Wien ist wieder (ein bisschen) Drehscheibe der Welt
Von Andreas Schwarz
Die Karawane der 600 internationalen Journalisten ist weitergezogen, um das Palais Coburg in der Wiener Innenstadt kehrt wieder Ruhe ein – aber was bleibt, sind die Bilder eines auf Krücken humpelnden John Kerry, eines überraschend ungrantig blickenden Sergej Lawrow oder eines immer fröhlich wirkenden und winkenden Mohammed Zarif. Sowie natürlich das historische Abschlussfoto zum erfolgreichen Durchbruch beim Atomvertrag mit dem Iran am Dienstag dieser Woche.
Stelldichein der Großen
Es war der bisher wohl größte und sichtbarste Erfolg in der jungen Karriere von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Er hat die Atomverhandlungen mit dem Iran im vergangenen Jahr und seither mehrfach nach Wien geholt – mit viel diplomatischem Geschick und Einfädeln hinter den Kulissen. Ja, es wurde auch in New York, in Genf und in Lausanne verhandelt, aber die Knochenarbeit zum Deal und die entscheidenden Phasen fanden in Wien statt. Zuletzt für 17 Tage, mit einem permanenten Stelldichein der ganz Großen der internationalen Politik in Wien.
Kurz selbst spielte bei den Verhandlungen keine Rolle. Er musste sich als Gastgeber damit begnügen, hie und da einen der Außenminister zu treffen. Für ein Foto mit John Kerry fuhr er dem Amerikaner auch schon mal zum Flughafen entgegen, weil sonst keine Zeit für ein Gespräch war. Aber Sebastian Kurz versuchte gar nicht erst, eine bedeutendere Rolle als die des Gastgebers zu verkaufen – und freute sich, dass der Werbewert für Wien mehr als 100 Millionen Euro betrage – wie auch immer man so etwas ausrechnet.
Er hat damit Wien jenen Ruf zurückzugeben, an den Österreich jahrzehntelang geglaubt hat, ohne ihn je wirklich gehabt zu haben: den einer wichtigen Drehscheibe der internationalen Politik, einer Brücke zwischen Ost und West.
Langjähriger Mythos
Dieser Mythos nährte sich Jahrzehnte durch die Lage am Eisernen Vorhang. Dass Kennedy und Chruschtschow, der amerikanische und der sowjetische Präsident, einander 1961 in Wien trafen, begründete noch keine Brücke (und konnte die Kubakrise im Jahr darauf auch nicht verhindern).
Dass Wien Ende der 70er-Jahre zum vierten Amtssitz der UNO und zur Heimat zahlreicher internationaler Organisationen wurde (zur Zeit 39), brachte schon eher Renommee und viel diplomatisches Personal an die Donau, auch die eine oder andere Konferenz. Auch Bruno Kreiskys Kontakte mit PLO-Chef Yassir Arafat (ein Tabubruch damals) und mit Libyens Muammar Gaddafi wurden viel beachtet. Und Österreichs außenpolitische Expertise, was den Balkanraum betrifft, ist international durchaus gefragt.
Aber Drehscheibe für weltpolitisch entscheidende Weichenstellungen, gar Vermittler in wichtigen Konflikten aufgrund seiner Rolle als neutraler Staat – das hat sich Österreich in seiner Selbstwahrnehmung mehr gewünscht, als dass es tatsächlich je Wirklichkeit war.
Ort der Begegnung
Jetzt aber hat es der Außenminister geschafft, Wien immerhin wieder zum Ort der internationalen Begegnung zu machen. So wie er vergangenes Jahr eine routinemäßige Europarats-Jahrestagung flugs zum Ukraine-Krisengipfel mit weltpolitischer Prominenz umfunktionierte – ohne Ergebnis, aber mit großer medialer Begleitung. Diesmal dafür mit einem "Wiener Abkommen", das, wenn es hält, in die Geschichtsbücher eingehen wird.