"Zukunft Europas" - Angela Merkel redet vor dem EU-Parlament
Von Stefan Schocher
Ein Vermächtnis wurde erwartet, eine Grundsatzrede. Und welchen Stellenwert die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der EU hat, wird klar, betrachtet man die Wortmeldungen vor ihrer Rede im EU-Parlament in Straßburg am Dienstag: Zur Sozialunion solle sie etwas sagen, so die einen. Andere meinen, sie müsse sich klar zur Idee einer EU-Armee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron äußern.
Gefordert wird auch, sie solle mit Blick auf die bevorstehende EU-Wahl zum Spitzenkandidatensysten etwas sagen oder ein Signal gegen den Rechtsruck in Europa setzen und sich klar gegenüber Politikern wie dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban positionieren. Diese Liste der Ansinnen ließe sich noch um einiges erweitern: Brexit, Migration, Wirtschaftspolitik, Außengrenzsicherung, die deutsch-französische Achse – um nur einige zu nennen.
Merkel hat ihren Ausstieg aus der Politik eingeleitet. Es werde ihre letzte Amtszeit sein, hatte sie unlängst bekannt gegeben. Als CDU-Chefin wird sie noch heuer zurücktreten. Realpolitisch wird ihr nur noch wenig Gestaltungspotenzial zugetraut. Viele gehen auch davon aus, dass die Rede vor dem Parlament unter Umständen ihr letzter großer Auftritt in einer EU-Institution sein könnte – wenn sie, wie viele vermuten, mittelfristig auch das Kanzleramt abgeben muss.
In Berlin kracht es in der eigenen Partei und der Schwesterpartei CSU sowie der Koalition mit der SPD. Da wird sichtbar, welche einende Wirkung Merkel hat – und was droht, fiele diese weg. Seit 2005 ist sie Bundeskanzlerin Deutschlands. Ein Amt, in dem sie vor allem aber auch zu so etwas wie dem Mütterchen Europas wurde und zu einer Art moralischer Instanz der EU.
Für 15 Uhr ist die Rede der deutschen Kanzlerin angesetzt. Zweieinhalb Stunden sind für den Termin vorgesehen. Und die Zeit wird nicht reichen, betrachtet man die Liste der Themenwünsche.
Merkel tritt im Debattenformat „Zukunft Europas“ auf. Staats- und Regierungschefs werden dabei seit Anfang des Jahres gebeten, vor dem EU-Parlament ihre Ideen und Visionen für die EU zu schildern. Ziel ist es, die EU-Regierungen näher an das EU-Parlament zu binden. Dabei traten schon eine ganze Reihe an Staatschefs auf: Emmanuel Macron etwa, der eine Rede zur „europäischen Souveränität“ hielt. Oder Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, den die Abgeordneten wegen des Zustands der Rechtsstaatlichkeit in Polen grillten.
Wenn aber Merkel in diesem Forum ihre Visionen darlegt, so wird eine sprechen, die politisch nichts mehr zu verlieren hat. Der ungeteilten Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer kann sie sich gewiss sein.