Wie Kern & Kurz auf den Macron-Effekt setzen
Von Bernhard Gaul
Behalten die Auguren Recht, und alles deutet darauf hin, wird der neue französische Präsident Emmanuel Macron bei den heutigen Parlamentswahlen mit einer satten Zweidrittel-Mehrheit ausgestattet (siehe Seite 8). Dabei hatte der 39-Jährige seine Partei En Marche! erst vor 14 Monaten gegründet und die traditionellen Parteien, die Konservativen und die Sozialisten, wie ein Wirbelwind zu unbedeutenden Kleinstparteien zerstäubt.
Überall in Europa wird bewundert, wie man in knapp einem Jahr die politische Landschaft eines Landes so radikal umwälzen kann. Der KURIER hat bei SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler, dem ehemaligen Wahlkampfleiter von Bundespräsident Van der Bellen Lothar Lockl, dem OGM-Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer, bei einem Vertrauten von Sebastian Kurz in der Wahlkampfzentrale der Volkspartei und bei Neos-Bundesparteiobmann Matthias Strolz nachgefragt, welche Lehren man aus den französischen Wahlen für Österreich ziehen kann.
Kein Kandidat des Establishments"Macron kommt ja eigentlich aus dem sozialistischen Establishment, er ist kein lupenreiner Quereinsteiger, aber er hat sich offenbar glaubwürdig davon distanzieren können", erklärt Bachmayer.
"Das gesamte politische System ist eine totale Elitenclique in Frankreich, auch die Sozialisten sind dort vor allem elitär. Dennoch hat Macron, der eigentlich auch Elite ist, erfolgreich transportiert, kein Systemgänger zu sein", heißt es anerkennend aus der ÖVP.
"Auch die Franzosen scheinen es satt zu haben, dass da eine politische Klasse entstanden ist, die fernab der Lebenswelten normaler Bürger nur mit sich selbst und ihren Schrebergärten beschäftigt sind", meint auch Lockl.
Wahl-Bewegung statt alter Parteisysteme "Heute gewinnt man keine Wahlen mit zentral gesteuerten Kampagnen, weil man nicht ausreichend Menschen erreicht", glaubt Lockl. In Österreich habe das Van der Bellen mit einer "Andock- und Mitmachplattform" erfolgreich vorgezeigt. "Macrons Botschaft war ja auch, dass man über die Parteigrenzen weg handeln will. Da will auch Sebastian Kurz ansetzen", heißt es aus der Volkspartei. "Weil man eben nicht wie bisher aus einer Partei sein muss oder aus einer Kammer, aus der Gewerkschaft oder sonst einer alten Parteistruktur, um mitmachen zu können. Das heißt aber auch, dass nicht mehr ‚ÖVP‘ auf dem Wahlzettel stehen wird. Wir können ja nicht Leute einladen, bei uns mitzumachen, und dann steht doch der alte Parteiname drauf."
Auch in der SPÖ habe man auf dieses Phänomen reagiert: "Wir können uns nicht mehr nur auf die Partei verlassen. Darauf haben wir schon reagiert und mit Kerns Plan A eine Art Mitmachaktion gestartet, wo sich jetzt schon 20.000 Interessierte gemeldet haben", sagt der Rote Niedermühlbichler.
Auf den bewährten Parteiapparat will man dennoch nicht verzichten, heißt es gleichlautend von Rot und Schwarz. Niedermühlbichler erklärt, Kerns Weg sei es, an den guten Strukturen festzuhalten, "wo ja Tausende ehrenamtliche Österreicher begeistert für uns laufen".
"Wir versuchen noch, genau herauszufinden, wie Macron so schnell schlagkräftige Strukturen aufbauen konnte", erklärt Strolz, der erwartet, dass Macron sich der liberalen Neos-Mutterpartei ALDE anschließen wird. Er bezweifelt allerdings, dass bei SPÖ oder der ÖVP eine echte Änderung geschehen wird. "Die müssten sich ganz neu aufstellen, inklusive der Haltung, wie man Politik macht. Das wäre auch für Österreich echt wichtig."
Optimismus statt AngstmacheLob und Ankerkennung gibt es für Macrons optimistischen, stark pro-europäischen Wahlkampf. "Der war national ausgerichtet, ohne nationalistisch zu sein. Was sicher auch den großen Sorgen der Nachbarländer vor dem Brexit geschuldet ist", analysiert Bachmayer. "Das war einmal mehr ein erfolgreiches Rezept gegen Rechts", sagt Lockl. Zwei Jahrzehnte lang hätten die Rechten immer radikalere Themen vorgegeben, auf die die anderen Parteien nur reagieren konnten. Das habe schon Van der Bellen drehen können, etwa mit Besetzen des Heimat-Begriffs. "Bei Kurz", heißt es aus der VP-Zentrale, "kommt dazu, dass wir einen neuen Stil pflegen. Wir reagieren nicht mehr auf Angriffe der politischen Gegner. Früher haben immer sofort der Klubchef oder dener Generalsekretär reagiert, wenn wir attackiert wurden. Das haben wir eingestellt." Idee sei, wie bei Macron, positiv zu wirken, und nicht den Gegner runtermachen."
Ein Wählermarkt in BewegungAls großen Vorteil sieht Niedermühlbichler darüber hinaus, dass die Zahl der Wechselwähler in Frankreich wie in Österreich massiv zugenommen hat. Früher habe es nur einige wenige Prozent Unentschlossene gegeben. "Heute sind das auch mehr als zehn Prozent. Mit einem positiven Wahlkampf sind da alle Chancen bis zum Schluss offen."