Politik/Ausland

Warum Sozialdemokratie nicht nur in Frankreich schwächelt

Ein Ergebnis der Wahlen in Frankreich steht schon fest: Die traditionellen Parteien sind zutiefst erschüttert. Die Konservativen durch den Skandal um ihren Kandidaten François Fillon wegen der Scheinbeschäftigung seiner Frau auf Kosten der Steuerzahler. Bei den Sozialdemokraten ist die Krise eine grundlegende. 2012 war François Hollande als Hoffnungsträger Präsident geworden. Die Bilanz ist ernüchternd. Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, ebenso die Zahl der prekären Jobs. Im Popularitätstief verzichtete Hollande auf eine neuerliche Kandidatur.

Dann der Paukenschlag bei den Vorwahlen der Linken. Das Rennen machte der radikale Öko-Linke Benoît Hamon. Als Bildungsminister hatte er Hollandes Kurs kritisiert und die Regierung verlassen. Jetzt tritt er für ein bedingungsloses Grundeinkommen, steuerliche Förderung der 32-Stunden-Arbeitswoche, für höhere Besteuerung von Superprofiten und mehr Sozialleistungen ein. Die Parteibasis sehnte sich offenbar nach einer Rückkehr zu visionär-linker Politik – nur der "Schulz-Effekt" à la française blieb aus.

Linker Shootingstar

Das liegt auch daran, dass neben Hamon der redegewandte Jean-Luc Mélenchon für die Linkspartei und die Kommunisten sowie das liberale Mitte-Links-Wunderkind der französischen Politik Emmanuel Macron antreten. Als Absolvent der Eliteschulen, Investmentbanker und Finanzminister Hollandes, steht Macron für ein begeistertes Ja zur EU und führt in den Umfragen. Rechts und Links will er zugunsten einer "neuen Mitte" überwinden. Flexibilisierung der Wirtschaft, mehr Mobilität und Offenheit seien das Gebot in Zeiten der Globalisierung – sozial abgefedert.

Jean-Luc Mélenchon, der ebenfalls sozialistischer Minister und Abgeordneter war, fordert hingegen die radikale linke Wende: 200 Milliarden Euro vom Staat zur Ankurbelung der Konjunktur, Pensionsrecht wieder mit 60 statt 62 Jahren, höhere Mindestlöhne und stärkere progressive Besteuerung – bis hin zu 90 Prozent für Einkommensanteile über 400.000 Euro pro Jahr; Neuverhandlung der EU-Verträge und Ausstieg aus der NATO, Dialog mit Putin.

Die 1970er- und 1980er- Jahre waren die Zeit der legendären Granden der modernen Sozialdemokratie Olof Palme, Willy Brandt, Bruno Kreisky, François Mitterrand, Helmut Schmidt und Felipe González. Sie hatten Weltkrieg, Diktatur und die Folgen erlebt, teils im Widerstand gekämpft. Daraus resultierte ein Streben nach Ausgleich, nach Konsens. Modernisierung und Reformen mussten sozialpartnerschaftlich errungen, das Leben der einfachen Leute verbessert, Unternehmer und Wohlhabende zur sozialen Verantwortung angehalten werden. Regierung und Staat hatten eine lenkende Rolle.

Die Implosion des Sowjetimperiums, der Aufstieg des staatskapitalistischen China und die Digitalisierungs-Revolution haben die umfassende Globalisierung beschleunigt. Dass ein entfesselter Turbo-Kapitalismus die Welt beherrscht, verdanken wir jedoch der Politik. Auch jener der Sozialdemokraten neuen Stils. Bill Clinton, Tony Blair oder Gerhard Schröder ist es nicht gelungen, dem neuen Credo "It’s the economy, stupid!" etwas entgegenzusetzen. Gegen die Konkurrenz wird dereguliert, müssen Unternehmenssteuern und Arbeitskosten runter und ein Niedriglohnsektor her.

Die neue Sozialdemokratie war überzeugt, dass sie die Umwälzungen besser managen könne als Konservative à la Reagan und Thatcher. Aber die pure Logik des Marktes wurde als schicksalhafte Notwendigkeit akzeptiert. Kein Wunder, dass viele Bürger zwischen Konservativen und Sozialdemokraten keinen Unterschied mehr sehen, sondern beide nur mehr als von Sachzwängen getriebene Verwalter.

Gegen Globalisierung Das Aufbegehren gegen die Folgen der Globalisierung hat viele Facetten. "Occupy Wall Street" und Bernie Sanders in den USA, "Indignados", "Podemos" und Syriza in Südeuropa, Corbyn-Linksruck der britischen Labour-Basis, "Die Linke" und der Schulz-Hype in Deutschland. Und jetzt eben Frankreich. Gemeinsam ist ihnen die Forderung nach einer Zügelung der Globalisierung, nach Gerechtigkeit und dass wieder der Mensch ins Zentrum der Politik gerückt werden müsse.