Politik

Ein-Kind-Politik: Chinas kleine Kaiser

Yang Zhi Zhu gestikuliert mit den Händen: "Ich halte die Regelung für gesetzeswidrig. Die Behörden sprechen von Familienplanung, meinen aber Abtreibung", ereifert sich der 42-Jährige. Dass der chinesische Staat das Bevölkerungswachstum kontrolliert und mit der Ein-Kind-Politik ins Privatleben hineinregiert, will der ehemalige Jus-Professor nicht hinnehmen. "Der Staat hat kein Recht, so über den Körper einer Frau zu bestimmen."

Yang Zhi Zhu steht in seiner Pekinger Küche und hackt Karotten. Die Wohnung ist klein, aber sauber. In jedem Zimmer sind die Wände mit Kritzeleien bemalt. Obwohl viele Chinesen die Ein-Kind-Politik ablehnen, fordern nur die wenigsten den Staat offen heraus. Yang Zhi Zhu hat es gemacht.

Bis vor Kurzem führte er ein ganz normales Leben. Vor acht Jahren hat er geheiratet, 2006 wurde seine Tochter Ruoyi geboren. Eine glückliche Familie. Doch als Yangs Ehefrau Chen Hong erneut schwanger wurde, bekam die Familie Probleme. Denn die Funktionäre von Chinas staatlichem Amt für Familienplanung verlangten von Yangs Ehefrau, das Kind abtreiben zu lassen. "Aber ich wollte keine Abtreibung", sagt sie mit leiser Stimme. "Ich wollte das Baby unbedingt behalten."

Geburtenbeschränkung seit 1979

Um das Bevölkerungswachstum zu bremsen, führte Chinas Regierung 1979 die Geburtenbeschränkung ein. Bis auf wenige Ausnahmen abgesehen dürfen chinesische Paare seither nur ein Kind zur Welt bringen. "Alles wurde streng überwacht und umgesetzt", erinnert sich Zhang Shu Chen, die bei Einführung der Familienpolitik Mitte zwanzig war. "Sie fragten einen aus und schrieben alles auf: Ob man verheiratet war, ob man schon ein Kind hatte, ob man die Spirale trug, wer sie eingesetzt hatte und wann."

Zur Abtreibung gezwungen

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Während der vergangenen Jahrzehnte wurden viele Frauen in China nach der Geburt des ersten Kindes sterilisiert. Andere mussten abtreiben, oft auf grausige Art. Auch Zhang Shu Chen wurde nach der Geburt ihres ersten Kinder erneut schwanger. Die heute 58-Jährige wird nie vergessen, wie sie von staatlichen Funktionären ins Krankenhaus gebracht wurde: "Die Ärzte benutzten für die Abtreibung keine Schmerzmittel. Es war schrecklich. Vor dem Krankenhaus wartete mein Mann mit seinem Fahrrad. Ich hab mich dann stumm auf seinen Gepäckträger gesetzt, und er hat mich heimgeradelt."

Chinas Behörden sind beim Thema Geburtenbeschränkung unerbittlich. Auch Yang Zhi Zhu und seine Frau bekamen vor der Geburt des zweiten Kindes massiven Druck von den Behörden. Doch das Ehepaar dachte nicht daran, sich zu beugen. Chen Hong brachte gegen den Willen der Funktionäre eine zweite Tochter zur Welt. Die aber reagierten umgehend und gnadenlos: Yangs Stelle als Professor wurde gekündigt. Seither lebt er von Gelegenheitsjobs.

Viel mehr Burschen

Dreißig Jahre Ein-Kind-Politik haben in China Spuren hinterlassen. Mittlerweile auch demografische: Weil Chinas Bauern traditionell einen Stammhalter bevorzugen, wurden vor allem auf dem Land weibliche Föten getötet. Unter jungen Chinesen gibt es bereits jetzt 30 Millionen mehr Buben als Mädchen. Bis 2020 dürften 50 Millionen Männer im heiratsfähigen Alter Schwierigkeiten haben, eine Frau zu finden – weil es schlicht zu wenige gibt.

Viele Einzelkinder sind während der vergangenen Jahre überversorgt und umhätschelt worden. So auch die 26 Jahre alte Cao Ling. Sie musste nie bei der Hausarbeit mithelfen, nie kochen oder einkaufen. Bis sie als Studentin von zu Hause auszog, schlief Cao Ling sogar mit ihrer Oma in einem Bett: "Im Winter ist die Großmutter zuerst unter die Decke geschlüpft und hat meine Seite gewärmt, dann erst hat sie sich auf ihre Seite gelegt", erzählt die junge Frau. "Beim Essen hat sie mir immer das Beste gegeben."

Weil sie immer im Mittelpunkt standen, werden die Einzelkinder heute als "kleine Kaiser" bezeichnet. Experten beobachten längst die negative Auswirkungen dieser Erziehung: Viele Einzelkinder sind unselbstständig und können ihr Leben nur schwer gestalten. Auch Cao Ling wirkt fern der Heimat ein wenig verloren. Sie tut sich schwer bei der Jobsuche. "Ich bin verwirrt. Mein Leben zu Hause war immer so leicht, aber jetzt, hier in Peking, ist alles kompliziert."

Chinas überversorgte Einzelkinder haben es schwer, sich in der Gesellschaft durchzusetzen. Das aber sollten sie rasch lernen. Auf die junge Generation kommt in den nächsten Jahren eine gewaltige Herausforderung zu: Die Versorgung der Alten. Mehr als 13 Prozent der Bevölkerung sind heute über 60 Jahre alt, 185 Millionen Menschen. 2050 werden es 500 Millionen sein. "Aber das staatliche Rentensystem steht erst am Anfang", sagt Du Peng, Professor für Gerontologie an der Soziologischen Fakultät der Pekinger Volksuniversität.

Renten reichen nicht

Weil die Renten nicht ausreichen, sind die Alten auf die Hilfe der Familien angewiesen. Chinas "kleine Kaiser" werden in den kommenden Jahre ihre Eltern versorgen müssen. Aber wie? "Ich bin Einzelkind, meine Frau ebenso", sagt etwa Qin Wan Qie. "Wir haben ein Kind. Und wir beide sollen uns jetzt um unsere vier Elternteile kümmern, um uns selbst und um unsere eigene Tochter. Noch kriegen wir das alles irgendwie hin, weil unsere Eltern noch fit und gesund sind. Aber was sollen wir machen, wenn der Erste ein Pflegefall wird?"

Die Versorgung der Alten wird in den kommenden Jahren eines der drängendsten Probleme Chinas. Auch deswegen legen viele Eltern so viel Wert auf die Ausbildung des Nachwuchses. "Ob ich im Alter versorgt werde, hängt auch vom späteren Einkommen meines Kindes ab", sagt etwa Manlin Xiong, Mutter einer vier Jahre alten Tochter: "Was passiert, sollte ich einmal schwer krank werden?" Die 38 Jahre alte Mutter kennt die Realität in China, kennt den Konkurrenzkampf. Damit ihre Tochter für die künftigen Herausforderungen gewappnet ist, trimmt Manlin Xiong sie permanent auf Leistung. Mit vier Jahren lernt Ze Yue schon Klavier. Sie kann einfache Sätze auf Englisch sagen und meistert bereits erste Rechenaufgaben.

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