Gegen Glücksspiel und Schuldenbremse
Man fühlt sich wie in einer Selbsthilfegruppe. Ein Sesselkreis; Menschen, die über ihre Sorgen reden. Sie wollen ja auch helfen. Aber nicht sich selbst, sondern der SPÖ. „Ich bin die Gabi und bin sozialdemokratische Dissidentin“, stellt sich eine vor. Ein anderer sagt einfach: „Ich bin ang’fressen.“ Willkommen in der Sektion 8. Willkommen in jenem Teil der SPÖ, der statt der Schuldenbremse eine „Hysteriebremse“ von der eigenen Parteispitze fordert. Jenem Teil der SPÖ, der gegen das neue Sicherheitspolizeigesetz ist; der gegen Steuersenkungen und für Lohnerhöhungen kämpft.
Die Sektion gehört zur SPÖ Wien, aber sie wurde mit einem Auftritt auf dem Landesparteitag im Mai bundesweit berühmt. Mit einer Rede hat ihr Vorsitzender Niki Kowall geschafft, was in SPÖVP-Österreich sonst als unmöglich gilt: eine Abstimmung umzudrehen, die die Parteispitze eigentlich in der Tasche hat. Mit der Rede und viel Lobbying hat die Sektion das Ende des „kleinen Glücksspiels“ erzwungen; ab 2014 sind die Automaten in Lokalen verboten. Das Video mit Kowalls Rede hatte auf youTube bisher 12.800 Seher. Zum Vergleich: Jenes legendäre Video, in dem Bürgermeister Häupl nach „Spritzwein“ ruft, kommt auf 30.000 Klicks –, aber das dauert nur drei Sekunden, Kowalls Rede fast sechs Minuten.
Glück
Das kleine Glücksspiel ist der große Glücksfall der Sektion. Ein Lokal der SPÖ Alsergrund, ein halbes Jahr nach dem Parteitag. Die Sektion lädt zum Infoabend: „Wie mitmachen in der sozialdemokratischen NGO?“ 35 Gäste sind da – zwei Drittel davon zum ersten Mal. Die „Ang’fressenen“ und die Dissidenten. Viele von ihnen hat der Coup mit dem kleinen Glücksspiel hergeführt.
Zum Beispiel Roman. Ihm liegt die SPÖ am Herzen, sagt er. Aber als Ex-Zocker, der 15 Jahre lang gespielt hat, hat ihn der Eiertanz der SPÖ um das Thema desillusioniert. „Die Sektion macht mir wieder Mut.“ Durch den Abend und die Präsentation am Laptop führt Kowall. Eigentlich forscht der Volkswirt in Düsseldorf zur deutschen Steuerpolitik, heute erzählt er von der Sektion: 2007 habe der Protest gegen das Kabinett Gusenbauer „junge Leute in der SP“ geeint, sagt er. „Endlich ein Kabinett ohne FPÖ, aber inhaltlich hatte sich die ÖVP wieder durchgesetzt. Wir haben gesagt: So geht es nicht weiter.“ Er zeichnet ein verheerendes Bild von der SPÖ, spricht von „Geschlossenheitswahn“ und „Kommandokultur“.
Toni nickt dazu. Er ist seit 1983 in der SPÖ, wollte bereits austreten. Jetzt ist er bei der Sektion, von Parteiaustritt ist keine Rede mehr. Toni ist Pensionist, nicht der einzige hier. Aber die Sektion ist im Schnitt jünger als die Partei. „Wegen uns gibt es in der SPÖ Alsergrund Mitgliederzuwachs statt -schwund“, sagt Kowall. Die Sektion lebt den Spagat: Sie ruft zum SPÖ-Beitritt auf, attackiert aber gleichzeitig die rote Prominenz. Kowall sagt: „Wir sind nicht wegen, sondern trotz der Parteispitze in der SPÖ.“ Warum wollen sie aber Teil einer SPÖ sein, an der es so viel auszusetzen gibt? „Um die SPÖ kann man kämpfen. Und sie ist es wert.“
Ziel
Immerhin sei „die beste aller bisherigen Welten“ der Sozialdemokratie zu verdanken: der europäische Wohlfahrtsstaat. „Und unser Ziel ist nicht der Marsch durch die Institutionen. Wir wollen als Flügel stark werden, die Linie der SPÖ ein paar Grade verschieben. Wir wollen eine
SPÖ, die weniger taktiert und mehr Gegenwind aushält.“ Und die Sektion will sich nicht auf das Glücksspiel reduzieren lassen: Die SPÖ habe das Thema Vermögenssteuern nicht zuletzt dank der Arbeit der Sektion aufgegriffen, so Kowall. Die Sektion wächst und publiziert fleißig Strategiepapiere.
Ein Dossier etwa verspricht den Lesern eine „kopernikanische Wende“ in der Sicht auf die Staatsschulden. Die SPÖ-Spitze ignoriere die Sektion noch, sagt Kowall. Aber: Den Coup mit dem Glücksspiel hat der Sektion im Vorfeld auch niemand zugetraut. Wer weiß also, wozu sie noch in der Lage sind. „Ang’fressen“ genug wären sie ja.
Sektion 8: Ganz unten in der Hierarchie
Eine Sektion ist die kleinste Struktur-Einheit der SPÖ Wien – ähnlich einer Ortspartei auf dem Land. Wer also in der Sektion 8 Mitglied sein will, muss auch SPÖ-Mitglied werden. Genau genommen ist die „Sektion 8“ die 8. Sektion der SPÖ im 9. Wiener Bezirk und umfasst ein Gebiet von 2400 Haushalten. Sie hat 200 Mitglieder; 20 bilden den „aktiven Kern“. Fast alle Mitglieder der Sektion leben außerhalb des „Sektionsgebietes“.