Skandal in Türkei: Erdogans unislamischer Luxus
Von Hans Jungbluth
Kommt man mit einem teuren Mercedes ins Paradies? Ausgerechnet der fromme Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP sehen sich im türkischen Parlamentswahlkampf dem Vorwurf unislamischer Verschwendungssucht ausgesetzt. Anlass ist das Vorhaben, dem Chef des staatlichen Religionsamtes einen teuren Dienstwagen zukommen zu lassen. Für die Opposition ist die Karosse für 300.000 Euro ein gefundenes Fressen: Zehn Tage vor dem Wahltag gerät Erdogan gehörig in die Defensive.
Religionsamtschef Mehmet Görmez steht bei Regierungsgegnern im Verdacht, seine an sich überparteiliche Behörde zum Instrument der AKP umzufunktionieren. Im vergangenen Jahr ließ Görmez in den Moscheen eine Freitagspredigt verlesen, die als Parteinahme für Erdogans Vorgehen gegen soziale Medien wie Twitter verstanden wurde.
Ein Recht auf Mercedes
Jetzt steht Görmez erneut am Pranger. Er hatte sich einen neuen Dienstwagen bestellt, dessen stolzer Preis für einen Sturm der Entrüstung sorgte; einigen Presseberichten zufolge ließ sich Görmez zudem in seiner Dienstwohnung ein luxuriöses Jacuzzi-Bad installieren. Unter dem Eindruck der Kritik verzichtete Görmez auf den neuen Mercedes, wurde aber von Erdogan zurückgepfiffen: Der Präsident veranlasste die Lieferung eines anderen Wagens und sagte, das Religionsamt habe ein solches Fahrzeug verdient. Verteidigungsminister Ismet Yilmaz kommentierte, eigentlich stehe dem Religionsamtschef sogar ein eigener Jet zu.
Finanzminister Mehmet Simsek heizte die Kritik noch weiter an, indem er sagte, die staatlichen Ausgaben für Dienstwagen seien angesichts der Wirtschaftskraft der Türkei "nicht einmal Peanuts". Kritiker attackierten diese Äußerung als Schlag ins Gesicht für rund 17 Millionen Türken, die mit einem Monatseinkommen von weniger als 380 Euro unterhalb der Armutsgrenze leben.
Palast im Naturschutzgebiet
Die Opposition fordert den Rücktritt von Religionsamtschef Görmez. Mit einem Mercedes könne man nicht ins Paradies fahren, sagt Kurdenchef Demirtas mit Verweis auf die islamische Vorstellung von einer schmalen Brücke über dem Höllenfeuer, die von den Gläubigen nach dem Tod überquert werden muss. Der Islam verbiete Luxus, sagte Demirtas. Auch von regierungskritischen islamischen Gelehrten kommen Vorwürfe. Angesichts der weit verbreiteten Armut müsse die Regierung Bescheidenheit demonstrieren statt Prunksucht.
Bei den Regierungsgegnern wächst der Eindruck, Erdogan und die AKP seien nach den langen Jahren an der Macht inzwischen blind für die Realitäten im Land. Nicht weniger als 34 Milliarden Euro habe die AKP seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 2002 für Luxusprojekte wie Erdogans Präsidentenpalast, schicke Jets und Dienstwagen ausgegeben, erklärte die Oppositionspartei CHP. Dass ein Gericht soeben die Baugenehmigung für diesen Palast wegen Verstößen gegen den Umweltschutz aufgehoben hat, verschärft den Eindruck einer Führung, die sich über dem Gesetz wähnt.
Für eine Partei wie die AKP, die sich als Vertretung der kleinen Leute präsentiert, ist das eine ungemütliche Lage. Nach Presseberichten gesteht Erdogan im kleinen Kreis inzwischen Probleme im AKP-Wahlkampf ein.
Die Umfragen sehen für die Wahl am 7. Juni zwar einen erneuten Sieg der Regierungpartei voraus, doch die absolute Mehrheit droht verloren zu gehen. Sein Ziel, per Verfassungsänderungen ein Präsidialsystem einzuführen, kann Erdogan dann möglicherweise nicht einmal mehr mit einem Mercedes erreichen.