wien und Niederösterreich waren für die Bundespolitik immer wichtiger, als es ihre verfassungsmäßigen Möglichkeiten vorsahen. Aber jetzt stehen zwei Politiker an der Spitze der Bundesregierung, die den Machtmechanismus ihrer Parteien in einem Bundesland von klein auf verinnerlicht haben.

Inzwischen agieren auch andere Landeschefs mit einem Machtbewusstsein das Buchstaben und Geist der Verfassung nur bedingt entspricht.

Diese kleine Große Koalition ist mehr denn je das Ergebnis der Verhandlungen von Landespolitikern. Josef Pühringer, der Landeshauptmann von Oberösterreich, der ja andere Interessen als ein Finanzminister hat, hat für die ÖVP das Finanzkapitel ausgehandelt. Der Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer, hat das Bildungskapitel vereinbart. Und als er sich mit Vorschlägen, die in Richtung Gesamtschule gegangen wären, nicht durchsetzen konnte, hat er, wieder zu Hause im Chiemseehof, seine eigene Salzburger Schulpolitik ausgerufen. Dort werden Gesamtschulen künftig im Schulversuch getestet, ob es der Bundespartei passt oder nicht. Hans Niessl wiederum, der SPÖ-Landeshauptmann des Burgenlands, hat sich mit der Forderung nach Vermögenssteuern nicht durchgesetzt, verlangt sie nach Beendigung der Regierungsverhandlungen aber umso deutlicher. Beim SPÖ-Landeshauptmann der Steuiermark, Franz Voves, hat man den Eindruck, Bundespolitik interessiere ihn gar nicht mehr, die steirischen Nationalratsabgeordneten der ÖVP aber wollen im Bundesparlament nur nach steirischen Interessen entscheiden.

Es sieht also so aus, als ginge es nicht so sehr um die Frage, ob die SPÖ-ÖVP-Koalition noch eine Chance hat, sondern darum , welchen Stellenwert eine Bundesregierung in der Republik Österreich künftig hat. Denn das ist ja das eigentliche Problem dieses Regierungsprogramms: Es schreibt irgendwie die Verwaltung des Landes weiter fort. Aber notwendige Reformen oder auch nur Klarstellungen fehlen. Dafür gibt es gleich zu Beginn der Regierungsperiode neue Diskussionen. Es mag ja wichtigere Fragen geben, als die Existenz des Bundesrats. Aber die Verhandler konnten sich zu keiner neuen Form der verfassungsmäßigen Beteiligung der Länder durchsetzen. Doch nur wenige Wochen später beginnt ausgerechnet die Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer die ewige Debatte um den Bundesrat von Neuem. Das steht symbolisch dafür, dass da Regierungsprogramm eben keine Reformen enthält, weil die Kraft dafür fehlte. Oder weil die Mächtigen, also die Landespolitiker, die ihre Parteien auch durch die Finanzierung kontrollieren, keine Veränderungen wollten. Die historische Erfahrung der ÖVP ist es, dass sie die 16 Jahre in der Opposition von 1970 bis 1986 durch ihre Macht in den Ländern und ihren Einfluss durch die Sozialpartner unbeschadet überlebt hat. Und die historische Erfahrung der SPÖ ist es, dass sie ihre Macht in Wien unter Schwarz-Blau (2000 – 2006) noch deutlich ausbauen konnte. Die österreichische Sozialdemokratie und die Bünde, die sich zur ÖVP zusammengeschlossen haben, können sich gar nicht vorstellen, was Machtverlust bedeuten würde. Beide Parteien leben stark in der Vergangenheit, Chancen aber sind ein Konzept für die Zukunft.