Politik

"Chance für historischen Wandel in Europa"

Stillstand kennt Viviane Reding nicht. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission hat schon viel erreicht – und das gegen mächtigen Widerstand von Unternehmen oder Lobby-Gruppen: Billigere Handy-Tarife, günstigere Roaming-Gebühren, Förderprogramme für Roma oder bald schon wahrscheinlich verpflichtende Frauenquoten für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen. Jetzt präsentiert die luxemburgische Christdemokratin ihre Vision für die Zukunft der EU bis zum Jahr 2020. Ein Fünf-Punkte-Plan, der dem KURIER vorliegt, soll aus der derzeit krisengeschüttelten EU eine Politische Union mit einer Europäischen Regierung machen. "Es ist nun an der Zeit, das Bauwerk zu konsolidieren", nimmt Reding forsch das Projekt in Angriff.I. Schritt 1 ist ein Dialog der Regierungen mit den nationalen Parlamenten, den politischen Parteien und den Bürgern. Dabei soll die Frage debattiert werden: Welches Europa wollen die Bürger im Jahr 2020 haben? 2013 wird das "Europäische Jahr der Bürgerinnen und Bürger" werden. II. Stufe 2 ist das Europa-Wahljahr 2014. Im Wahlkampf sind die Stimmbürger zu fragen, ob sie eine solide Stabilisierung der EU wollen – oder ob das Europäische Haus fertiggestellt, also eine Politische Union werden soll. Ob in dieses Haus dann alle EU-Mitglieder einziehen oder nur die Länder der Euro-Zone, das ist offen. 2014 erwartet Reding auch eine Entscheidung der europäischen Parteienfamilien: Bei der Wahl zum Europäischen Parlament müsse auch der nächste Präsident der EU-Kommission gleich mitgewählt werden. Reding: Keine Mauschelei mehr im Hinterzimmer, der Chef der Kommission muss transparent per Abstimmung im EU-Parlament gekürt werden.

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III. Drittens verlangt Reding, dass der Kommissionspräsident gleichzeitig der Präsident des Europäischen Rates werden solle. "Das gewährleistet eine stärkere politische Führungsrolle Europas." Der Vertrag von Lissabon, die rechtliche Basis der EU, ermöglicht ausdrücklich diese Konstellation.IV. Als vierten Schritt beschließen die Staats- und Regierungschefs, wonach der neue Präsident einen Konvent zur Ausarbeitung eines neuen Vertrages zur Europäischen Politischen Union (EPU) einberufen müsse. In diesem Vertrag sollte geregelt sein, dass das EU-Parlament das Initiativrecht für Gesetze erhält – so wie es die nationalen Parlamente auch haben. Das Parlament wird Gesetzgeber, heißt Redings Botschaft. Die Europa-Abgeordneten sollten zudem das Alleinrecht erhalten, die Kommission zu wählen und die Kommissare zu bestimmen. Im Gegenzug sollte der Kommissionspräsident gleichzeitig das Recht erhalten, das EU-Parlament gegebenenfalls aufzulösen. V. Zwischen 2016 und 2019 – so der Punkt 5 im Reding-Plan – wird der EPU-Vertrag in allen Mitgliedsländern per Referendum ratifiziert. Der Vertrag tritt in Kraft, sobald er von mindestens zwei Drittel der Staaten angenommen wurde. Die Bürger können beim Referendum zwischen zwei Alternativen wählen: Den neuen Vertrag akzeptieren oder ihn ablehnen. Letzteres hätte zur Folge, dass das Land nicht Mitglied der EPU wird, sondern sich lediglich am EU-Binnenmarkt beteiligt.

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission sieht in der Krise "eine Chance für einen historischen Wandel. Europa muss seine Machtstellung auf der internationalen Bühne ausbauen."

Viviane Reding: Kreative Kommissarin

Geboren 1951 in Luxemburg. Anthropologie-Studium in Paris.Karriere 1978–1999 Leitende Redakteurin beim "Luxemburger Wort". 1979 Abgeordnete der Christdemokraten im luxemburgischen Parlament. 1989 EU-Abgeordnete. Seit 1999 Mitglied der EU-Kommission. Erfolge EU-Verordnung zur Senkung der Roaming-Gebühren, Roma-Schutz, mehr Frauenrechte. Privat geschieden, drei Kinder.