Anpassung der Familienbeihilfe: Brüssel widerspricht Österreich
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hält einen weiteren Vorstoß für neue Regeln für Familienbeihilfenzahlungen ins EU-Ausland für wenig chancenreich. Die von Österreich geplante Anpassung an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes ist nach Ansicht der EU-Kommission zudem nicht in vollem Einklang mit EU-Recht, wie am Sonntag aus Brüssel verlautete.
"Die Mitgliedstaaten können ihre nationalen Sozialsysteme frei gestalten, aber wenn es um grenzüberschreitende Aspekte geht, gibt es Regeln, die eine Gleichbehandlung sicherstellen und Diskriminierung verhindern", hieß es aus der für die Einhaltung von EU-Recht zuständigen Brüsseler Behörde, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Dies sei auch der Grund dafür, warum im EU-Recht derzeit keine Anpassung vorgesehen sei.
Es gelte die Logik, dass gleiche Beiträge auch zu den gleichen Vorteilen führen sollten. Damit wird in der EU-Kommission darauf Bezug genommen, dass Familienbeihilfe (in Deutschland Kindergeld) in Ländern wie Österreich oder Deutschland nur an diejenigen EU-Ausländer gezahlt werden, die auch in das jeweilige Sozialversicherungssystem einzahlen. Noch am Freitag teilte eine Sprecherin der EU-Kommission, dass eine Prüfung zur Rechtskonformität des österreichischen Vorstoßes, die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland zu indexieren, noch gründlich analysiert werde.
Unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es nach Ansicht Oettingers aber ohnehin eine "klare Tendenz", an der gegenwärtigen europäischen Rechtslage nicht zu ändern". Im Rat der EU-Sozialminister habe sich eine Mehrheit gegen eine Anpassung der Höhe der Familienbehilfe für im Ausland lebende Kinder an die dortigen Lebenshaltungskosten ausgesprochen, sagte der deutsche EU-Kommissar dem "Tagesspiegel" (Sonntag).
114 Mrd. Euro einsparen
Die schwarz-blaue Regierung will, dass die Neuregelung, von der sie sich 114 Mrd. Euro an Einsparungen erhofft, in Österreich 2019 in Kraft tritt. Von der Kompatibilität mit EU-Recht ist sie überzeugt, wie Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) gegenüber der dpa bekräftigte. Als Beleg dafür wertete sie die Position der EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten über die Zuerkennung und die Berechnungsmethode von Familienleistungen selbst entscheiden dürften.
Experten halten das Vorhaben jedoch für EU-rechtswidrig. Die EU-Kommission hatte immer erklärt, dass es zu keiner Diskriminierung von EU-Bürgern kommen dürfe und für gleiche Beitragszahlungen auch Anspruch auf gleiche Leistungen bestehen müsse. Dieses Prinzip verfolgte bisher auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Rechtsprechung. Die Kommission könnte Österreich vor dem EuGH klagen, sollte die Indexierung beschlossen werden.
Debatte auch in Deutschland
Auch in Deutschland gibt es derzeit Forderungen nach einer Anpassung der Familienbeihilfe. Hintergrund sind Rekordzahlen bei ausländischen Familienbeihilfenempfängern und Hinweise auf Betrugsfälle. FDP-Chef Christian Lindner unterstützte dabei einen Vorschlag ähnlich wie von Österreich geplant. Zuletzt hatte sich auch der CDU-Fraktionsvize Carsten Linnemann für eine Reform auf EU-Ebene ausgesprochen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte in der "Augsburger Allgemeinen" indes Mechanismen, die Sozialmissbrauch wirksam unterbinden.
Mehrere Oberbürgermeister in Deutschland hatten im Zusammenhang mit der Debatte von einer zunehmenden Migration in das deutsche Sozialsystem gesprochen. So sieht Duisburgs Rathauschef Sören Link (SPD) Schlepper am Werk, die Menschen in schrottreifen Wohnungen unterbringen, ihnen Scheinbeschäftigungen verschaffen und oft einen Teil der Familienbehilfe einbehalten. Genaue Zahlen zu einem Missbrauch der Familienbeihilfszahlungen in Deutschland gibt es bisher aber nicht. In Österreich sind laut Bogner-Strauß keine Missbrauchsfälle bekannt.
Oettinger warnte: "Wenn wir das Kindergeld indexieren würden, wäre das ein Grund für einige, auf eine Arbeit in Deutschland zu verzichten." Würde man das Thema zu Ende denken, müsse zudem auch innerhalb von Deutschland Familienbeihilfe in unterschiedlicher Höhe gezahlt werden, sagte er dem "Tagesspiegel".