Der Kampf ums Kind wird entschärft
Jedes Jahr sind rund 20.000 Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Die streiten häufig um Sorge- und Besuchsrecht und machen einander auch sonst das Leben schwer. Da rennt zum Beispiel ein Vater sofort zum Gericht, weil ihm die Ex-Frau das Halbjahreszeugnis der Tochter nicht binnen zwei Tagen geschickt hat. Oder weil sie sich weigert, die Fotos des vor zehn Jahren gestorbenen Familienhundes zu suchen und herauszurücken.
Die Familienrichter sind damit überlastet. Um eine Entscheidungsgrundlage zu haben, müssen sie Sachverständige mit Gutachten beauftragen. Das kostet viel und dauert oft Jahre. Außerdem müssen die Eltern erst eine Hemmschwelle überschreiten, ehe sie sich einem Gutachter öffnen.
Justizministerin Beatrix Karl hat mit Jahresbeginn das Pilotprojekt der Familiengerichtshilfe gestartet. An vier Bezirksgerichten (Wien-Innere Stadt, Amstetten, Leoben und Innsbruck) sind Pädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen stationiert, die im Auftrag des Richters (auch unangemeldet) in die Familien gehen. Sie sollen ausloten, ob eine Einigung möglich ist, Konfliktquellen eruieren und Entscheidungsgrundlagen für den Richter schaffen. Dieser wird dadurch auch aus seinem Rollenkonflikt zwischen Streitschlichter, Wahrer der Kinderrechte und Entscheidungsmacht befreit.
Tür an Tür
Doris Täubel-Weinreich, Familienrichterin in Wien-Innere Stadt, begrüßt die neue Form des parallelen Arbeitens: "Bisher konnten wir nur auf das Jugendamt zurückgreifen, das überlastet ist. Jetzt sitzen wir Tür an Tür mit der Familiengerichtshilfe, die kann ich zum Beispiel zur Mutter zum Hausbesuch schicken, während ich mir den Vater zum Gespräch her hole." Langwierige Gutachten könne man sich damit eventuell ersparen und rascher zu einer nachhaltigen Lösung finden.
Damit wird die Entfremdung des Kindes von einem Elternteil verhindert. Der Richter soll künftig Eltern auf Basis der Erhebungsergebnisse auch Weisungen erteilen können, etwa eine Therapie oder Mediation zu absolvieren.
Andrea Kneidinger ist Familiengerichtshelferin in Innsbruck. Sie erzählt, dass es von einem Elternteil oft heißt: "Wenn das Kind zum anderen mitgehen muss, weint es immer." Ob das auch stimmt, kann Kneidinger vor Ort beobachten, wenn sie sich die Szene bei der nächsten Übergabe des Kindes anschaut und dann darüber berichtet.
Ihr in Wien eingesetzter Kollege Hannes Wagner beobachtet, dass "es immer wieder Kleinigkeiten sind", deretwegen ein Konflikt eskaliert. Und da glaubt er, helfen zu können.
Das Modell orientiert sich an der erfolgreichen Jugendgerichtshilfe. Dort erheben Sozialarbeiter für die Jugend-Strafrichter vor einem Prozess gegen kriminell gewordene Jugendliche, wie es in der Familie, in der Schule, im Umfeld so zugeht.
Ministerin Karl will die Familiengerichtshilfe – positive Erfahrungen mit dem Projekt vorausgesetzt – nach zwei Jahren bundesweit fix installieren.